Der Fallout-Hype ist echt: Amazons Sci-Fi-Highlight des Jahres ist ein Meisterwerk – nur eine einzige Szene nervt

12.04.2024 - 12:00 UhrVor 15 Tagen aktualisiert
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Sci-Fi-Fans haben lange auf Amazons Fallout-Serie gewartet. Jetzt ist sie gestartet und begeistert auf allen Ebenen. Schwäche zeigt sie nur in einem einzigen Moment.

Videospiel-Fans haben gelernt, Adaptionen mit gemischten Gefühlen zu begegnen. Das eigene Lieblingsspiel als Serie zu sehen, ist ein euphorisierendes Versprechen. Aber es gibt so viele Negativbeispiele, so viele vergeigte Umsetzungen, dass vermutlich die meisten Sci-Fi-Fans bei der Ankündigung der Fallout-Serie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen haben. Zu Unrecht, wie ich dankenswerterweise sagen kann. Fallout ist ein fast perfektes Meisterwerk.

Sci-Fi-Highlight: Darum geht's in Amazons Fallout-Serie

Die Fallout-Serie adaptiert keine bestimmte Geschichte aus dem Spiele-Franchise, das seit 1997 existiert. Aber Fans werden sich in der Story sofort heimisch fühlen: Sie dreht sich um Lucy (Ella Purnell), die seit Geburt in einem gigantischen Atomschutzbunker (engl. Vault) lebt. Die Außenwelt ist nach einem Atomkrieg radioaktiv verseucht. Die Bunkerbewohner (engl. Vault Dweller), erkennbar an ihren blau-gelben Outfits und ihrer optimistischen Attitüde, bereiten sich darauf vor, die Erde neu zu besiedeln.

Schaut euch hier den neuesten Fallout-Trailer an:

Fallout – Trailer (Deutsch) HD
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Doch als Plünderer von der Oberfläche ihren Vater (Kyle MacLachlan) entführen, verlässt Lucy den Bunker. In der brutalen Welt außerhalb ihrer Heimat trifft sie bei ihrer Suche unter anderem auf einen quasi-untoten Kopfgeldjäger (Walton Goggins) und ein Mitglied der kriegerischen Stählernen Bruderschaft namens Maximus (Aaron Moten).

Die Fallout-Serie ist kein Sklave ihrer Vorlage und das ist ihre größte Stärke

Die größte Stärke von Amazons Serie ist schon in der ersten Minute klar. Fallout beginnt mit einer Rückblende vor den Atomkrieg. Goggins Figur, quicklebendig, unterhält Kinder bei einer Gartenparty mit Lasso-Tricks. Wir sehen die letzten Minuten vor der Apokalypse. Aber das ist nicht wichtig.

Wichtig ist, wie viel die Serie uns implizit in diesen Minuten erzählt: Goggins' Cooper Howard ist ein gefallener Western-Star, der sich mit Kunststückchen über Wasser hält. Nur seine Tochter bleibt bei ihm. Amerika reagiert auf die atomare Bedrohung mit dem Tanz auf dem Vulkan. Flüsternd lästert der geleckte Gastgeber über Howard, er sei wohl ein Kommunist.

Walton Goggins als Ghul-Kopfgeldjäger / Cooper Howard

Hier zeigt sich die erste und größte Stärke der Serie: Sie bewahrt sich ihre Freiheit und Kreativität. Während andere Serien sklavisch ihre Vorlagen nachzeichnen und Fan-Service-Elemente anhäufen, konzentriert sich Serien-Macher Jonathan Nolan (Westworld) darauf, ikonische Figuren zu kreieren, spannende Szenen zu schaffen und eine Story zu erzählen, die unterhält, die zum Zittern und Lachen und Trauern bringt, statt möglichst viele Easter Eggs zu enthalten.

Walton Goggins' Lasso fliegt in Zeitlupe. Panisch und desillusioniert droht ein Ritter der Stählernen Bruderschaft, eingepackt in eine tonnenschwere Rüstung, seinem Knappen mit dem Tod. "Wirst du immer noch dieselben Dinge wollen, wenn dich [die atomare Wüste] völlig verändert hat?", fragt ein entflohener Wissenschaftler die naive Lucy. Kurz darauf zwingt er sie, ihm mit einer Kettensäge den Kopf abzuschneiden. Diese Serie hat ein Eigenleben, mit dem man mitfiebert.

Fallout: Der Look der Sci-Fi-Serie ist extrem detailverliebt

Für diesen Eindruck ist nicht zuletzt der Look der Amazon-Serie verantwortlich. Die Produzenten haben sich statt CGI auf praktische Sets und Effekte konzentriert. Sie haben auf körnigem 35-mm-Film gedreht, der Landschaften und Gesichtern etwas Schweres und Markantes verleiht. Und vor allem beweisen sie bei ihren Schauplätzen eine Detailverliebtheit, die Ihresgleichen sucht.

Fallout bietet gigantische Schauplätze

Jede noch so kleine Szene ist vollgestopft mit Gegenständen. Herumliegender Müll, Staub, ausrangierte Apparate und Maschinen, bunte Tücher und schmieriges Wellblech verleihen der Szenerie Leben. Gigantische Ruinen, Autofriedhöfe im Wald und Schiffswracks in der Wüste geben dieser Apokalypse ihre Würde.

Die Fallout-Stars begeistern als Cowboys, Krieger und Naivlinge

Zur kreativen Freiheit der Drehbücher und dem Reichtum der Ästhetik gesellt sich ein sensationelles Casting. Insbesondere Walton Goggins als Cooper Howard bewegt sich zwischen dem warmherzigen Familienvater und dem grausamen Kopfgeldjäger mit großer Leichtigkeit und Glaubhaftigkeit.

Wenn Lucy ihm einen Finger abschneidet und er nur trocken entgegnet: "Da bist du ja, du kleiner Killer", zeigt uns das eine ikonische Figur: Eine Figur, die über das Videospiel-Franchise und das Sci-Fi-Genre hinausgeht. Einen verrohten, gefallenen Idealisten, der gelernt hat, Gewalt in jeder Form zu erwarten. Was für eine Meisterleistung. Was für ein endlos unterhaltsamer Charakter!

Ella Purnell als Lucy

Ähnlich gut verkörpern Ella Purnell und Aaron Moten ihre Hauptrollen. Die eine mit der großäugigen Naivität, die das perfide Ödland zu brechen droht. Der andere als traumatisierter Einfaltspinsel, dessen Ideal von absoluter Stärke ihn ab der ersten Weggabelung im Stich lässt.

Die Fallout-Serie hat eine einzige Schwachstelle

Das Ganze wäre ein lupenreines Meisterwerk, ginge der Serie nicht an der Ziellinie etwas die Puste aus. Zu hektisch werden hier die Handlungsfäden zusammengeführt, zu stolz scheinen die Autoren über eine mittelmäßige und vorhersehbare Auflösung zu sein. Lucys minutenlange Ungläubigkeit, die repetitive Bettelei ihres Vaters, die plötzliche moralische Kehrtwende einer Figur, alles fügt sich ein wenig zu perfekt ineinander. Es wirkt künstlich und leblos, als hätten die Macher:innen am Ende nicht mehr genug Zeit gehabt.

Schon zuvor gab es Szenen, die die Glaubhaftigkeit der Serienwelt für dramaturgische Höhepunkte aufs Spiel gesetzt haben. Etwa, wenn mumifizierte Leichen Hinweise auf ihre Todesumstände geben, weil sie ihre drängendsten Fragen mit eigenem Blut auf die Wände gepinselt haben. "Wir kennen die Wahrheit!", "Wir wissen, was hier drin ist!" Warum ist es immer das Anliegen solcher Toten, die Nachwelt zu informieren? Das wirkt für mich, als hätten die Drehbuchautoren auf Holzhammer-Bilder gesetzt, um sich die Worte zu sparen.

Aaron Moten als Maximus

Aber solche Szenen bleiben bis zum Finale kleine Details. Erst in der letzten Episode wird die fehlende dramaturgische Energie schmerzhaft, weil jeder Fan eine kraftvolle Entlohnung für sieben Folgen Story-Aufbau erwartet. Die dann eben mit Folge 8 etwas durchschnittlich daherkommt.

Gemessen an den Befürchtungen mancher Fans ist Fallout aber immer noch ein Sieg auf ganzer Linie. The Last of Us vom Thron der Videospiel-Adaptionen vertreiben kann sie zwar nicht, aber Staffel 1 der Amazon-Serie wird in Zukunft als leuchtendes Beispiel für Videospielumsetzungen dienen. Unterhaltsamer kann der Untergang der Welt nicht sein.

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