Dario Argentos Opera endlich vom Index gestrichen

27.11.2015 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Terror in der Oper: Das Sehen als sadomasochistische Komplizenschaft.Koch Media
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Jahrelang war Opera hierzulande in einer verstümmelten und trotzdem nur eingeschränkt verfügbaren Version zu sehen. Jetzt erscheint Dario Argentos Meisterwerk erstmals ungeschnitten und neu geprüft im Mediabook auf DVD und Blu-ray.

Zwei Dinge werden, wenn es um diesen Film geht, für gewöhnlich besonders hervorgehoben. Die unwahrscheinlich bewegliche und dabei auch unwahrscheinlich bewegende Bilder produzierende Kamera von Oscarpreisträger Ronnie Taylor. Und die albtraumhafte Blickverhältnisse konstruierende Dramaturgie des Sehenmüssens und schließlich Nichtsehendürfens, festgehalten schon auf dem legendären Kinoplakat zum Film, das Hauptdarstellerin Cristina Marsillach mit aufgerissenen und angsterfüllten Augen zeigt. Beides ist eng miteinander verbunden: Eine entfesselte, teils nicht mehr plausible Photographie, die Räume bis zur Unkenntlichkeit ausweitet, und eine gefesselte, also unbewegliche Protagonistin, deren mit Nadeln versetzte Augenlider das Sehen zur Qual machen. Weder uns noch ihr gestattet es Dario Argento, den Blick vom Terror in der Oper abzuwenden. Eine gnadenlose Prämisse für einen Horrorfilm, wenn nicht gar für das Kino schlechthin.

25 Jahre lang war Opera – so der Originaltitel, unter dem der Film jetzt als Mediabook erstmals auf Blu-ray inklusive DVD erscheint – hierzulande indiziert. Nachvollziehen kann man solch zuverlässig krude BPjM-Politik nicht, in der alten Videofassung fehlten ohnehin bereits sämtliche eruptiven Gewaltspitzen. Noch dazu zwang der damalige Verleih die für den Film wesentlichen Scope-Bilder in ein 4:3-kompatibles Format, womit sein besonderes visuelles Konzept durch den Verlust von bis zu 50 Prozent an Bildinformationen gründlich verunstaltet wurde. Dass diese leidvolle und eben nicht allein hinsichtlich der Laufzeit, sondern durchweg im Zuschauerblick beschnittene Zensur dem Film auf verquere Weise zuspielt, ist nun vielleicht eine amüsante, wenn auch kunstfeindliche Fußnote seiner deutschen Veröffentlichungsgeschichte: Die komplette und nach neuer FSK-Prüfung sogar ab 16 freigegebene Version von Opera ist buchstäblich ein Augenöffner.

Im Zeichen des Raben: Tierische Helfer beim Überführen des Mörders.

Nicht zuträglich waren die früheren Kürzungen auch der Handlung des Films, deren Logik wie so oft beim giallo eine ästhetische ist. Ödipaler Serienkiller quält junge Sopranistin, treibt sie mit sadomasochistischen Ritualen in den Wahnsinn, bis die Bilder zu pulsieren beginnen: Sie ahmen das schnell schlagende Herz und die Besinnungslosigkeit nach, machen jeden Affekt spürbar, verleihen allem Horror filmischen Ausdruck. Wie kein anderer Film von Dario Argento stellt Opera das subjektive Empfinden seiner zur Erbsünde verdammten Hauptfigur als nicht enden wollenden Sog des Terrors dar. Sie muss hinsehen, wenn der Peiniger ihre Freunde und Kollegen opfert, und gerade dann wegschauen, wenn er Erlösung in Aussicht stellt. Ganz am Ende ergreift plötzlich eine Erzählerstimme das Wort, als verlange so viel trostlose Tyrannei nach Beruhigung aus dem Off (diese Stimme gehört, jedenfalls im italienischen Original, Argento selbst; bei der deutschen und englischen Synchronisation ist es fälschlicherweise ein Voice-Over der Frau).

Mehr: Zum 75. Geburtstag von Dario Argento

Erlösung und Beruhigung aber gestattet Opera, gestatten eigentlich alle Filme von Dario Argento den Figuren nicht, was vor allem mit ihren trügerischen Blickverhältnissen zu tun hat: Einem point of view des Killers, wie ihn der aus dem giallo hervorgegangene Slasherfilm zur eindeutigen Täterperspektive stilisierte, folgen bei Argento auch Subjektiven der Protagonistin, des rätselhaften kleinen Mädchens, das ihr Zuflucht gewährt, und sogar der Raben, die im Finale den Bösewicht überführen. Wer hier wann und wem auflauert, zuschaut und in einen mörderischen oder schützenden Blick nimmt, lässt sich nicht immer eindeutig bestimmen. Und wenn das Kameraauge durch architektonisch verwinkelte Apartmentflure, Operngänge und Belüftungsschächte schleicht, kann es auch vorkommen, dass der Blick zusätzlich getrübt wird – in der womöglich atmosphärisch beklemmendsten Szene, die Dario Argento jemals inszeniert hat, sind es nicht Nadelstreifen, sondern Augentropfen, die das Sehen zu einer fatalen Angelegenheit machen.

Blick durch den Türspion: Der spektakuläre Einbruch in die Wohnung der Heldin.

Ich habe Opera an die zehn Mal gesehen, aber immer wieder scheint es mir, als schaute ich einen neuen Film. Er besitzt unvergessliche Höhepunkte, etwa den spektakulären Einbruch in die Wohnung der Heldin und das anschließende Katz-und-Maus-Spiel, die über Zuschauerränge der vollbesetzten Oper kreisende Kamera und natürlich den sonderbar blumigen Epilog. In seiner Gesamtheit aber ist es ein Film, der mir unbegreiflich bleibt, den ich einfach nicht zusammenbekomme. Die große Tragik der Argento-Figuren besteht einerseits darin, wichtige Details nicht erkennen zu können, weil sie das Wesentliche aus den Augen verlieren. Und andererseits in der praktischen Unmöglichkeit dieser Erkenntnis, weil allzu traumatische Erfahrungen ihnen die Sinne vernebeln. Vielleicht ist also das wichtigste Verdienst des Horrorbildermachers Dario Argento, dass man bei seinen Filmen selbst zu einer dieser Figuren wird: Verloren in ihrer unzuverlässigen Erzählästhetik, beinahe unfähig schon im unmittelbaren Nachhinein, sie gedanklich zu rekonstruieren.

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