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Bilder lügen nicht – über ein Kino der Verschwörung(stheorien)

16.09.2023 - 20:00 UhrVor 7 Monaten aktualisiert
Johnny Depp in The Ninth Gate
BAC Films
Johnny Depp in The Ninth Gate
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Die Verschwörung bildet ein beliebtes Motiv in der Film- und Fernsehgeschichte. Vom psychologischen Paranoiakino Roman Polanskis bis zu den Mafia-Epen Martin Scorseses. Doch welche Verbindungslinien lassen sich zwischen dem Kino und Verschwörungstheorien finden?
Rosemarys Paranoia
Wenn ich an ein Kino der Verschwörung denke, kommt mir zuerst Roman Polanski in den Sinn. Im Laufe seiner nunmehr sechs Jahrzehnte umspannenden Filmkarriere verstand es der französisch-polnische Filmemacher wie kein zweiter, seine Figuren in eine ontologische Sinnkrise zu stürzen – sei es die von Wahnvorstellungen geplagte Carol Ledoux (Catherine Deneuve) aus dem klaustrophobischen Frühwerk Repulsion (1965), die von Mia Farrow gespielte Rosemary aus Rosemary‘s Baby (1968) oder der Buchhändler Dean Corso (Johnny Depp) aus dem apokalyptischen Recherchethriller The Ninth Gate (1999). Fast den gesamten Handlungsverlauf befinden wir uns mit den Protagonisten dieser Filme in einer Schwebe der Uneindeutigkeit: wird die Welt um uns herum immer verrückter oder sind wir es, die allmählich den Verstand verlieren?

Das Spiel dieser Filme ist eines mit der Wahrnehmung seines Publikums, das Polanski über die begrenzte, subjektivistische Erzählweise an seine Protagonisten koppelt. Unser Urteil über die Wirklichkeit und die Legitimität unserer Paranoia ist dabei genährt von leisen Verdachtsmomenten, die sich auch genauso gut als bloße Hirngespinste herausstellen könnten. Der Zweifel an der eigenen Wahrnehmung wächst sich bei Polanski auf diese Weise zu einer waschechten Identitätskrise aus. Bin ich wirklich der, der ich zu glauben bin? Ist die Welt wirklich das, was sie vorgibt zu sein?

Verschwörungen im Kino
Die Verschwörung bildet aber auch abseits (eher) cinephiler Kreise eine beliebte Trope in den Erzählungen Hollywoods – denken wir nur an die überaus erfolgreichen Buchadaptionen The Da Vinci Code (2006) und dessen Fortsetzung Angels and Demons (2009), die beliebte Verschwörungstheorien um historische Geheimgesellschaften zum Ausgangspunkt einer detektivischen, symbolträchtigen Hetzjagd nehmen. Denken wir auch an Oliver Stone, der ausgewählte Verschwörungstheorien zur Ermordung John F. Kennedys in JFK  (1991) zu einer kohärenten, komplex montierten Verschwörungserzählung zusammenführte. Auch an die übersehenen, aber umso sehenswerteren Blow out (1981) von Brian de Palma und David Robert Mitchells Under the Silver Lake (2018) möchte ich erinnern.

Am Grunde jedes zweiten Spionagefilmes, von Bond bis Bourne, steht eine Form von Verschwörung, ebenso in etlichen Superhelden- und Actionflicks. Jede kriminelle Vereinigung gründet sich auf einer verschwörerischen Absprache, jeder Mafiafilm, ein nicht unbeträchtlicher Teil von Scorseses Filmographie also, kann zum Kino der Verschwörung hinzugezählt werden. Oft sind es die staatlichen Institutionen, die dabei von feindlichen, oft inneren Kräften unterwandert werden, etwa die Bostoner Polizei in The Departed (2006), die CIA in Three Days of the Condor (1975) oder die fiktive Behörde S.H.I.E.L.D in Captain America: The Winter Soldier (2014).

Eine Spur aufnehmen
Das Kino wäre ohne Verschwörungen also um einiges ärmer. Die heimlichen Machenschaften, die doppelten Böden und die Entlarvung ebenjener Netze, die aus dem Verborgenen die Geschicke der Welt bestimmen, bilden schließlich ausgezeichneten Nährboden für spannende Geschichten. Am Grunde dieser Geschichten steht die Überzeugung, dass die Welt nicht so ist, wie sie scheint. Dabei vollziehen solche Erzählungen oft dieselbe, narrative Doppelbewegung: 1. die Hauptfigur erkennt die Lüge, die ihre Welt ist, und 2. sie entlarvt die Lüge und bringt die Wahrheit ans Licht.

Wo, wenn nicht im Kino, können wir also auf eine Antwort hoffen, die der komplexen Wirklichkeit zumindest für ein paar Stunden ihre gleichermaßen einschüchternde wie überwältigende Strahlkraft nimmt. In den Bilderwelten des Kinos gibt es keine Zufälle – jede Einstellung ist arrangiert, jede Figur und jede ihrer Handlungen das Produkt eines dramaturgisch ausgefeilten Drehbuchs. Unsere Faszination mit Geschichten und unsere Faszination mit Verschwörungstheorien sind dabei gar nicht so unterschiedlich – sie entstammen denselben, psychologischen Bedürfnissen nach Kausalität und Sinnzusammenhängen, folgen demselben Reflex, einer (in ihrer Komplexität) immer sichtbarer werdenden Welt entfliehen zu wollen. Ja, ich würde sogar behaupten, dass zwischen dem Kino und der Verschwörungstheorie ein ganz unmittelbarer, struktureller Zusammenhang besteht. Doch um diesen Zusammenhang verstehen zu können, müssen wir zuerst ein paar Jahrzehnte zurückgehen …

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