Das schönste Erkennen im Himmel über Berlin

20.05.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Es wär schön, wenn du da wärst...Arthaus/moviepilot
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Wie ein Besuch in einer fremden Stadt, in der man unmöglich alles auf einmal erleben, alles sehen, alles verarbeiten kann, so kann mitunter auch ein Film für nur eine Sichtung zu viel sein. Der Himmel über Berlin ist so groß, dass ein Blick allein nicht reicht.

Die Filme, von denen ihr hier lest, müssen nicht die schönsten, die nachdenklichsten, die besten sein, die je die Leinwand geziert haben. Die Worte, die sie beschreiben, können hart oder zärtlich, lustig oder verträumt, kurzum: so unterschiedlich wie ihre Autoren, wie die Filme selbst sein. Deswegen steht hier jede Woche auch ein ganz besonderer Kommentar, den irgendwer von euch irgendwo auf moviepilot gefunden hat - und ihn per Privatnachricht an Kängufant nominiert hat.

Der Kommentar der Woche
Diese Woche nimmt uns Der Siegemund mit nach Berlin, die Stadt, die niemals ist und immer wird. Alles hier ist gleich. Alles hier ist anders. Der Himmel über Berlin ist voller Engel. Kommt mit!

Vor einem Monat war ich zum ersten Mal und dann eine ganze Woche in Berlin. Dabei habe ich fast alles gemieden, was Touristen so sehen, und einiges gesehen, was nicht mal Berliner kennen. Herausgekommen sind Fotos, wie ich sie noch nie gemacht habe. Die Ausmaße dieser Stadt, die niemals schläft, die eigentlich auch nirgendwo aufhört (denn einem Berliner muss es so vorkommen als sei der Rest von Deutschland nur andere Stadtteile und Vororte seiner Stadt), und bei der man nie alles gesehen haben kann, weil ständig kommt wieder etwas neues hinzu, sind ob ihrer Ansichten und Möglichkeiten, selbst für eine Woche, extrem anstrengend. Ich liebe anstrengend.

Also dachte ich voller Wehmut, es wird mal Zeit Den Himmel über Berlin anzuschauen. Es würde mein erster Wim Wenders sein.

Bruno Ganz' Stimme erklingt, unverkennbar, aber jünger, und sie wandert zwischen Prosa und Lyrik als existierten keine Grenzen zwischen ihnen. Ein Engel erscheint. Er nimmt mich an die Hand und ich erlebe ungewohnte Kamerafahrten, ausgewählte Bildeinstellungen und neue Perspektiven, tauche ein in fließende Bewusstseinsströme, bin Teil kontemplativer Situationen, die das Gefühl von Einsamkeit für den Betrachter erzeugen. Mein ästhetisches Empfinden wird gefangen genommen und ich übersehe nach einiger Zeit, dass das Berlin der 80er völlig grau, eintönig und kaputt ist, gar nicht so ist, wie ich es kennengelernt habe. Hier hätte ich nicht hin gewollt. Die Atmosphäre einiger Szenen hat etwas von David Lynch. Ein wenig von dieser Magie der szenischen Gestaltung ist wohl beiden gemein. Sie haben das andere Gespür. Peter Falk, der aussieht wie Columbo, amüsiert mich, aber er ist nicht Columbo, er ist Peter Falk, und doch ist er der, der er hier sein soll, ein ganz anderer. Ich sehe ihm gerne zu, wie er ziellos umher zu laufen scheint, die Hüte anprobiert und mir dabei eine Lehre über die Hutmode erteilt. Nun bin ich wieder in der U-Bahn, wo ich vor einigen Tagen noch saß, doch es sind 30 Jahre früher. Der Engel spendet Hoffnung, an einen Mann der nahezu überrascht scheint, woher diese kommt. Als ein alter Mann über ein wild wucherndes Feld inmitten von Berlin wandert, weiß ich plötzlich intuitiv, dass es der Potsdamer Platz sein muss. Ich war dort, aber es sieht alles ganz anders aus. Völlig verwundert bin ich, als er das bestätigt, denn er sei auf Suche nach dem Potsdamer Platz, dann setzt er sich alleine in einen Sessel inmitten des trostlosen Feldes, gespickt mit Trümmern, welches in der Ferne von Häuser umringt ist. Komisch, wie kann ich das wissen. Die Trapezkünstlerin, so grazil und schwach, sie wäre ein schöner Engel und doch ist sie nur ein Mensch. Aber was für ein Mensch ist sie unter diesen vielen Menschen, die sie vergeblich anhimmeln. Sie ist allein und einsam. Doch dann verliebt sich ein Engel in sie, dessen Einsamkeit ihn quält.

Bei zwei Drittel der Laufzeit höre ich nach einigem Hadern auf, weil ich einfach zu müde bin alles so wahrzunehmen, wie ich es dem Werk gegenüber als gerecht empfinden würde.

Im letzten Drittel ist es Nick Cave der meine Aufmerksamkeit erhielt. Ich kannte ihn eigentlich nur aus dem Duett mit Kylie Minogue. Als dieser Song herauskam, war ich gerade für elektronische Musik reserviert, doch heute würde ich sagen, dass hinter seiner eigentlichen Musik viel mehr steckt, als ich dachte. Sein Auftritt in Der Himmel über Berlin ist jedenfalls "magic". Er ist völlig jung und sprüht vor Ausdrucksstärke und Laszivität, was sich unmittelbar auf Gesang und das Spiel seiner Band überträgt. Ich mag diese Western-Gitarren die ich eigentlich auch bei Trentemöllers "The very last resort" kenne. Ich werde also mal reinhören.

Die Liebesgeschichte hingegen entwickelt sich dann doch sehr schnell mit kaum spürbarem Spannungsbogen, aber ich vermute, dass sie auch ein ehemaliger Engel ist, und deshalb wohl beide weniger Schwierigkeiten hatten, sich zu finden, also beide eine besondere Intuition besitzen. Das Kennenlernen wird ausgelassen, als sei alles schon gesprochen bzw. nicht nötig, weil sich hier zwei "erkannt" haben. Das "Erkennen" des richtigen Partners in der Bibel geht wohl darauf zurück, dass die Juden glaubten, dass Mann und Frau einmal eins waren, aber dann in der Mitte getrennt wurden (Rippe ist eine Fehlübersetzung) und seitdem auf der Suche nach ihrem verlorenen Stück Selbst sind. Das "Erkennen" beschreibt das Gefühl des Wiedererkennens des verlorenen Teils des Selbst.

Was für eine schöne Vorstellung.

Den Originalkommentar findet ihr übrigens hier.

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