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Blood on the Dance Floor - Scissors

29.10.2016 - 13:58 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Dark Fantasy Records
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Ich hatte einfach Lust, mich mit dem letzten Album dieser Ausnahmeband etwas länger zu beschäftigen, daher gibt es außerhalb meiner Musikecke eine seperate Review.

Jahr: 2016

Genre: Pop, Dance, Ambient, Synth-Pop

Anspieltipps: Ringleader, Safe World (New), No Regrets

Ich glaube, kein Musik-Act hat mich jemals so dermaßen zwiespältig zurückgelassen wie das Crunkcore-Duo Blood on the Dance Floor. Die qualitativen Extreme, zwischen denen diese Band schwankt, suchen ihresgleichen. Von kaum anhörbar mies ("Frankenstein + the Bride", "Bewitched", "Revenge Porn") bis absolut gottgleich und orgasmisch perfekt ("Unforgiven", "Where's My Wonderland", "Unchained") gibt es da ALLES. Ich habe in den letzten Wochen nahezu ausschließlich Blood on the Dance Floor gehört, so dermaßen geil finde ich ihre Musik, zumindest die Alben "Bad Blood" und "The Anthem of the Outcast", sowie zu großen Teilen "Evolution". Ohne zu zögern würde ich mir ein Fanshirt holen, was ich wohl bald auch tue, und sie zu meinen absoluten Lieblingsbands zählen; trotzdem gibt es eine Vielzahl an Songs, die ich beim besten Willen nicht länger als 30 Sekunden durchstünde. Es liegt aber denke ich vor Allem daran, dass die Band einfach an Erfahrung dazugewonnen hat, und zu früh mit ihrem Output begann.

Nochmal als kleines Recap vergangener Reviews: die älteren Alben des Duos sind für mich überaus fehlerbehaftet; roter Faden, gute Texte, Taktgefühl und halbwegs gelungener Gesang gehörten nicht gerade zu den Stärken ihrer Werke (dies betrifft ihre ersten 2 Amateuralben "Let's Start a Riot" und "It's Hard to be a Diamond in a Rhinestone World", sowie die ersten beiden zumindest in kleiner Auflage erhältlichen Studiowerke "Epic" und "All the Rage!!"). Was immer schon funktionierte waren die Instrumentals, welche damals noch recht quirlig und verspielt waren, und das Emo-Image, welches das Duo später vertrat, nicht widerspiegelten. Dann folgte mit "Evolution", dem Namen naheliegend, ein Entwicklungsschritt in die richtige Richtung. Es ist qualitätsschizophren und beinhaltet neben den altbekannten Unfällen auch einige richtig gute Songs wie "Unforgiven" und "Hollywood Tragedy", welche wesentlich besseres Songwriting und zwar nicht aufregenden, aber zweckdienlich akzeptablen Gesang boten. Erstmals hat man sich auch an ernsten Themen versucht und Dramatik hereingebracht. Die Produktion war außerdem nicht nur ziemlich gut, sondern bahnbrechend fantastisch. Die beiden Nachfolger "The Anthem of the Outcast" und "Bad Blood" waren dann sogar noch um ein Vielfaches besser und verzichteten - bis auf ein zu schnulziges Liebeslied - gänzlich auf Fehltritte, es war ein reines Fest für mich.und jeden, der richtig durchgeknalltes und trotzdem eingängiges Zeugs liebt. Dann, muss ich zugeben, habe ich sie aus den Augen verloren wie Tränen, denn aufgrund schlechter Verkaufszahlen veröffentlichten sie alle nachfolgenden EPs sowie ein weiteres Album exklusiv auf ihrer Website USA-intern, oder auf iTunes, welches ich als Urzeitbewohner und CD-Käufer nicht besitze. Jedenfalls kündigten Dahvie Vanity und Jayy von Monroe an, dass sie sich musikalisch trennen würden, um Solokarrieren zu starten; das hier reviewte Album "Scissors" würde ihr letztes sein. Leider auch wieder nicht regulär auf Amazon zu kaufen, aber YouTube ist mein Freund, weshalb ich es trotzdem hören konnte. Ich werde mir aber wohl bald iTunes und damit auch den Rest ihrer Diskografie besorgen, also keine Sorge, ich hole mir das bald schon ganz rechtmäßig, auch, wenn ich mir bei Downloads so vorkomme, als würfe ich nichts echtes besitzen, da mir ein haptisches Medium fehlt.

Aber kommen wir nun zum Album.

So, mit diesen 9 Songs beendet das Duo also seine nicht ganz unumstrittene Karriere. Was uns wohl erwartet? Ich nehme es gleich vorweg: es macht meinen Gesamteindruck der Band nicht unbedingt eindeutiger. Als Einleitung hören wir zunächst einmal die Singleauskopplung, die deutlich poppiger und mainstreamiger klingt, als man es von den rappenden Dubstep-Emos gewohnt ist. Der Opener "Ringleader" erinnert, wohl durch den Takt und das ähnliche Tempo, an Britney Spears' "Womanizer", was nicht negativ gemeint ist: es ist ein Ohrwurm, welcher durch einen düster stampfenden Beat und eine starke Hook glänzt. Das ist mit VIEL Abstand das flotteste und wildeste, das wir für die nächste halbe Stunde hören werden. Es folgt der Titeltrack "Scissors", und auch dieser unterscheidet sich von dem, was man von der Band kennt, allerdings auf andere Weise. Sehr ruhig, melodisch, mit viel Hall und fast "verschwommen" wirkend hypnotisiert "Scissors" mit weichen und sanften Klängen, die man eher Talk Talk zutraut. Auch das folgende "The Age of the Young and the Hopeless" wirkt ähnlich ambientartig und ruhig. Das klingt technisch einwandfrei und wunderbar chillig, aber eben recht wenig nach Dahvie Vanity und Jayy von Monroe, die für ihre hochtrabende Freakmusik bekannt sind. Als "I'm not in Love Anymore" erneut relativ schleichend herangekrochen kommt dämmerte es mir: die beiden haben bislang noch kein einziges Mal gerappt, und ebenso wenig gescreamt. Auch Dubstep-Drops kamen nicht zum Einsatz. Das hier ist weit davon entfernt, ein Crunkcore-Album zu sein. Und dann: unter einem Drum-Gewitter bricht ein extrem geiler Chorus herein und erinnert an "Kings of Suburbia" von Tokio Hotel (Song, nicht Album). Auch der nächste Song, "Sorry Not Sorry" besitzt einen deutlich treibenderen Beat, trotzdem klingt alles immer noch relativ träumerisch und sphärisch, eher für Trip-Hop-Fans geeignet als für Leute, die mit aufgetürmten knalligen Anime-Frisuren Blut- und Spermafontänen in Videos zelebrieren. ABER: das einzige Mal auf allen Songs ist Rap zu hören, wenngleich ein sehr ruhiger. Doch passt auf: "Safe World (New)" bricht mit seinem Tempo und seinem stampfenden Techno-Beat die Stille. Ich fühle mich tatsächlich an die "Evolution"-Ära erinnert und mir wird wieder bewusst, dass ich hier in der Tat Blood on the Dance Floor höre. Auch "No Regrets", wenngleich wieder von Hall und Flanger geprägt, überzeugt durch Eingängigkeit und ein extrem starkes Instrumental. Wer immer schonmal wissen wollte, wie es klingt, wenn man Aphex Twin mit den Backstreet Boys kreuzt, sollte bei "Mess Like Me" gut zuhören, denn es erinnert an ein Mashup der "Selected Ambient Works" und "Backstreet's Back". Der Track, mit dem uns Blood on the Dance Floor letztlich aus ihrer Karriere entlassen, ist mit "Let Us All Unite" eine rein gesprochene Rede, welche Dahvie Vanity über eine pathetische Synthesizer-Symphonie vorträgt. Da war ich zugegebenermaßen ziemlich baff. Das ist ein extrem packender Moment, in dem sich für Gleichheit und Toleranz ausgesprochen wird, und hätte ich in dieser Form niemals erwartet, vor Allem, da der ziemlich gleichmäßige, fast schon meditative Fluss dadurch hochgerissen wird.

So, das war meine Track-für-Track-Review, nun kommt das Fazit.

Alle einstigen Fehler, welche ich an ihrer früheren Werkschau angeprangert habe, wurden mittlerweile ausradiert: keine schrecklichen Texte, kein schiefer Gesang, keine Taktprobleme, vollkommene Stilsicherheit. Von all den einstigen Problemzonen sind die beiden Jungs im Jahre 2016 so dermaßen weit entfernt wie Dubai von der Venus. Was hier im Gegenzug dazu jedoch von ihren Stärken der Band fehlt: Freakiness, musikalische Extravaganz, Energie, Sex-Appeal, Trash-Appeal, Rock, Realness, Lust am Mischen von Stilen, Frechheit, Pepp, Emotionalität, Swag, Ironie.

Gewonnene Reife und musikalische Entwicklung des Duos sind bemerkenswert, zwischen frühen Songs wie "Bewitched" oder "Frankenstein + the Bride" und den hier performten "The Age of the Young and the Hopeless" und "Scissors" liegen Universen. Mindestens 27 Stück an der Zahl. Niemand würde je auch nur auf die Idee kommen, es handle sich um dieselbe Band. Die amateurhaften wild zusammengeklatschten Emo-Techno-Haufen wichen sanften, ausgeklügelten und samtig wohlklingenden Ambient-Stücken. Trotzdem ist das hier fast zu glatt, zu linear und zu sehr ohne persönlichen Stempel. Und wir reden hier von einer Band, die in der Vergangenheit das Teenie-Melodram von My Chemical Romance oder Tokio Hotel mit der Extravaganz von Lady Gaga, dem Dubstep-Rock von Skrillex, dem Schock-Appeal von Marilyn Manson, und der frivolen Gewalt von Insane Clown Posse mischte - wenn du Hilfe brauchst, dich verloren fühlst, zeigen sie dir das Licht in deinem Leben, hatest du sie, verpassen sie dir einen präzise gesetzten Kehlenschnitt und lachen über die Fontäne. Entsprechend freaky und trotzdem melodiös-dramatisch klang auch immer ihre Musik, “Scissors” ist dahingehend zahm, entspannend und poppig. Das klingt definitiv nicht schlecht und ist verdammt gut gemacht, aber ihre distinktive, unverwechselbare Handschrift geht dabei doch recht verloren. Außenseiter-Feiern wie “The Anthem of the Outcast” oder Hatergemetzel wie in “Unchained” sind hier nicht vorhanden; auch der Sound wirkt deutlich harmonischer und sittlicher, weniger fetzig, rockig und energisch. Ein gutes und sehr, sehr ausgefeilt produziertes Album, in welches sicherlich eine Menge an Arbeit gesteckt wurde, aber Salz und Pfeffer fehlen. Und dass eine derartig auffällige und ausgeflippte Gruppe ausgerechnet ihr entspanntestes und "schönstes" Werk als Vermächtnis hinterlässt, finde ich doch einen gewissen Wermutstropfen. Und dabei ist die Frage, ob ich nicht sogar die durchtriebenen, wenngleich ziemlich schlecht gemachten alten Sachen den perfekten Hochglanz-Sphären vorziehe. Versteht mich nicht falsch: das ist ein ziemlich duftes Album, aber spiegelt in keinster Weise die Band wieder. Vielleicht, und nur vielleicht, liegt auch darin der Grund für die Trennung des Duos, denn Dahvie Vanity hat (unter dem Pseudonym Sinners are Winners) auf dem offiziellen YouTube-Kanal bereits 3 Solo-Songs veröffentlicht, und sie klingen wie Marilyn Manson auf Ecstasy, während er einem Gangbang mit Angelspit beiwohnt. Womöglich ist Jayy von Monroe zu sehr herangereift, um sich mit dem bisherigen Stil zu identifizieren, und hatte auf "Scissors" die Fäden in der Hand. Wir wissen es nicht. Was ich aber sicher weiß ist, dass die Diskografie der Gruppe den mit viel Abstand größten qualitativen Wachstumsprozess der Musikgeschichte verzeichnet, sowie den größten Wandel von Weirdness zu Harmonie. Das Ideal liegt, wie so oft, irgendwo dazwischen. Und wer weiß, was uns von den beiden zukünftig noch erwartet. Man darf gespannt sein und auf viele geile Sachen hoffen.

★★★☆☆ (3 von 5)

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