Auf Jesses und Celines Spuren durch Wien

04.02.2017 - 10:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Isn't everything we do in life a way to be loved a little more?Warner Bros./moviepilot
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Wie oft schon hat ein Film in euch den heimlichen Wunsch ausgelöst, euch die Orte, die eben noch auf der Leinwand waren, selbst anzusehen, zu erleben? Am Ende fahrt ihr dann doch nicht. Aber warum eigentlich nicht? Weil es ja nur ein Film ist? Zählt nicht...

Der Kommentar der Woche stellt euch jedes Wochenende einen Kommentar vor, der die ein oder andere so begeistert hat, dass er uns vorgeschlagen wurde. Ob ein hoffnungsloser Romantiker darauf besteht, dass eine tragische Liebe über den Film hinaus glücklich enden wird; ob die Autorin nach 10 Jahren eine alte Serienliebe wieder entdeckt hat, und alles anders ist; oder ob es, wie heute, eine Reise ist, die von einem Film inspiriert wurde - alles, was euch begeistert, kann hier stehen! Ich müsst uns nur Bescheid sagen...

Der Kommentar der Woche
Wirklich große Filme werden nicht älter und begeistern uns immer noch wie am ersten Tag. Vielleicht liegt es daran, dass Richard Linklaters Drehbuch so simpel, sein Film so leise und doch so unvergesslich war. Oder an Julie Delpy und Ethan Hawke, deren Spiel und Dialoge so wahr sind, dass wir uns jedes Mal aufs Neue mit ihnen verlieben. Und nicht zu vergessen, die dritte Hauptdarstellerin von Before Sunrise: Wien! So schön, so voller Erinnerungen, dass Kamil90 sich auf die Spuren von Jesse und Celine gemacht hat...

Dies soll ein Kommentar der etwas anderen Art werden - meiner Bewertung kann man bereits ansehen, wie sehr mir der Film gefallen hat. Vor einigen Jahren in intimer Zweisamkeit das erste Mal erlebt, hat mir Jesses und Celines Begegnung in Wien schon damals das Herz höher schlagen lassen, so naturalistisch und von jungen Idealen geprägt hat es Regisseur Linklater verstanden, den Akt des Erkennens und der schicksalhaften Begegnung, das sich gemeinsame Kennenlernen und Philosophieren hier in Szene zu setzen. Für mich geht einfach eine schier hoffnungsvolle Magie von diesem Film aus, die auf mich eine überaus inspirierende Wirkung hatte.

Wie inspirierend sollte sich vor etwa einem Monat zeigen, als ich wieder ein Mal - mittlerweile alleine - den Film an einem regnerischen Nachmittag eingeschoben hatte und am Ende wieder so bewegt war, dass es für mich nur einen logischen Entschluss gab: ich musste nach Wien! Gesagt, getan - schnell wurde online ein billiger Flug gefunden und meine Vorfreude stieg ins Unermessliche. Schon immer - längst bevor ich den Film kannte - wollte ich Wien mal einen Besuch abstatten, schließlich war es einst wohl DIE kulturelle Hochburg Europas. Zudem hatte ich schon immer mal davon geträumt, ehrfürchtig vor Beethovens Grab zu stehen. Am besagten Nachmittag hatte der Film jedoch so eine gewaltige Wirkung auf mich, indem er diese Sehnsucht wieder so stark in Bewusstsein drängte, sodass er den letzten Ausschlag dafür gab, dort hinzufliegen.

Neben vielen Empfehlungen und anderen historischen Stätten hatte ich dennoch den klaren Plan gefasst, auch den entsprechenden Drehorten des Films einen Besuch abzustatten und zu schauen, wie sie auf mich wirken würden, wenn ich mittendrin stehe. Vielleicht mögen es einige vielleicht als "bedauerlich und traurig" empfinden, dass ein alleinstehender Kerl, sich aufmacht, um den Spuren eines fiktiven Paares zu folgen, aber ich kann an dieser Stelle bloß auf das Ende des Films verweisen, in der noch mal alle Orte in Wien, die von Jesse und Celine während ihrer Nacht durchwandert wurden, nun im glitzernden Licht des Sonnenaufgangs gezeigt wurden. Für dieses besagte fiktive Paar würden diese Orte, die teilweise recht unscheinbar wirkten, immer mit besonderen Erinnerungen an diese Nacht verbunden sein - wir Menschen projizieren so viel von uns selbst in die Dinge und Menschen um uns herum hinein, dass wir ihnen eine Bedeutung beimessen, die für andere zunächst nicht ersichtlich sein muss. Obwohl ich diese Orte noch nicht real aufgesucht hatte, die Geschichte dort nicht selbst erlebte, hatte ich sie schon mit Bedeutung gefüllt - der Film bedeutete mir eben sehr viel. Er gab mir Hoffnung - Hoffnung, dass solch eine Person noch da draußen darauf wartete, von mir entdeckt zu werden, der Glaube an naive Ideale und dieses schöne Gefühl des nächtlichen Spaziergangs. Ich hatte schon so viel dort hinein projiziert und musste sie einfach aufsuchen und sie mit meiner eigenen Bedeutung füllen, die jetzt auch nicht nur unbedingt darauf hinauslief, dort die Frau meines Lebens treffen zu wollen ;-)

Dies soll also nun ein kleiner Reisebericht werden, in dem ich nur paar kleine Highlights erwähnen und erzählen möchte, wie dieser Trip vielleicht auch retrospektiv meine Filmerfahrung gewandelt hat.

Zunächst fiel bei meiner Planung sofort auf, dass die Route, welche die beiden offensichtlich ausgewählt haben, absolut keinen logischen Sinn ergab und innerhalb dieser weniger Stunden auch kaum zu bewältigen war. Die entsprechenden Sehenswürdigkeiten, die im Film augenscheinlich aufeinander folgten, sind teilweise kilometerweit voneinander entfernt und springen relativ lose hin und her ohne einer logistischen Logik zu folgen. Kleines Beispiel: suggeriert die erste Szene in Wien nach dem Zugaustieg auf der Brücke, dass diese direkt vor dem Westbahnhof liegen müsste, so ist sie zu Fuß fast eine Stunde vom Zuggleis entfernt und Jesse und Celine, die hier wirken, als würden sie erst das Eis miteinander brechen müssen, hätten sich theoretisch schon lange unterhalten müssen. Am ehesten fällt jedoch der Besuch beim "Friedhof der Namenlosen" aus der Reihe - ein ungemein friedlicher Ort, auf dem eine eigenartige Schwere lag, der aber viel zu weit vom Zentrum Wiens entfernt liegt, als dass die beiden ihn hätten rechtzeitig aufsuchen können. Gut versteckt ist er auch noch! Ich musste mit öffentlichen Verkehrsmitteln mehrere Endhaltestellen anfahren und mich am Ende die letzten Meter noch durch eine Hafenanlage kämpfen, in der überall gearbeitet wurde und mir beschäftigte Menschen böse Blicke zuwarfen, als wäre dort der Zutritt untersagt. Eine 13-jährige Elisabeth war dort auch nicht zu finden - war wohl eine Erfindung des Films, denn ich glaube nicht, dass die Donau neue alte Leichen angespült hatte ;-) Ich muss gestehen, ein gaaaanz klein wenig, bricht es schon die Illusion, die beiden würden einfach durch die Stadt schlendern, aber gleichzeitig kann man es dem Film auch schon wieder als Kompliment auslegen: mittlerweile ist mein "suspension of disbelief" bei Filmen schon so weit fortgeschritten, dass man über kaum mehr was ins Stolpern gerät und doch wirkt "Before Sunrise" in jeder Hinsicht - ob Dialog oder Schauspielkunst - so natürlich, dass allein die unlogische Route durch die Stadt im Nachhinein etwas irritierend wirkt ;-)

Auch merkt man dem Film durchaus an, dass er (obwohl er von all den Hollywood-Klischees bereits getilgt ist) eine recht amerikanische Sicht von Europa aufzeigt, denn ich kann versprechen, dass in Wien kulturelle Angebote zwar groß geschrieben werden, aber eben doch nicht an jeder Ecke irgendwelche Poeten, Bauchtänzer, Musikkünstler und Wahrsager ihr artistisches Unwesen treiben und die Menschen für sich gewinnen wollen.

Ein Highlight war für mich definitiv die Fahrt mit dem Wiener Riesenrad am Prater, auch wenn es bei mir zu keinem Kuss kam, obwohl ich den Besuch schon bewusst so abgestimmt hatte, dass er mit dem Sonnenuntergang zusammen fallen würde ;-) Denn trotz der Sicht auf das schöne Wien, die tatsächlich atemberaubend ausgefallen war, so erregte auch etwas anderes schnell meine Aufmerksamkeit: in der Gondel des Riesenrads, in die mich mich begeben hatte, war an den Holzverkleidungen mittlerweile alles vollgekritzelt worden - meist mit den Namen der Touristen dort, belanglosen Obszönitäten und irgendwelchen Pärchen, die sich dort verewigt hatten, doch mir kam noch ein anderer Gedanke: was wäre, wenn jemand anderes diesen kleinen Independent-Klassiker ebenfalls ins Herz geschlossen und den Besuch der Gondel so unweigerlich mit Jesses und Celines Romanze assoziert hätte, dass er seinen Jüngern eine entsprechende Nachricht hinterlassen würde? Und tatsächlich fand sich eine kleine Botschaft für uns Pilger, nachdem ich die Gondel genauer inspiziert hatte - "Before Sunrise" ausgeschrieben mit einem kleinen Herz drum herum geformt. Die Leute haben sich vermutlich etwas gewundert, warum ich plötzlich die Holzverkleidung und nicht die Aussicht fotografiert habe und ich kann auch nicht genau erklären warum, aber irgendwie hat mich allein dieser Umstand mit einem extrem breiten Grinsen aus der Gondel entlassen!

Lustig war auch mein Besuch im 'Kleinen Café', wo Jesse und Celine damals von der Wahrsagerin ihre Zukunft vorhergesagt bekommen haben. Von ihr fehlte zwar jede Spur, doch eine andere Person traf ich dort überraschenderweise an, die ebenfalls in Verbindung mit dem Film stand. Eigentlich hätte ich mit dieser Person schon fast rechnen müssen, weil ich darüber mal im Netz was gelesen hatte, doch war mir diese Tatsache zu diesem Zeitpunkt schon wieder aus dem Hirn geflüchtet - als er mir jedoch plötzlich gegenüberstand, erkannte ich ihn sofort und die Erinnerung an das Gelesene schoss mir blitzschnell zurück: Hanno Pöschl! Der Besitzer des Cafés ist gleichzeitig österreichischer Schauspieler und spielte damals vor 20 Jahren in Before Sunrise den Mann des sich streitenden Ehepaares im Zug, welches Celine erst dazu veranlasst hatte, den Sitzplatz zu wechseln. Angesprochen hatte ich ihn, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, darauf jedoch nicht - nachdem ich sein extrem männliches Gelächter vernommen hatte, kam mir die Vorstellung, dass dieser dümmliche Piefke davon berichteten sollte, als Kerl sein Café bloß wegen eines Liebesfilms aufgesucht zu haben, doch etwas lächerlich vor, aber trotz Barts und einer wesentlich fülligeren Figur habe ich ihn zu 100% erkannt - so waren die einzigen Sätze, die wir miteinander austauschten, bloß die Bestellung meines Bieres. Unterhalten habe ich mich dann stattdessen lieber doch mit zwei Kunststudenten, die ich dort kennengelernt hatte und die mir nach paar Bierchen die Bedeutung von Beton für die Kunst der Nachkriegszeit näher gebracht haben. Kultur findet man in Wien eben doch überall ;-)

Insgesamt war es ein wirklich schöner Ausflug und ein Traum, den ich mir schon lange erfüllen wollte. Wien ist eine so tolle Stadt, bei der fast jedes Gebäude eine bedeutsame Geschichte loswerden möchte, dass ich wirklich dankbar dafür war, dass all die Filmlocations teilweise so weit voneinander entfernt und ich - der meist zu Fuß unterwegs war - auf den Weg dorthin mich immer in mir noch Unbekanntes verliebte und über jede Verirrung glücklich war. Der Film hat definitiv nicht zu viel versprochen und mich damit sprichwörtlich in eine andere Welt entführt - insofern kann ich ihm nur dankbar für diese tolle Inspiration und Erfahrung sein. Nun werden also all diese Orte nicht bloß mit einer fiktiven Geschichte, sondern auch mit von mir selbst durchlebten Erinnerungen an meine eigenen Erlebnisse dort angereichert werden. Ich bin gespannt, wie sich das bei einem erneuten Anschauen des Films niederschlagen wird!

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