Berlinale 2016 - Sand Storm und die Kraft des israelischen Kinos

13.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Sand Storm (Elite Zexer, 2016)
2-Team Productions
Sand Storm (Elite Zexer, 2016)
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Auf dem Sundance Film Festival sorgte Sand Storm von Regisseurin Elite Zexer bereits vor ein paar Wochen für Jubelstürme. Nun läuft er im Panorama der 66. Internationalen Filmfestspiele von Berlin. Doch was macht das israelische Drama so herausragend?

Nachdem Sand Storm, das Spielfilmdebüt von Regisseurin Elite Zexer, zu Beginn des Jahres in Sundance für Begeisterung sorgte und dort in seiner Eigenschaft als Drama mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, hat es das Werk nun ins Panorama der Berlinale 2016 geschafft. Die Geschichte um die junge Layla (Lamis Ammar) ist in einem israelischen Beduinendorf der Gegenwart angesiedelt, in dem vor allem Herkunft und Familie eine entscheidende Rolle hinsichtlich der sozialen Stellung im Gesellschaftsgefüge spielen. Traditionelle Werte werden hier (noch) ganz groß geschrieben: Die Geschlechterrollen sind klar verteilt und ein Ausbruch aus dem System scheint unmöglich - wenngleich Layla in einer der ersten Szenen des Films von ihrem Vater, Suliman (Hitham Omari), das Autofahren beigebracht bekommt. Das nächste Mal will er ihr sogar zeigen, wie ein Überholmanöver korrekt ausgeführt wird. Letzten Endes soll es allerdings nie dazu kommen.

Die verheerende Niederlage wird gleich in den ersten Minuten beschrieben: Layla wirft ihrem Vater einen Blick zu, der die Enttäuschung bereits erahnt. Genauso schnell wird klar, dass es in Sand Storm nicht alleine ums Autofahren geht, sondern um viel mehr. Das Überholmanöver ist nicht nur auf der Straße von Belang - nein, Layla will komplett überholen, ihr altes Leben hinter sich zurücklassen und sich in eine vielversprechende Zukunft stürzen. Allerdings droht sie, an den konservativen Werten ihrer Heimat zu ersticken. Nicht einmal die (anfangs heimliche) Beziehung zu ihrem Freund, den sie in der Schule kennengelernt hat, wird von ihren Eltern toleriert. Zuerst verbietet ihr die Mutter, Jalila (Ruba Blal), jeglichen Kontakt mit dem fremden Jungen aus der Stadt. Dann bekommt ihr Vater von der Sache Wind und dreht richtig durch. Obwohl er sich selbst mittlerweile in der zweiten Ehe befindet, will und kann er es nicht zulassen, dass seine Tochter ihren eigenen Weg geht.

Besonders spannend gestaltet sich dabei, wie Elite Zexer die Sympathien der Eltern im Verlauf des Films verteilt. Wo anfangs noch der Vater modern und aufgeschlossen schien, stellt sich am Ende das exakte Gegenteil heraus. Die Mutter hingegen erkennt im Verlauf der Zeit den Wahnsinn der Situation und schlägt sich schließlich auf die Seite ihrer Tochter - inklusive einem gewaltigen Opfer, das sie selbst erbringen muss. "Was hast du nur getan?", fassungslos blickt Jalila ihren Mann an, der jedes Mal die gleiche Antwort entgegenhält: "Ich habe getan, was ich tun musste." Suliman zweifelt nicht einmal für den Bruchteil einer Sekunde daran, dass jemand seine Rechtfertigung infrage stellen könnte. Das männliche Geschlecht hat in seiner Welt das Sagen, also diktiert er in seiner Familie die Regeln, selbst, wenn diese daraufhin vollständig auseinanderbricht. Dass das aber überhaupt nicht sein muss - dieser Überlegung verwehrt sich Suliman vehement.

Natürlich betritt Sand Storm hinsichtlich der zentralen Konflikte kein Neuland - die geschilderten Verhältnisse sind altbekannte Problemfälle. Im Umkehrschluss bedeutet dieser Umstand allerdings keineswegs, dass Sand Storm ein überflüssiger, gar belangloser Film ist. Was Elite Zexer hier an Beobachtungen abliefert, ist absolut herausragend, über die Maßen ausgewogen und definitiv relevant. Alleine die Klarheit, mit der sich die Regisseurin der schwierigen - weil komplexen wie sensiblen - Thematik annähert, ist grandios. Selten können die Figuren die korrekte Entscheidung treffen. Zu viele Dinge gibt es zu beachten. Angefangen bei der Familie über die Verwandtschaft bis hin zur eigenen Selbstverwirklichung: Besonders für Layla ist es unmöglich, allen Erwartungen, die an sie gestellt werden, gerecht zu werden. Die Last der Ansprüche ist erdrückend. Elite Zexer findet dennoch den notwendigen Überblick, um die einzelnen Konflikte auf den Punkt zu bringen.

Dabei entstehen immer wieder filmische Räume, die sowohl als Metapher dienen als auch - praktisch gedacht - als Schauplatz. Schon der Schritt über die Türschwelle entpuppt sich als unüberwindbare Hürde, ganz zu schweigen vom Vorhof des Hauses, der sich aufgrund der Wäsche, die dort zum Trocknen hängt, in ein unergründlichen Labyrinth verwandelt. Und das Schlimmste: Layla kann sich nie sicher sein, welches Unheil sich hinter dem nächsten flatternden Bettlaken versteckt. Jetzt bleibt ihr nur eine Wahl: Sich vorsichtig vortasten, denn ein Happy End wird sie nicht erhalten, obgleich sich mehrmals die Möglichkeit dazu offenbart. Dafür ist Sand Storm viel zu klug, viel zu weitsichtig, um die wertvolle Vorarbeit in glückseliger Belanglosigkeit zu vernichten. Anstelle überstürzt einen idyllischen Sonnenuntergang heraufzubeschwören, beweist Elite Zexer Geduld und Hoffnung. Der Erfolg ist ein kleiner Fortschritt, der von Generation zu Generation entsteht.

Es ist eine überaus realistische Einschätzung, dass die Veränderung durchaus der Zeit unterlegen ist - völlig egal, wie sehr man sie zu beeinflussen versucht. Wenn Layla zum Schluss einen Schritt wagt, der alleine auf ihren Schultern lastet, dann ist es gleichzeitig einer in Richtung Veränderung. Und wenn diese stattfindet, dann prägt sie umso nachhaltiger. Dass es bis dahin jedoch ein weiter und steiniger Weg ist, das dokumentiert Elite Zexer in Sand Storm mit berührenden wie kraftvollen Bildern.

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