Alan Rickman über die Einsamkeit auf dem Regiestuhl

05.05.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Alan Rickman in Die Gärtnerin von VersaillesTobis
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Ein zweites Mal hat sich die britische Schauspiel-Größe und Metatron Alan Rickman auf den Regiestuhl geschwungen und mit Kate Winslet als Die Gärtnerin von Versailles ein Epochendrama geschaffen. Sich im Film selbst zu inszenieren war schrecklich, meinte er zu mir im Gespräch.

Alan Rickman lächelt freundlich, faltet seine Hände und wartet mit aufmerksamem, abgeklärtem Blick auf meine erste Frage zu seinem neuen Film. A Little Chaos - Die Gärtnerin von Versailles. Darin treibt er als Regisseur Kate Winslet als Landschaftsplanerin durchs 17. Jahrhundert, in Matthias Schoenaerts' Arme. Mit viel Drama und noch mehr Humor. Herausgekommen ist ein Gespräch über die Einsamkeit des Regisseurs und das Schöne am Zwischenmenschlichen.

Wer sich ein paar Interviews mit Alan Rickman ansieht, der wird schnell merken, dass eine Frage immer wieder aufkommt - jene nach seinen Bösewichtsrollen. Tatsächlich waren das aber nur drei in seiner wahrlich breitgefächerten Filmografie, welche vom Indiedrama Snow Cake bis zur Science-Fiction-Komödie Galaxy Quest reicht. Bevor er sich als Severus Snape an der Seite von Harry Potter in eines der erfolgreichsten Filmfranchises aller Zeiten einordnete und acht Teile als zwielichtiger Zauberlehrer Kinder und Erwachsene begeisterte, durfte er sich zu Beginn seiner Filmkarriere - er war bereits 42 - in Stirb langsam über tote Weihnachtsmänner im Fahrstuhl ärgern. Damit ging er direkt ins kollektive Gedächtnis ein als deutscher Terrorist Jack Gruber – und nein, danach habe ich ihn im Interview nicht gefragt. Dieses Image als Bösewicht wurde er bis heute nicht los. Immerhin ist er ja auch Brite. Ben Kingsley, Tom Hiddleston und Mark Strong können ein Lied davon singen (oder eine Werbung  drehen). Tatsächlich könnte Alan Rickmans Rollenwahl viel eher als eine Ansammlung an missverstandenen Außenseitern und durch und durch menschlichen und deshalb so gar nicht fehlerfreien Charakteren beschrieben werden.

Alan Rickman im Harry Potter-Universum

Die Erhabenheit auf dem Thron

Mit seiner Rollen-Tradition des eigensinnigen Sonderlings bricht er auch in seinem neusten Film Die Gärtnerin von Versailles nicht. Spielen wollte er den machthungrigen und doch so tragischen und sympathischen König in seinem eigenen Film eigentlich nicht, aber ökonomische Gründe gaben den Takt vor - oder wie es im Film selbst so schön heißt, frei übersetzt - „Auch das Chaos untersteht einem Budget.“ Aber wie war es eigentlich für ihn, sich im eigenen Film zu inszenieren, frage ich.

Schrecklich.

Alan Rickman grinst schelmisch. Ihm wäre jedoch zugute gekommen, dass seine Filmrolle der eines Regisseurs gar nicht so unähnlich sei. Als König Ludwig XIV, Sonnenkönig, Symbol für den monarchischen Absolutismus, observiert er seine Umwelt, will die Kontrolle behalten, will den Überblick haben, spekuliert, lenkt, steht über den Dingen, lässt Versailles erbauen, um seine adelige Macht-Konkurrenz im Blick zu behalten.

Ja, dieser Gedanke kam mir irgendwann gegen Mitte der Dreharbeiten und ich dachte, 'Warte mal, das ist eigentlich ziemlich nützlich für mich. Jetzt einfach die Attitüde beibehalten.' (…) Aus der Sicht der Produzenten war es einfach für mich, schnell in diese und jene Szene reinzuschlüpfen, aber Ellen Kuras, die Kamerafrau, war sehr hilfreich für mich, 'Schau von oben herab.' Ebenso habe ich einen Großteil meiner Szenen mit Kate [Winslet] und Stanley [Tucci, der seinen Bruder verkörpert], gedreht, also nur zwei Leute. Wir reden bloß miteinander. Und dann 'CUT'.

Ich erschrecke, weil Alan Rickman das 'Cut' in Set-Lautstärke vor mir sitzend brüllt. Alles weitere formulierte er stets ruhig und bedacht mit seiner beeindruckenden, brummenden Stimme. Im Gegensatz dazu, wer die Rolle des Königs in Die Gärtnerin von Versailles übernimmt, war immer klar, wer die Protagonistin verkörpern solle ...

Kate Winslet und Matthias Schoenaerts in Die Gärtnerin von Versailles

Die Schönheit der Zwischenmenschlichkeit

Kate Winslet, mit der er bereits in Ang Lees Sinn und Sinnlichkeit zusammenarbeitete, war stets die erste Wahl für die Rolle der Gärtnerin von Versailles. Als Rickman das Skript vor 17 Jahren zum erste Mal las, war sie aber noch viel zu jung. Und dann kam ihm wiederum Harry Potter dazwischen. Acht Mal. Warum hat er es nach all der Zeit noch realisieren wollen? Damit die Bilder in seinem Kopf dazu endlich weg seien. Diese eigene Vorstellung des Films bekomme später am Set durch die Schauspielerei noch eine eigene Dynamik, meint er - das sei das Schönste für ihn beim Regieführen. Die Schauspieler müssten einander dafür zuhören ...

... und wenn sie einander zuhören, dann entsteht eine Energie, die echt ist. Dann hat es nichts mehr mit mir zu tun. Und da musst du es auf Film bannen.

Eben diese Ehrlichkeit fasziniert mich an seinem neuen Film. Schönheit findet sich dort, nach meiner Auffassung, in den Details und der Menschlichkeit, wenn der König seine Perücke abnimmt und als Normalsterblicher betrachtet werden will, wenn die Gärtnerin auf einen Ball eingeladen wird und keinen blassen Schimmer der Gewohnheiten des Adels hat, wenn sie in ihrer Arbeit aufgeht. Wo findet Alan Rickman diese Schönheit? Er überlegt kurz.

Hm. Mitgefühl. Ja, dort irgendwo. Schönheit wäre damit verbunden. Da es uneigennützig ist? Sich einem anderen Menschen hinzugeben oder einer Situation. Und auch hier – wenn du das machst, passieren magische Dinge außerhalb deiner Kontrolle, weil es um dasjenige zwischen den Menschen geht.

Poetisch klingt so ziemlich alles aus Alan Rickmans Mund, vor allem, wenn er über Schönheit philosophiert, die sich in der Zwischenmenschlichkeit finden lässt. Nicht so schön hingegen sei es laut Alan Rickman, Kostümfilme zu drehen.

Alan Rickman am Set

Kostümfilme sind ein Ärgernis

Alan Rickmans Die Gärtnerin von Versailles, angesiedelt am königlichen Hofe im 17. Jahrhundert, wirkt mit all seiner überschwänglichen Ausstattung jedoch überraschend modern und lebendig, was nicht zuletzt der einfachen Geschichte geschuldet ist, dem klaren Drehbuch mit „magischer und ehrlicher Qualität“ und der Tatsache, dass Kate Winslets Figur der eigenständigen Landschaftsarchitektin zur damaligen Zeit noch gar nicht existieren hätte können. Hat Alan Rickman denn ein Faible für Kostümfilme? Er verzieht die Mundwinkel nach unten.

Nicht im geringsten. Es ist eigentlich ein Ärgernis, dass dieser Film ein Kostümfilm ist.

Er lacht über seine Antwort.

Es macht alles viel komplizierter, als wenn der Film einfach in den Straßen Berlins spielen würde. Die Geschichte könnte an jedem anderen Ort zu jeder anderen Zeit spielen.. (…) Ich will, dass die Leute die damalige Zeit sehen und sie wieder vergessen. Sodass sie nur die Leute sehen.

Damit dies geschieht, müsse man daran arbeiten, meint er. Dass der Film so lebendig und real wirkt, sei dem Drehbuch und der Sprache von Allison Deegan zu verdanken, betont er mehrmals.

Alan Rickman als König Ludwig XIV in Die Gärtnerin von Versailles

Die Einsamkeit auf dem Thron

Dass Alan Rickman seit seiner ersten Filmregiearbeit 1997, The Winter Guest, bis zur Gärtnerin von Versailles keine Produktion geleitet hätte, ist ein Trugschluss, da der Künstler in der Zwischenzeit bei zahlreichen Theaterstücken Regie führte. Alles drehe sich, wenn man das Zepter in der Hand halte, um die Balance des Ordentlichen und Chaotischen.

Es gibt Ordnung und Chaos, denn im Englischen heißt der Film Ein wenig Chaos. Und das sitzt direkt neben Jede Menge Ordnung. (…) Es ist eine delikate Balance.

Diese Balance zwischen Ordnung und Chaos spielt in Die Gärtnerin von Versailles eine zentrale Rolle. Kate Winslet hat als Architektin Sabine DeBarra neue und frische, auf den ersten Blick chaotische Absichten, einen Brunnen im perfekt designten Versailles zu gestalten. Wie viel Freiheit gewährt König Louis, gespielt von Alan Rickman selbst, in seinem durchstrukturieren Machtgefüge? Am Ende findet sich die Protagonistin im Chaos und ordnet damit ihr Leben. Der König hingegen bleibt als traurige, einsame Figur zurück, die den Thron für sich alleine hat. Er schafft Ordnung und verliert sich darin.

Es geht ums Alleinsein, das ist ein wichtiges Element im Film. Und im Leben und der Arbeit eines Regisseurs.

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