Außer Atem - Wie ein Film das Medium verändern wollte

17.10.2017 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Außer AtemNEUE VISIONEN Filmverleih Soergel/Frehse GbR
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Mein Herz für Klassiker schlägt diese Woche für Außer Atem. Der Film von Jean-Luc Godard zählt zu den einflussreichsten Filmen der Nouvelle Vague. Lest hier, was mich an dem Film fasziniert.

Wir schreiben das Jahr 1954. Seit drei Jahren existiert die Zeitschrift Cahiers du cinéma. Einer der Chefredakteure war André Bazin, als Autoren waren unter anderem François Truffaut, Eric Rohmer und Jean-Luc Godard tätig. Sie sollten später mit der Nouvelle Vague eine der bedeutendsten Stilrichtungen des Kinos initiieren und prägen. In diesem Jahr, 1954, wurde der Artikel "Eine gewisse Tendenz im französischen Film" von Truffaut veröffentlicht und er markiert den Beginn dieser Bewegung.

Jean-Luc Godard und Fracois Truffaut

Die Nouvelle Vague

Der Artikel ist eine Kampfansage an das etablierte Kino. In ihm attestiert Truffaut dem französischen Kino, kaum noch gute Filme zu produzieren. Von den etwa 100 Filmen, die jährlich in Frankreich produziert werden, seien nur etwa zehn bis zwölf wirklich gut - nämlich jene, die Preise bei Filmwettbewerben erhalten. Doch er kritisiert auch diese Filme, da sie meist auf literarischen Werken beruhen, die von den wenigen fähigen Drehbuchautoren für den Film umgeschrieben werden. Die Autoren verfolgten ein Schema, das das literarische Werk in drehbare und nicht drehbare Szenen unterteilt. Dadurch käme es zu einer künstlerischen Monotonie im französischen Kino. Truffaut sah sich in der Pflicht, diese Tatsache aufzudecken und einen Gegenentwurf zu beschreiben. Er sah die Regisseure in der Pflicht, eigene Drehbücher zu schreiben, da nur sie dem Medium Film genügend Liebe entgegenbrachten.

Neben der Forderung, dem Regisseur mehr Freiheiten zu geben, verlangten die Regisseure eine Abkehr vom klassischen Kino. Sie wollten weg von einem illusionären und hin zu einem Kino, das die Wahrheit widerspiegelt. "Photographie, das ist die Wahrheit. Und der Film ist die Wahrheit 24 mal in der Sekunde," lautet der wohl meistzitierte Ausspruch von Godard. Sie wollten "echtes" Kino machen. Und einer der ersten Filme, der dieser Forderung nachkam, war Godards Außer Atem.

Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg in Außer Atem

Außer Atem (1960)

Der Film folgt dem Kleinkriminellen Michel Poiccard (Jean-Paul Belmondo), der mit einem gestohlenen Wagen nach Paris fährt. Auf dem Weg gerät er in eine Polizeikontrolle, wo er einen Polizisten erschießt. Fortan ist er auf der Flucht. In Paris findet er Unterschlupf bei seiner Liebe Patricia, einer zwanzigjährigen Amerikanerin. Während die Polizei ihm immer näher kommt, liegt es irgendwann in Patricias Händen, ihn zu verraten oder eben nicht.

Das, was den Film charakterisiert, ist jener Bruch mit verkrusten Film-Konventionen, wie ihn die Tendenzen der Nouvelle Vague einforderten. Es ist die unorthodoxe Erzählweise, die ungewohnten, filmischen Mittel, die den Film neuartig und radikal erscheinen lassen. Godards Ansatz war es, einen Film ohne Regeln zu realisieren. Dieser Ansatz lässt sich im Verhalten von Michel wiederfinden. Michel, das ist ein narzisstischer Protagonist, der sich allen Konventionen und Zwängen der Gesellschaft wiedersetzt und dadurch (scheinbar) Freiheit erlangt.

Außer Atem

Der Film als Film

Die Aspekte, der mich am meisten faszinieren, sind jedoch die Werkzeuge, die die filmische Darstellung formen: die Kamera und der Schnitt. Zum einen wurde der Film nur an Originalschauplätzen gedreht und auf künstliches Licht komplett verzichtet. Zum anderen wurden auch die natürlichen Hintergrundgeräusche des Drehortes aufgenommen, sie geben dem Film etwas, was ich organisch nennen möchte. Der Film wirkt durch die ungefilterte Realitätswiedergabe einfach äußerst lebendig. Ich habe immer das Gefühl, dass die Welt "abseits" der Kamera weiterexistiert.

Auffällig sind hier auch die Brüche mit dem Fiktionspakt, etwa in der Szene, in der Michel im Auto sitzt, sich plötzlich zur Kamera wendet und anfängt, mit dem Zuschauer zu reden. Durch die Jump Cuts gerät zudem die Kontinuität des Films ins Schleudern und die Asynchronität des Tons verwirrt die Wahrnehmung. All das stört die üblichen Mechanismen der Unterhaltung und so die Absorbierung des Zuschauers durch den Film. Der Film will nicht, dass ich vergesse, dass ich einen Film schaue. Er will mich stattdessen (wie Brecht sagt) daran erinnern, dass ich einen Film schaue, indem ich über die reflexive Kraft des Mediums Films nachdenke. Außer Atem gibt mir stets zu verstehen, dass er ein Film ist. Und er macht mir klar, dass ich gerade willentlich einen Film schaue, den ich nicht schauen muss.

Oben habe ich geschrieben, dass Außer Atem eine Abkehr vom klassischen Kino darstellt. Dies stimmt nur zum Teil. Diejenigen, die den Film gesehen haben, entdecken Godards Verehrung des amerikanischen Films in vielen Szenen. Etwa bei Michel, der wie ein amerikanischer Gangster daherkommt und einen auf Humphrey Bogart macht und zu Beginn ein amerikanisches Auto klaut. Der Film strotzt nur so vor Referenzen auf verschiedene Genres, etwa dem amerikanischen Noir- oder Heist-Film. Doch was den Film auszeichnet, ist das Selbst-Bewusstsein. Godards Film ist eine Hommage an den amerikanischen Film, funktioniert jedoch eher wie ein Spiegel, der die Dinge verzerrt. Es ist kein Zufall, dass im Film haufenweise Spiegel gezeigt werden. Außer Atem weiß, dass er die amerikanischen Filme zitiert, doch weiß gleichzeitig um seine Unfähigkeit, an diese Filme heranzukommen. Dadurch erlangt der Film ein Bewusstsein und kann mit den Zitaten jonglieren, wie es ihm gefällt.

Jean Seberg als Patricia Franchini

Also noch mal. Was mag ich an Außer Atem? Es ist die Innovation, die Originalität, der Wille dazu, neue Wege zu finden eine Geschichte zu erzählen. Es ist der Bruch mit dem, was Hollywood vorschreibt und die durch den Bruch gewonnene Energie, die mich fasziniert. In Außer Atem geht es mir nicht nur um die Geschichte im Film, sondern um die Geschichte des Films als Medium und wie Außer Atem sie verändert hat.

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