Destiny – Ein Jahr und viele Probleme später

07.09.2015 - 18:00 Uhr
Destiny – Ein Jahr später
Bungie
Destiny – Ein Jahr später
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Jeder Winkel der Spielwelt ist erforscht, jeder Gegner tausend Tode gestorben. Echte Überraschungen erlebt in Destiny niemand mehr. Erfolgreich ist es trotzdem. Auch wenn offenbar nicht einmal die Entwickler wissen, warum das so ist.

Am 12. September 2014 sprach ich mit meinem Friseur über Spiele. Er erzählte von Fifa und Call of Duty, der klassische Gelegenheitsspieler. Dann erwähnte ich Destiny, das gerade erschienen war – und löste damit eine mehrminütige Hasstirade aus. „Das hab ich mir ja auch gekauft, weil alle das so feiern“, schimpfte der sonst so ausgeglichene junge Mann. „Aber das ist echt das Letzte. Da ist überhaupt nix drin, nur so ein blöd labernder Roboter und immer die gleichen Level.“

Kritische Stimmen gab es rund um Destiny schon immer. Zunächst wurde es zwar überhäuft mit Vorschusslorbeeren: Die Entwickler von Halo machen einen neuen Shooter! Mit Riesenbudget und Paul McCartney! Nur was Destiny eigentlich ist, konnte kaum jemand erklären – ein Problem, das die Entwickler erst neulich offen eingeräumt haben.  Alpha und Beta sorgten bei Spielern aber zunächst für viel Begeisterung, sogar Memes  gab es.

Dann wurde Spielern klar, dass die Inhalte der Beta etwa ein Viertel des Spiels ausmachen. Und der erste Shitstorm begann, bevor das Spiel überhaupt erschienen war. Auch weil Bungie mit Kommentaren wie Das Spiel geht erst ab Level 20 richtig los  fröhlich Öl ins Feuer schüttete. Eine Einschätzung übrigens, die sich später als vollkommen richtig herausstellen sollte.

„Das Spiel geht erst ab Level 20 richtig los.“

Das Klima rund um den Release von Destiny war also eher feindselig. Richtige Tests in der Spielepresse gab es nicht, auch Journalisten hatten vorab keinen Zugang erhalten. Die ersten Einschätzungen der Profis waren aber alles andere als freundlich: zu wenig Inhalte, eine konfus bis gar nicht erzählte Story, verwirrende Rollenspiel-Mechaniken und eine Schlussphase voller ständiger Wiederholungen. Anders gesagt: ein blöd labernder Roboter und immer die gleichen Level.

Erfolgreich war Destiny trotzdem, zu groß war der Hype. Tausende von Spielern fieberten im Livestream mit , als sich Primeguard in mehr als zehn Stunden als erster Clan durch Die Gläserne Kammer kämpfte. Zwei Erweiterungen stießen auf geteiltes Echo, gekauft und heruntergeladen wurden sie trotzdem. Und heute, ein Jahr nach Release, sind die Server noch immer voll, jede Kleinstenthüllung zur neuen Erweiterung Destiny: König der Besessenen landet bei Neogaf, Reddit und Co. sofort auf den vordersten Plätzen. Warum?

Erstens: Weil Destiny ein gutes Spiel ist. Wenn die grundlegenden Mechaniken stimmen, kann der Rest noch so mittelgut sein – Spaß macht es trotzdem. Im Fall von Destiny ist diese Grundlage das Spielgefühl beim Schießen und Springen: Dort hat Bungie offensichtlich seine Erfahrung aus mehr als zehn Jahren Halo-Entwicklung investiert. Ergebnis ist ein Shooter, der sich auch ohne Riesenroboter und 60 Bilder pro Sekunde besser und abwechslungsreicher spielt als Konkurrenten wie Titanfall oder Call of Duty.

Bye, bye, Peter Dinklage

Dazu kommen ein paar weitere Punkte, die bei aller berechtigen Kritik gelungen sind. Das Design der Welten, Charaktere und Waffen ist eine Augenweide, auch wenn es nur leere Kulisse für eine gut versteckte und nicht besonders interessante Story ist. Und die Tatsache, dass es seit Release nur selten Probleme mit Bugs oder überlasteten Servern gab, hat den Erfolg von Destiny sicher nicht geschmälert. Wie leicht sich Spieler dadurch vergraulen lassen, hat Battlefield 4 eindrucksvoll gezeigt.

All das erklärt aber noch immer nicht, warum so viele Spieler Destiny einfach nicht liegenlassen können – darunter übrigens auch mein Friseur. Der Grund dafür ist, dass Bungie auf das Fundament aus tollen Mechaniken eine sehr effiziente Suchtmühle im Diablo-Stil gebaut hat: wöchentliche Strikes, verschiedene Währungen, mysteriöse Händler mit ihrem eigenen Zeitplan und die nächste Belohnung für die Arbeit immer knapp vor der Nase. Es mag ein Spiel sein, aber manchmal fühlt es sich an wie ein Zweitjob.

Vieles spricht dafür, dass Bungie diese Suchtmühle eher aus Versehen gebaut hat. In der Zeit vor dem Release war da eher eine andere Vision zu hören:

„Spieler werden sehen, welche Waffe ein andere Spieler hat und dann wissen, was er durchgemacht hat, um sie zu bekommen.“

Schöne Vision, in der Praxis ist es aber eher: „Hast du den Eisbrecher bei Xur gekauft oder ist der im Dämmerungs-Strike gedropt?“

Vieles spricht dafür, dass sich Bungie der Schwächen seines Spiels vollständig bewusst ist. Sonst hätten sie wohl kaum all die Änderungen für König der Besessenen angekündigt : Das Quest-System wird komplett üb

erarbeitet, das Level-System auch. Tolle Waffen sollen Spieler wieder in Missionen finden, nicht einfach kaufen. Und selbst der umstrittene Auftritt von Peter Dinklage wird komplett aus dem Spiel gerissen und durch Nolan North ersetzt . Eine so radikale Operation am offenen Herzen ist selbst in der Welt der Onlinespiele selten.

Was nicht heißt, dass es nicht nach wie vor Kritik an Destiny gibt. Diesmal richtet sie sich allerdings weniger gegen das Spiel, sondern eher gegen sein Geschäftsmodell: Kurz nach der E3 kündigte Bungie die Legendäre Edition hat, mit dem Originalspiel, allen Erweiterungen inklusive König der Besessenen und ein paar eher belanglosen Boni. Die sollte es aber offenbar nur für Käufer dieser Edition geben, also für Neuankömmlinge – ein Affront für Fans der ersten Stunde.

Wird mit König der Besessenen alles anders?

Witzig gemeinte, aber herablassend klingende Worte  von Entwickler Luke Smith brachten das Fass endgültig zum Überlaufen, sodass Bungie schließlich zurückruderte : Auch Alteingesessene bekommen die umstrittenen Boni, gegen Geld natürlich. Ein Sturm im Wasserglas, aber auch ein Zeichen dafür, dass die Entwickler die Bedürfnisse ihrer Fangemeinde noch immer nicht verstanden haben.

Destiny ist nicht das Spiel, das es werden sollte. Und Bungie weiß inzwischen nicht mehr, welches Spiel sie eigentlich machen. Aus der Vision vom epischen Abenteuer voller Mysterien ist eine routinierte Jagd nach Monstern und Schätzen geworden. Nicht schlecht, aber ein wenig seelenlos. König der Besessenen wird zeigen, in welche Richtung die Reise geht: Zurück zum Spektakel oder tiefer in die Spielhölle? Am Ende könnte das zweite Jahr so für Destiny wichtiger sein als das erste.

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