Der Einfluss von Mary Shelleys Frankenstein auf die moderne Kinolandschaft ist noch weitaus größer, als es auf den ersten Blick scheint. Elemente des Mythos finden sich nicht nur in zahlreichen Adaptionen und Neuinterpretationen der klassischen Geschichte, sondern auch in etlichen Comedy-, Horror-, Science-Fiction- und Superheldenfilmen der letzten Jahre. Im Rahmen unseres Themenspecials Angst, Schrecken, Panik - Horror-Monat 2018 werfen wir einen Blick auf die interessantesten Interpretationen und Remixes und zeigen euch moderne Frankensteins und ihre Monster in Blockbuster-Filmen. Vorerst jedoch ein kurzer Abriss der Geschichte.
Darum geht es in Frankenstein
Im Zentrum von Frankenstein steht die Beziehung eines Wissenschaftlers zu seiner Schöpfung, einem reanimierten Kadaver, der aus Leichenteilen und Organen verschiedener Menschen zusammengeflickt wurde. Dem ehrgeizigen Dr. Viktor Frankenstein gelang es mit einem Experiment, den Tod rückgängig zu machen und sich damit über die als unveränderbar geltenden Gesetze der Natur hinwegzusetzen. Für diese Hybris bezahlt er jedoch einen hohen Preis. Seine Schöpfung Frankensteins Monster ist eine verwirrte und einsame Kreatur, die ihre eigene Existenz verflucht und die immense Kraft, die ihr innewohnt nicht unter Kontrolle hat. Das führt zum Tod diverser Menschen, die Viktor nahestehen, worauf dieser beginnt, Verantwortung für seine Schöpfung zu übernehmen.
Um das Wesen zu beschwichtigen und seine Einsamkeit zu
heilen, versucht der Doktor, das Experiment mit einem weiblichen Kadaver zu
wiederholen, am Ende entscheidet er sich jedoch dagegen, aus Angst, die zweite
Schöpfung könnte genauso böse werden wie die erste. Das lässt die Kreatur in
einen Blutrausch verfallen, dem Frankensteins Geliebte zum Opfer fällt. Der
Wissenschaftler beschließt, das Monster, das in die Arktis geflüchtet ist, zu
vernichten. Im Eis findet er aber nur den eigenen Tod, seine Kreatur,
schockiert von dem Elend, das sie auf die Welt gebracht hat, richtet sich schließlich
an einem Scheiterhaufen selbst.
Der moderne Frankenstein
Die Tragödie um menschliche Hybris, Weltschmerz und Hass auf den eigenen Erschaffer spiegelt sich in etlichen Werken der Populärkultur wider. Wer genauer hinsieht, erkennt eine ganze Reihe an Frankensteins in den Filmen der vergangenen Jahre. Insbesondere bei Marvel scheint der Mythos des größenwahnsinnigen Wissenschaftlers großen Anklang zu finden. Tony Stark, der Posterboy des MCU, trägt viele Merkmale Frankensteins. Seine Kreation Ultron wendet sich in Avengers 2 noch in ihrer Geburtsstunde gegen ihren Schöpfer und zwingt Tony, die Verantwortung für seine Handlungen zu übernehmen. Anders als sein literarisches Vorbild schafft es Stark aber nicht nur, seinen Fehler auszubügeln, er erschafft mit dem der Menschheit wohlgesonnenen Vision sogar noch eine Idealversion der Kreatur, die lernt, ihr Leben zu schätzen und sogar Liebe zu finden.
John Hammond (Richard Attenborough) und seine Nachfolger aus den Jurassic Park-Filmen sind im Blockbusterkino wohl die offensichtlichsten Erben
Frankensteins. Das Monsterfilmfranchise setzt sich vor allem mit der Frage auseinander,
ob der Mensch den Lauf der Natur korrigieren sollte, wenn er über die
technischen Möglichkeiten dazu verfügt. Die kontrastierenden philosophischen
Ansichten der einzelnen Figuren bilden dabei das Rückgrat der Reihe. Chaostheoretiker
Ian Malcolm (Jeff Goldblum), in den Filmen wahrscheinlich der heftigste Kritiker der Dino-Technologie,
fungiert dabei als eine Art Anti-Frankenstein, der die Unberechenbarkeit von
Leben und Tod nicht fürchtet, sondern mit lachendem Herzen akzeptiert.
Die modernen Monster
Auch das Dilemma des Monsters wird gerne im modernen Blockbuster aufgegriffen: Ridley Scotts Prometheus - Dunkle Zeichen ist zwar in erster Linie eine Sci-Fi-Adaption von H.P. Lovecrafts At the Mountains of Madness, es finden sich aber neben dem Namen des Films auch noch weitere Parallelen zur Frankenstein-Geschichte. Denn: Auf der Reise zur Wiege der Menschheit werden die Astronauten um Noomi Rapace und Charlize Theron auch von einem Frankenstein-Monster, dem Androiden David begleitet, der sich mit der eigenen Unvollkommenheit und der seiner Erschaffer auseinandersetzt, ebenso wie es der Mensch später im Film tun wird. In der Fortsetzung Alien: Covenant wird David dann selbst zum wahnsinnigen Wissenschaftler, der krampfhaft versucht, eine perfekte Spezies zu erschaffen. Außerdem trifft er auf sein Nachfolgemodell Walter, in dem er das gleiche Feuer der Kreativität entfachen will, das ihn dazu antreibt, zu erschaffen.
Auch in den großen Comicfranchises von Marvel und DC finden sich Frankensteins Monster. Auf der Seite der Justice League wäre da Cyborg, ein junger Mann, der von seinem Vater mit Metallteilen und Kabeln künstlich am Leben gehalten wird und ein Außenseiterleben fristet. Auf der anderen Seite steht Marvels Rocket Raccoon von den Guardians of the Galaxy. Die Waschbärkreatur ist aufgrund ihrer Einzigartigkeit das einsamste Wesen in der Galaxis und wünscht sich, nie erschaffen worden zu sein. Genau wie das Monster im Roman baut Rocket seinen Frust am Ende damit ab, andere Lebewesen zu verletzen, nur empfindet er dabei weniger Reue - und sieht knuffiger aus.
Frankenstein im Genrefilm
Im Gegensatz zu anderen Ungeheuern ist Frankensteins Monster kein blutdurstiger Slasher, sondern eine tragische Figur. Der Horror entsteht beim Leser erst bei der Reflexion über die Themen des Romans. Die Geschichte lässt sich als Warnung interpretieren, der Mensch sei den Wahrheiten, die er durch die Wissenschaft zutage fördern kann, nicht gewachsen. Die Fähigkeit, Leben zu geben, wird von Frankenstein ohne Nachdenken pervertiert. Er kreiert in seiner Rolle als menschlicher Gott ein hilfloses Wesen, das er verstößt und nimmt damit in Kauf, dass sich dieses ohne seine Führung zu einem monströsen Ungeheuer entwickelt.
Dieses Gefühl von Hilflosigkeit, Einsamkeit und Ablehnung, die Realisierung aus keinem Grund außer schöpferischer Willkür auf der Welt zu sein, ist die Essenz von existenziellem Horror und die Inspiration zahlreicher Gruselgeschichten. Das Motiv findet sich in den Werken von H.P. Lovecraft, in Ridley Scotts Alien, Prometheus und Blade Runner, in Ex Machina und Chappie, aber auch in augenzwinkernden Komödien wie der Rocky Horror Picture Show und den Filmen von Frank Henenlotter (Basket Case - Der unheimliche Zwilling, Frankenhooker - Verschraubt und genagelt).
Wenn der nächste Frankenstein-Reboot nach Victor und I, Frankenstein also wieder an den Kinokassen floppt, liegt das vielleicht daran, dass die Geschichte bereits konstant und auf viel interessantere Arten in unzähligen Filmen aufgegriffen wird. Ihr müsst nur die Augen nach ihr offen halten.
Was ist eure Lieblings-Frankenstein-Interpretation?