Brutaler Pazifismus – Das große Stealth-Dilemma

09.09.2015 - 16:00 Uhr
Und nun?
Konami
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Die Spiele, die darauf setzen sind beliebt, das eigentliche Konzept aber selten: Stealth wird im AAA-Bereich oft eher toleriert als begeistert gespielt. Doch warum ist das eigentlich so? Was muss sich ändern, damit mehr Menschen Spaß daran haben, sich zu verstecken.

BÄM! Schon wieder drängt sich die abgefeuerte Munition der Schrotflinte in den zerfledderten Leib des Gegners. Er ist tot und das ist ja auch gut so, schließlich war er böse. Und dem Bösen begegnen wir nun einmal mit Gewalt, anders geht es nicht. Oder etwa doch? Können wir unsere Ziele auch auf friedlichen, ja sogar pazifistischen Wegen erreichen? Wozu machen uns Videospiele denn übermächtig, wenn wir doch immer auf Blut und gebrochene Knochen setzen?

Öfter mal was anderes

Es gibt sie: Die Gegenbewegung. Spielkonzepte, die uns ähnliche Szenarien und lebensfeindliche Umgebungen entgegenwerfen, aber dennoch dem Altruismus huldigen und Gewaltvermeidung als oberstes Gut verteidigen. Stealth heißt das Schlüsselwort und auch wenn es nicht allzu viele Titel gibt, die im AAA-Breich darauf setzen, ist die stille Heimlichkeit unserer Supersoldaten dennoch weit verbreitet. Ein Blick auf die aktuellen Stealth-Franchises wie Deus Ex, Metal Gear Solid, Dishonored oder Splinter Cell zeigt aber ein auffälliges Detail. Die friedvolle oder zumindest heimliche Herangehensweise an Gefahren ist vor allem eines: Eine Alternative.

Stealth ist oft die Ausnahme von der Regel


Immer wenn uns die Möglichkeiten an die Hand gegeben werden, ungesehen durch Gebäude zu schleichen, Gegnern aus dem Weg zu gehen oder unsere Ziele heimlich, still und leise zu erreichen, dann ist es nicht der Kernaspekt des Spiels, sondern nur eine weitere mögliche Lesart der Mechaniken. In allen größeren Franchises bleibt immer der Grundansatz, dass wir uns auch einfach mit Lust an der Lautstärke wild durch die Gegend ballern können. Stealth ist ein zusätzlicher Reiz, um das allzu klassische Konzept reichhaltiger wirken zu lassen, eine Art besondere Herausforderung der tradierten Grundidee von Machtfantasien. Gewaltvolle Shooter können auch für sich bestehen, der Gegenentwurf aber nur als Zugeständnis an besondere Ansprüche. Wie das vegetarische Angebot auf den Mittagsmenü kleinerer Restaurants.

Was Metal Gear nicht lernt, lernt The Phantom Pain nimmermehr

Aber warum ist das so? Warum gibt es kein AAA-Franchise, das sich allein darauf konzentriert, die spielerischen Möglichkeiten des Versteckens als Selbstzweck auszuloten? Warum muss immer das spielmechanische Sicherheitsnetz des Shooters erhalten bleiben? Meiner Meinung nach ist nämlich diese fehlende Abnabelung der Grund dafür, dass es vielen Entwicklern so schwer fällt, neue erzählerische Ansätze zu finden.

Es muss ja auch immer möglich bleiben auf Gewalt zu setzen, dies darf dem Spieler nicht genommen werden. Doch dieser fehlende Mut, die Spieler ins kalte Wasser zu werfen, erschwert die Gewöhnung an neue Möglichkeiten. Anstatt sich mit den Ansprüchen von Stealth-Mechaniken auseinanderzusetzen, darf der Spieler jederzeit in seinen Habitus zurückfallen, töten und dennoch das Spiel seiner Wahl vollständig erleben und es "erfolgreich" abschließen.

Diese Verweigerung von Purismus führt dazu, dass die großen Stealth-Ableger, die oben genannt wurden, zwar wieder Erfolge feiern werden, ich aber dennoch aus allen Lagern zu hören bekomme:

Ich liebe Dishonored, aber ich kann kein Stealth, haha. Dafür bin ich wohl zu dumm. Ich bringe einfach alle um.

Nein, niemand ist zu doof für Stealth. Wir können nur nicht wissen, wie und warum wir eigentlich schleichen sollen. Die Tatsache, dass so viele Spieler betonen, Stealth-Titel nur bis zu einem gewissen Grad anzunehmen, bis sie dann wieder zu Gewalt greifen, liegt auch nicht an unserem brutalen Naturell. Die Konzepte sind schlicht inkonsequent umgesetzt, denn jeder Stealth-Ansatz bleibt ja nur die Alternative zu einem bequemeren, weil bekannten Vorgehen. Und so wird Stealth eben als unbequem wahrgenommen, als frickelige Anstrengung, die zugleich nicht angemessen belohnt wird.

Warum wir selten schleichen, aber immer leise töten dürfen

Warum sollte ich also schleichen, wenn ich die Möglichkeit dazu habe? Vielleicht weil es eine spannende Abwechslung ist und eine Hinkehr zum gnädigen Superspion sich erfrischend anfühlt? Dies scheint nur selten die Intention der Entwickler zu sein. Viel zu oft fühlt sich das Schleichen nicht als gelebter Pazifismus an, sondern eher wie eine verzögerte Brutalität.

Dem Spieler wird nicht ans Herz gelegt, die Gegner zu verschonen, sondern sie hinterrücks zu ermorden. Einen Raum voller Terroristen nicht einfach nur mit Waffengewalt zu erobern, sondern es zusätzlich auch noch heimlich zu tun. Der Berg voller Leichen bleibt trotzdem und der Spieler fühlt sich durch eindrucksvolle Stealth-Kills und Unnahbarkeit eher noch mächtiger als eventuell verletzlicher.

Das eigentliche Ziel jedes Schleichens?


Und selbst wenn diese Anreize zu leisen Hinrichtungen nicht gegeben werden und es tatsächlich als Spielziel angegeben wird, so wenig Gewalt wie möglich anzuwenden, scheint das System nicht wirklich durchdacht. Zwar gibt es dann die bessere Wertung am Ende, die schulmeisterlich in Form von Noten dargestellt wird, aber das Gameplay bleibt unbequem und anstrengend. Und es ist vor allem deswegen unbequem, weil ich nicht sehe, warum ich die stereotypischen Wachen am Leben lassen sollte. Austauschbare Uniformisten, die keinerlei Persönlichkeit ausstrahlen, bieten sich als Kanonenfutter für Shooter an, jedoch nicht für Feinde, an denen ich Gnade walten lassen soll. Es fühlt sich nicht an, als würde ich Leben verschonen, sondern eher die Möglichkeit verpassen, Hindernisse mit befriedigenden Partikel- und Soundeffekten wegzuknallen. Bevor ich die Genugtuung verspüren kann, nicht getötet zu haben, muss ich fühlen, dass ich überhaupt auf Leben treffe.

Verstecken als Selbsterhaltung

Kleinere Titel wie Volume zeigen, dass es auch möglich ist, durch Verletzlichkeit und Schwäche zu zeigen, dass Heimlichkeit motivierend sein kann. Einen ähnlichen Ansatz hat Alien: Isolation gezeigt, wo das Verstecken an sich bereits ausreichend Spielreize gesetzt hat, auch wenn hier sicher auch die schauderhafte Atmosphäre ihr übriges getan hat. In diesem Kontexten machen die Stealth-Mechaniken Sinn, ich kann verstehen, warum es eine gute Idee ist, so vorzugehen.

Denn gerade abseits der Assassinen, Auftragskiller, Spionen und Militärsimulationen zeigen vor allem Horror-Titel wie Amnesia: The Dark Descent oder Outlast, dass Stealth-Mechaniken auch für sich allein stehen können. Durch die Emotion Angst fühlt sich das Verstecken intuitiv richtig an und wird nicht als unnötige Alternative wahrgenommen. Gleiches gilt für Heist-Simulationen wie The Swindle wo die Entdeckung durch Wachen oder Polizisten glaubhaft zum Scheitern der Mission führt, denn Kämpfe sind für einfache Diebe keine Alternative.

Diese Kontextgebung fehlt mir bei größeren Produktionen aber viel zu oft. Und leider sind es eben Franchises wie Metal Gear Solid oder Deus Ex, die den "typischen" Stealth-Hintergrund liefern, den andere Titel dann aufgreifen.

Sogar Ocarina of Time ließ sich damals zu Stealth-Einlagen hinreißen


Ein gutes Beispiel dafür sind die vielen Stealth-Einlagen in Third Person-Titeln, die oftmals nur in bestimmten Ausnahme-Missionen vorkommen. Bei The Order: 1886 sollte ich beispielsweise durch ein Luftschiff schleichen und den Blicken der feindlichen Soldaten ausweichen. Habe ich vorher dutzende Gegner am Stück niedergemäht, ist plötzlich ein falscher Tritt mein sofortiges Todesurteil und ohne, dass ich Gelegenheit zum reagieren habe, werde ich erschossen. Und natürlich mit nur einer einzigen Kugel, obwohl bereits hunderte in mir stecken, wenn ich an den bisherigen Spielverlauf denke.

Stealth macht Spaß, auch wenn dies nicht viele zu wissen scheinen. Das Problem ist nur, dass das Konzept an den falschen Stellen verwendet und nicht erzählerisch aufbereitet wird. Es sollte nicht als alternativer Ansatz zum "normalen" Gameplay gelten und zugleich aus der Gefangenschaft der Pseudo-Heimlichkeit von blutrünstigen Infiltrationssimulationen befreit werden. Stealth-Mechaniken können, dürfen und sollten hin und wieder auch ein Spiel allein tragen. Stealth braucht sich nun wirklich nicht zu verstecken.

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