Der teuerste Netflix-Film: Warum die Kosten für The Irishman explodierten

01.12.2019 - 14:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
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Mit The Irishman lässt Netflix seinen vermutlich bisher teuersten Film auf die Welt los. Der neue Scorsese erforderte sogar ein Avengers-würdiges Produktionsbudget.

Es will nicht so recht zusammenpassen. Ausgerechnet Martin Scorsese, jener völlig Lichtspielverrückte, der sich wie kaum ein Zweiter für die Magie des Kinos einsetzt, hat jetzt einen Film für Netflix gedreht. Gerade noch prangerte er die Marvel-Werke an, sie seien „kein echtes Kino“, da produziert Scorsese The Irishman fast exklusiv für den mutmaßlich größten Feind dieses magischen Orts.

Netflix zeigt seine Filme, darunter auch The Irishman, nur dann im Kino, wenn es für eine kommende Oscarverleihung aufgrund der Normen nötig ist (und dann auch für eine sehr kurze Zeitspanne). Dass Scorsese nun scheinbar sein eigenes Credo hintergangen hat, dafür gibt es einen triftigen Grund: Das gigantische Budget.

Fast 200 Millionen: The Irishman kostete so viel wie ein Marvel-Film

Natürlich dürfte kaum einer einen höheren Stand in Tinseltown als der Regie-Altmeister von Aviator und Taxi Driver haben. Hätte ein Hollywoodstudio sich aber seinem absoluten Herzensprojekt angenommen, stünde es jetzt wohl vor einem finanziellen Fiasko. The Irishman soll laut Berichten (unter anderem Forbes ) 160 Millionen US-Dollar gekostet haben. Der Wall Street Journal  schreibt von mindestens 175 Millionen Scheinen. Einige Stimmen sprechen sogar von bis zu 200 Millionen US-Dollar, die in die Produktion geflossen seien.

Robert De Niro sprang für seinen früheren Stammregisseur noch einmal vor die Kamera

Das sind finanzielle Gefilde, in denen sich normalerweise Marvel-Blockbuster bewegen. Die spielen aber auch garantiert ihre Ausgaben mit hohem Ertrag wieder ein – The Irishman ist dagegen ein dreieinhalbstündiges und teils schwermütiges Drama mit einer hohen Altersfreigabe und drei stark in die Jahre gekommenen Hauptdarstellern. Eigentlich verständlich, dass selbst für einen Scorsese da keiner anbeißen wollte.

Der Regisseur klopfe zusammen mit Robert De Niro an sämtliche Türen von Hollywood, doch keiner wollte das Risiko eingehen, am Box Office womöglich ordentlich baden zu gehen. Der letzte Scorsese-Film, der sehr spezielle Silence, nahm gerade mal etwas mehr als 23 Millionen Dollar ein – weltweit.

Als Scorsese und DeNiro Anfang der 2010er-Jahre vergeblich versucht hatten, einen Abnehmer für das Skript von Steven Zaillian zu finden, war für Scorcsese bereits klar, dass für das Konzept ein gigantisches Budget vonnöten war, wie aus einem Artikel des Hollywood Reporter  hervorgeht. Alleine 160 Drehorte galt es abzuklappern, am Ende wurden 28 weitere Sets gebaut, insgesamt liefen an 108 Drehtagen die Kameras.

Überteures Anti-Aging: Warum The Irishman so teuer war

Denn um die vorliegende Geschichte des irischen Gangsters Frank Sheeran zu verfilmen (auf Basis des Buches I Heard You Paint Houses), wollte Scorsese kaum ein Detail auslassen und umfasst für sein Werk eine erzählerische Zeitspanne eines halben Jahrhunderts. Der bereits 76-jährige Hauptakteur Robert De Niro musste also zum Teil in sein 30 Jahre junges Ich zurückschlüpfen.

Könnte der Trailer zum neuen Call of Duty sein, stammt aber aus dem neuen Scorsese-Film

Auch Al Pacino und Joe Pesci, der sein großes Comeback gibt, mussten verjüngt werden. Scorsese griff dafür ausgerechnet auf den Trick zurück, den die von ihm so kritisierten Marvel-Filme in der Vergangenheit gerne einsetzten. Wurden in Ant-Man etwa für wenige Minuten dem 75-jährigen Michael Douglas digital die Falten gestrafft, galt es nur bei The Irishman einen großen Teil des insgesamt 210 minütigen Epos mit CGI-Technik zu zu schmücken.

Bei GoodFellas- und Casino-Legende Pesci und Al Pacino (der mehr als 20 Jahre nach Heat wieder mit De Niro für einen großen Film vereint wird) wird der optisch gewöhnungsbedürftige Effekt nur subtil eingesetzt, denn ihre Filmcharaktere sind älter als De Niros Frank Sheeran. Bei diesem kommt in The Irishman gefühlt kaum eine Minute ohne die extrem aufwendigen Visuellen Effekten aus.

Scorsese (r.) ließ seine Akteure ohne Hilfsmittel für die anschließende CGI-Kur agieren

Diese erforderten auch daher viel Feinschliff, weil am Set keinerlei sonst übliche Hilfsmittel wie Motion Capture-Helme oder spezielle Anzüge verwendet wurden. Stattdessen spielten De Niro und Co. ganz normal und ohne irgendwelche Punkte im Gesicht. Für die Effekteschmiede Industrial Light & Magic, die auch Star Wars und Avengers auf die Leinwände zaubert, bedeutete dies jede Menge Arbeit.

Und auch im Filmgeschäft gilt: Zeit ist Geld. Gerade, wenn in mehr als drei Stunden finaler Laufzeit fast keine Einstellung ohne digital bearbeiteten De Niro auskommt. Folglich stieg das ursprünglich auf 125 Millionen US-Dollar geschätzte Budget immer mehr an (via CinemaBlend ). Wie viel Zaster in The Irishman am Ende wirklich aus dem Tresor geholt werden musste, ist aber nicht bekannt. Eines kann mit ziemlicher Sicherheit gesagt werden: Das übergroße Mafia-Epos von Scorsese wäre an den Kinokassen wahrscheinlich ein Flop geworden.

Netflix ist die Gewinnmarge egal

Der Cineast fand seinen Mäzen dann dort, wo die Cineastik offen bekämpft wird, denn der Streaming-Gigant Netflix war 2016 bereit, das Projekt zu finanzieren. In seinem jüngst für die New York Times  verfassten Essay weißt Scorsese aber Kritik von sich. „Dort und nur dort konnten wir den Film so realisieren, wie wir es für nötig hielten“, schreibt der 77-Jährige.

Denn bei allem Gegenwind in der Filmbranche darf man Netflix etwas zugestehen: Der Streamingdienst gewährt seinen Partnern eine ungeheure kreative Freiheit. Laut Scorsese habe es nicht einen Eingriff seitens Netflix gegeben (via Inc. ). Der Online-Riese machte für die Regielegende sogar eine Ausnahme und ließ Scorsese einen Teil des Films auf analogen Kameras drehen.

Auch Al Pacino wurde subtil verjüngt. Als Jimmy Hoffa

Dass Netflix so weit und unbekümmert das Portemonnaie öffnet, verwundert ebenfalls nur wenig. Das an der Börse notierte Unternehmen gilt als Geldverbrennungsmaschine, hat laut Variety  aktuell mehr als 12 Milliarden US-Dollar Schulden angesammelt. Während Gewinn am Box Office für die großen Studios wie Warner Bros. Und Universal alles oder nichts bedeutet, legt der Streaminganbieter Netflix viel mehr Wert auf Abonnenten-Zuwachs. Wächst dieser, steigt auch die Aktie.

Der Tarifcheck pro Filmauswertung ist da völlig sekundär. Zahlen gibt das Unternehmen ohnehin nur selten raus. Sollte The Irishman wirklich an die 175 Millionen eingeäschert haben, wäre es die bis dato teuerste Spielfilmproduktion des Konzerns. Für Scorsese dürfte ein großer Wunsch in Erfüllung gegangen sein. Dafür sei er „auf ewig dankbar“, wie er in der Times schreibt.

Würde ich den Film lieber auf mehr großen Leinwänden für eine längere Zeit sehen? Natürlich würde ich. Aber egal, für und mit was du letztendlich deinen Film machst – Fakt ist, dass die meisten Multiplex-Häuser mit Franchise-Filmen überfüllt werden.

The Irishman ist seit dem 27. November 2019 auf Netflix verfügbar.

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