Der Bachelor & Kiss Bang Love -  Dating-Shows machen einen auf Tinder

05.03.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Blinder Kuss bei Kiss Bang LoveProSieben Media AG
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Der Bachelor war mal cool, irgendwie. Jetzt ist Tinder da und Kiss Bang Love, die Großraum-Disko unter den Dating-Shows. Hier geht alles viel schneller und ökonomischer vonstatten - wie im echten Leben halt.

Liebe liegt in der Luft. Das Herz ist die beliebteste neue Reaktion  bei Facebook und ruft zum tausendfachen Vergeben desselbigen auf. Im Fernsehen versprechen sich beim Bachelor militant heterosexuelle Menschen die Ewigkeit und bei ProSiebens überraschend langlebigem Kiss Bang Love (die Show läuft bereits in ihrer dritten Woche) ist das, was bei MTV das M aus dem Programm vertrieb, plötzlich Prime-Time-tauglich. Für das nahende Sommerloch kündigte RTL zudem, Gott bewahre, eine Prominenten-Variation  seines ohnehin verstörenden Erfolgsformates Adam sucht Eva an. Die gehandelten Kandidaten, die an verlassenen Thomas Cook-Stränden die Sonne auf sonst stets verborgene Körperteile scheinen lassen wollen, heißen Mola Adebesi, Gabby und, kein Witz, Micaela Schäfer, bei der die Private Parts mittlerweile alles andere nur eben nicht privat sind, sondern bis zum letzten epilierten Schamhaar abgelichtet und familientauglich an die Klatschpresse verscherbelt. Wenn gar nichts mehr geht im Privatfernsehen, dann halt dieses Frau-Mann-Ding, das mit den tiefen Blicken, den Enttäuschungen, dem ewig uneingelösten Versprechen, dem Drama und dem hormonellen Existenzialismus. Das geht immer und scheinbar gerade jetzt besonders gut, wo Tinder und Internet-Dating-Portale im Allgemeinen das menschliche Zusammenkommen zunehmend ökonomisieren.

Bachelor-Kandidatinnen

Bemerkenswert beim Bachelor ist, dass dort die Akademisierung des Reality-Fernsehens entweder begonnen oder schon wieder aufgehört hat. Beim Bachelor hat die Hälfte der 22 Kandidatinnen entweder studiert oder ist gerade noch dabei. Macht euch nicht klein! , forderte kürzlich die stellvertretende Zeit Online-Chefredakteurin und schrieb darauf zehn Wahrheiten über junge Frauen nieder, die man den Bachelor-Kandidatinnen ins Gesicht schreien möchte, die doch alle irgendwie einen soliden Lebensentwurf vorzuweisen haben, sich nun aber eine Pause vom selbstbestimmten würdevollen Leben einer modernen jungen Frau nehmen. Aber das mit dem pathologischen Anti-Feminismus beim Bachelor ist ja wirklich bis zum letzten Bechdel-Bissen durchgekaut, verdaut und ausgeschissen. Der Bachelor gehört wahrscheinlich zu diesen Dingen im Fernsehen, die wir nie wollten, jetzt aber akzeptieren müssen, wie Vera Int-Veen und Dieter Bohlen, die gehen nicht mehr weg, vergesst es. Mut macht dabei eigentlich nur die Rezeptions-Ebene, auf der der Bachelor zumeist genossen wird.

Wer guckt sowas eigentlich?!

Denn der Bachelor ist ja so eine Show, die eigentlich keiner wirklich gut findet. Unverhohlen geschaut wird dennoch, jedoch ironisch. Wenn du es scheiße findest, wird der Bachelor-Gucker gefragt, warum siehst du es dir dann überhaupt an? Ja eben. Diese Shows, Adam sucht Eva, Der Bachelor, Bauer sucht Frau usw. usf. werden gemacht, um sie schlecht zu finden, zum ironischen Trotzdem-Gucken. Während wir uns unseren Serien mit einem nie da gewesenen Ernst nähern, bleibt für TV-Shows nur Spott und Verachtung übrig. Aber: Das ironische Gucken funktioniert eben nur in der Gruppe , denn die Ironie ist eine rhetorische Figur, die nach einen Adressaten verlangt, um sich zu entfalten und hier wird es dann meist kompliziert. Scheiße finden ja, jedenfalls die Zicken, die da um den, meistens hässlichen, irgendwie aber doch gutaussehenden Bachelor herumschwirren. Über die falsche Schlange, die vollkommen unverständlich dann doch wieder eine Rose zugesteckt bekommen hat, wird sich später allerdings ziemlich ernst und nach Herzenslust aufgeregt. Es ist, wie gesagt, kompliziert.

Bachelor Leonard Freier

Der neue Bachelor, inoffiziell der vierte, denn für den ersten hat sich keiner interessiert, nicht mal ironisch, sieht aus wie eine Mischung aus Lukas Podolski und Carsten Spengemann, hat einen Sprachfehler (das s will bei ihm nicht so recht) und einen beneidenswerten Teint, den er sich, nicht nur, aber zum Teil, im Sunshine-State-Florida geholt hat, wohin RTL seinen Dating-Tross für einige Wochen exportierte. Er ist 30 Jahre alt, Vater, heißt mit Nachnamen Unternehmensberater und arbeitet als Freier – ne, umgekehrt. In der Folge vom Mittwoch lernt Leonard die Familien der letzten verbliebenen Kandidatinnen kennen. Leonard begrüßt die Mutter von Daniela (24, Lehramtsstudentin): "Ich freue mich, Sie kennenzulernen." Danielas Mutter: "Ja." Awkward, wie das ganze Familientreffen und die Show ja überhaupt. Dieses ungebrochene Vorgeben von Emotionen wo eigentlich nur Berechnung ist, verdient größte Beachtung, ist meistens aber nur seltsam und damit fast schon wieder interessant, allerdings kann das Feuilleton nicht zwei Trash-Shows gleichzeitig ein vielschichtiges selbstreferentielles Konzept unterstellen. Pech gehabt, Bachelor. You go, Dschungelcamp!

Die Großraum-Disko unter den Dating-Shows

In seiner Grundausrichtung entspricht Der Bachelor einer entsetzlich spießigen und traditionellen Gesellschaftsordnung. Alle RomCom-Stufen des Kennenlernens werden durchgespielt. Sowas schauen Mutter und Teenie-Tochter und Schwieger-Sohn in spe bedenkenlos gemeinsam. Wo beim Bachelor also die Romantik und die Spießigkeit regiert, "alles um mich herum vergesse ich" gesäuselt wird und an Stränden geschützt von Decken und Dämmerung geküsst wird, geht Kiss Bang Love viel plastischer vor und ist ohnehin die Großraum-Disko unter den Dating-Shows. Hier zählt nicht, wie beim Bachelor, das Glück im Konjunktiv, sondern der absolut erfüllte Moment, der sich gerade beim Kuss heraufbeschwören lässt.

Possierliche Menschen sind das, die bei Kiss Bang Love, dem Liebes-Experiment, mitmachen. Woher ProSieben sie kriegt, bleibt ein Rätsel. Jedoch: In der ProSeven-Mediathek findet sich ein Bewerbungs-Formular, in dem man ein Foto, ein weiteres Foto und seine Persönlichkeitsrechte an RedSeven Entertainment GmbH abgeben darf. Überraschend: Das Geburtsjahr lässt sich bis ins Jahr 1900 angeben. Dabei sind die Young Folks bei Kiss Bang Love mehr als fresh und mega hot gestylt. Das Motto ist süß: "Laut Biochemie kein ein einziger Kuss über die wahre Liebe entscheiden." Je eine Frau küsst in einer Show zuerst blind 12 Männer. Die Männer stellen sich ungefähr so vor wie Flo: "Ich bin mehr so der sympathische Typ." Geil.

Und wie habt ihr euch so kennengelernt? - War der neunte Kandidat bei Kiss Bang Love.

Die Lady hat stets ihre zwei BFFs dabei, die das Geschehen kommentieren sollen, meistens aber nur rot werden und kichern. Ihre Eindrücke nach den Küssen bespricht die Kandidatin mit Moderatorin Annemarie C., ehemals W. Die Küsse selbst sind: interessant. Interessant ist auch, was Menschen tun, wenn sie selbst nichts sehen, dabei aber von Millionen Menschen gesehen werden. Daniel küsst sanft. Tommy leckt zart. Stefan knutscht wild. Nach den Blind Auditions geht’s mit den fünf besten Küssern in den Kissing Room. Den hat das Paar dann ganz für sich, bis auf die paar Zuschauer da draußen vor den Fernsehgeräten. Die Momente des ersten Erblickens sind schrecklich unbehaglich, denn da wird eiskalt auf der optischen Ebene abgerechnet.

Die Ökonomie durchdringt die Liebe

Vorher geht die Kandidatin aber eben so vor wie der Tinder-Nutzer. Sie wischt das Ungebetene weg, hat zuvor mit ihm halt etwas Speichel gewechselt. Der Bachelor und Kiss Bang Love nehmen sich und ihr Ansinnen, zwei Menschen zusammenzubringen, sogar recht ernst, kommen dabei jedoch so gnadenlos unerbittlich daher, dass einem das Blut in den Adern gefriert. Eine noch radikalere Schiene fährt etwa RTLs hyperaktive Speed-Dating-Arena Take Me Out. Vereinfachten Dating-Shows wie Herzblatt früher die zeitgenössische Dating-Realität, sind sie ihr mittlerweile ziemlich nahe gerückt.

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