Regisseur Matthias Glasner scheint Jürgen Vogel wahnsinnig gern an den Rand seiner schauspielerischen Grenzen zu bringen. Das aufreibende wie umstrittene "Vergewaltigerdrama" Der freie Wille gibt von dieser Dynamik Auskunft, die für den Zuschauer häufig zu schwer erträglichen, weil bis aufs seelische Blut aufgekratzten Kino-Erlebnissen führt. Gnade vereinte die beiden 2012 wieder und nahm sich im Vergleich ein wenig zurück. Was vielleicht auch an der unterkühlten Atmosphäre Norwegens liegt, in dessen Eislandschaft sich große Teile von Gnade abspielen. Das Drama feierte im Rahmen der Berlinale seine Premiere und ist heute unser TV-Tipp.
Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr spielen die Eheleute Niels und Maria, die mit Kind und Kegel nach Hammerfest in den nördlichsten Regionen Norwegens auswandern. Vielleicht hoffen sie, die niedrigen Temperaturen werden ihre Eheprobleme in Kältestarre versetzen, doch sie tragen diese nur über Landesgrenzen. Niels mag sich nicht recht einfinden in die neue Gemeinde und beginnt eine Affäre, Maria lebt sich hingegen schnell ein. Bis eine Tragödie sie auf überraschenden Wegen wieder zusammenführt. Auf verschneiten Straßen überfährt Maria in der Dunkelheit etwas. Erst Tage später stellt sich heraus, dass es ein Mädchen war, das daraufhin im Eis erfror. Nur das deutsche Ehepaar weiß Bescheid - und schweigt.
Gnade schlägt deutlich leisere Töne an als sowohl Der freie Wille als auch das Vogel/Glasner-Projekt Blochin - Die Lebenden und die Toten. Sehenswert ist das Drama mit dem absonderlichsten CGI-Smartphone-Einsatz seit Menschengedenken primär wegen der Rolle, welche die abweisende, aber atemberaubende Natur in der Inszenierung der Schuld-und-Sühne-Geschichte spielt sowie den erstklassigen Darstellern Jürgen Vogel und Birgit Minichmayr.
TV-Tipp: Gnade (2012)
Wann: 20:15 Uhr
Wo: arte