Das Ende der Welt im Test zu Everybody's Gone to the Rapture

11.08.2015 - 18:45 Uhr
Everybody's Gone to the Rapture
Sony
Everybody's Gone to the Rapture
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Die Bewohner einer kleinen Stadt in England sind wie vom Erdboden verschwunden. Alles, was bleibt, sind geisterhafte Echos und das Wissen, dass keiner von ihnen das Ende der Welt überlebt hat. Ob es sich lohnt, ihr Schicksal zu erkunden, erfahrt ihr in meinem Review.

Das Ende der Welt kommt nicht immer mit einem Knall. Manchmal schleicht es sich auch ganz klammheimlich an und ist vorbei, bevor jemand verstehen kann, was eigentlich gerade genau passiert. So erging es nicht nur den Bewohnern einer kleinen Stadt in England, die im Zentrum der Ereignisse von Everybody's Gone to the Rapture steht, sondern auch mir nach dem Ende des Spiels. Es ist lange her seit ich zum letzten Mal während eines Abspanns dagesessen habe, weil ich die Ereignisse zuvor eine solche Melancholie und Verwirrung hinterlassen haben, dass ich mich nicht einfach etwas anderem habe zuwenden können.

Everybody’s Gone to the Rapture ist das neue Spiel von The Chinese Room, die nicht nur mit Amnesia: A Machine for Pigs das fürchten lehrten, sondern vor allem dadurch bekannt geworden sind, dass sie mit Dear Esther die Frage aufwarfen, was eigentlich als Videospiel zählt. Das Studio war nicht unbeteiligt an der Entstehung der Bezeichnung “Walking Simulator”, da ihr in Dear Esther nicht mehr macht, als über eine verlassene Insel zu laufen und einer in Briefen erzählten Geschichte zu lauschen, die sich nach und nach entfaltet.

So stimmungsvoll kann das Ende der Welt sein


Nicht viel mehr macht ihr auch in Everybody’s Gone to the Rapture, das zwar ein paar Knopfdrücke mehr bietet, seinen Wurzeln im intensiven Storytelling allerdings treu bleibt. Das Spiel setzt demnach alles daran, euch nicht zu sehr mit Mechanismen von der Handlung rund um das englischste Ende der Welt abzulenken.

Sie geben euch nach und nach nicht nur einen Einblick darin, was sich während des Endes zugetragen hat, sondern auch, was in den Tagen und Wochen zuvor geschehen ist und welche kleinen Privatdramen letztlich zum Ende der Welt beigetragen haben. Goldene Kugeln zeigen euch, welche Orte ihr euch genauer ansehen solltet und führen euch unaufdringlich durch die kleine Stadt und somit die Handlung.

The Chinese Room zeigt dabei nie die Gesichter der Personen, die nur als goldene Lichtsilhouetten oder Spiralen existieren. Die fantastischen Synchronsprecher sorgen allerdings dafür, dass die Persönlichkeit aller Figuren perfekt transportiert wird. Dennoch hatte ich Probleme damit, eine Bindung zu den Charakteren aufzubauen.

Goldene Echos und blutige Taschentücher sind alles, was bleibt


Auf viele Arten fehlt Everybody’s Gone to the Rapture die Intimität von Gone Home sobald ihr einen Schritt in ein Haus macht, das jemand sein Heim nannte. Hier wirkt die Welt fast steril und verliert ihren Charme, wenn sich Gegenstände doppeln und es nichts außer ein paar Radios oder klingelnden Telefonen gibt, die euch mehr über ihre Bewohner und deren Persönlichkeit verraten. Hier geht viel von der Liebe verloren, die die Entwickler in die Gestaltung der Welt jenseits der Haustür gesteckt haben, die mit ihrer umwerfenden Atmosphäre das komplette Gegenteil bildet.

Anders als bei den meisten anderen Spielen, die sich mit dem Thema beschäftigen, befindet ihr euch nicht in einer zerstörten Einöde, sondern einer ruhigen Kleinstadt, deren besinnliche Ruhe wirkt als wären ihre Bewohner gerade einfach nur bei der Sonntagsmesse. Mit jedem weiteren Schritt wird allerdings klar, dass etwas an diesem Frieden nicht stimmen kann: Haustüren stehen offen, Autos wurden mitten auf der Straße verlassen, hier und da liegt ein herrenloser Koffer, überall sind Plakate, auf denen vor Grippe und Ausgangssperren gewarnt werden. Immer wieder stolpert ihr über tote Vögel am Boden, über die sich auch die goldenen Echos der Bewohner der Gegend unterhalten.

Quarantäneposter geben Rätsel auf


Während Dear Esther ein spielbares Gedicht war, gleicht Everybody’s Gone to the Rapture einer Kurzgeschichte oder Novelle. Nicht nur, weil die Geschichte an für sich viel länger ist, sondern auch, weil sie in Kapitel unterteilt ist. Jedes von ihnen handelt von einer Person und erst nach und nach setzen sich die einzelnen Abschnitte zu einer kompletten Geschichte zusammen. Ihr folgt keinem klaren Erzählstrang, sondern bekommt immer wieder Puzzleteile präsentiert, die ihr erst nach und nach selbst zusammensetzen müsst, um das Gesamtbild zu erhalten. Je mehr ihr über die Charaktere erfahrt, desto mehr Sinn ergeben frühere Erinnerungen.

Das lag nicht an der fehlenden Visualität, sondern vor allem daran, dass es abseits der Erinnerungen nur wenige Momente gab, in denen ich das Gefühl hatte, dass die Figuren tatsächlich leben und nicht schon zu Lebzeiten schwache Echos von Persönlichkeiten waren. Aus ihrem Kontext gerissen ist es schwierig, sich tatsächlich für ihre Schicksal zu interessieren, da keiner von ihnen sonderlich liebenswert oder auch nur sonderlich interessant wirkt. Es sind Kleinstadtschicksale wie wir sie schon dutzende Male in anderen Geschichten vorgefunden haben und wäre nicht der eigentliche Handlungsstrang, der hauptsächlich von zwei bis drei Personen getrieben wird, wären sie noch leichter zu vergessen.

Idyllisch, englisch, postapokalyptisch


Überall liegen Bücher über Astrophysik und Chaos Theorie, die nie erklärt werden. Vielleicht sollen sie einen roten Faden durch die Science-Fiction-Geschichte bilden, das gelingt ihnen aber ebenso wenig wie die Gedankenbruchstücke der beiden Personen, die für das Ende der Welt verantwortlich sind und offenbar als einzige wissen, was in dem kleinen Städtchen passiert.

Die Geschichte und gerade das Ende von Everybody’s Gone to the Rapture zu verstehen, ist nicht einfach, allerdings macht genau das einen der Reize des Spiels aus – sofern ihr der langsamen Erzählweise des Erdkundungs-Spiels trotzen könnt. Das Ende der Welt wurde wahrscheinlich noch nie so bedacht erzählt.

Jedes Kapitel hat eine andere Atmosphär


The Chinese Room nimmt sich sehr viel Zeit, um die Bühne für ihre Apokalypse zu setzen. Was für Atmosphäre und Erzählung ohne Zweifel wichtig ist, kann dennoch zur Geduldsprobe werden, gerade wenn ihr euch für einen bestimmten Charakter nicht interessieren könnt, bestimmte Erinnerungen verpasst oder ein Event durch aufgezwungen wirkendes Gameplay nicht triggern will.

Fazit

Atmosphärisch habe ich lange kein so wunderbares Spiel wie Everybody's Gone to the Rapture gespielt. Selten hat ein Spiel auf seine Art so realistisch gewirkt, dass ich mich für den ein oder anderen Moment in ein verlassenes, englisches Städtchen versetzt habe. Neben wundervollen Bildern beeindruckt der PS4-Exklusivtitel vor allem durch seinen umwerfend stimmungsvollen Soundtrack von Jessica Curry.

Leider kann die Atmosphäre nicht ganz über die erzählerischen Schwächen hinwegtäuschen. Dennoch bietet Everybody's Gone to the Rapture eine spannende, ungewöhnliche Story, die euch auch nach dem Ende noch beschäftigen wird und die ihr euch nicht entgehen lassen solltet.

Everybody's Gone to the Rapture wurde uns in Form eines PS4-Downloadcodes von Sony zur Verfügung gestellt.

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