Die erste deutsche Netflix-Serie Dark - Der Star ist die Show

30.11.2017 - 12:05 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
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Mit der ersten deutschen Netflix-Produktion will sich der Streaming-Anbieter klar von der Konkurrenz abheben. Man hat sich lange Zeit gelassen, aber dafür soll bei der Mystery-Serie Dark neben der Optik und Atmosphäre auch die Story stimmen.

Der Weg zu Dark war lang. So lang, dass der Nachzügler und direkte Konkurrent tatsächlich schneller zuschlagen konnte: Als Amazon Anfang Februar 2016 die erste deutsche Eigenproduktion für seine Streamingplattform ankündigte, verbuchte der Online-Versandriese damit den großen Coup für sich. Dabei hatte Netflix-Chef Reed Hastings schon einige Wochen vor dem Deutschlandlaunch seines Unternehmens im September 2014 angekündigt, dass man sicher auch hierzulande produzieren werde und so die Hoffnung der deutschen Serienfans auf baldige Abwechslung in der hiesigen Serienlandschaft befeuert. Doch die Monate zogen ins Land, und während Netflix zwar immer schneller und immer mehr weltweite Eigenproduktionen ankündigte, blieb es ziemlich still, was die Entwicklung eigener deutscher Formate anging.

Anscheinend erwies sich hier die Verwirklichung der Ansprüche Hastings doch als wesentlich schwieriger, als von ihm zunächst vermutet. Im Juni 2015 startete mit Sense8 zwar die spektakuläre Science-Fiction-Serie der Wachowski-Geschwister, die teilweise in Deutschland spielt und mit Hauptdarsteller Max Riemelt und Regisseur Tom Tykwer eine namhafte deutsche Beteiligung vorweisen kann, aber das zählte natürlich nicht wirklich. In der Zwischenzeit kam allerdings auch ohne Netflix Bewegung in den deutschen Serienmarkt. Ungewöhnliche Produktionen wie Deutschland 83 für RTL oder Weinberg auf TNT Serie konnten Achtungserfolge für sich verbuchen, und die Planungen für Babylon Berlin, die erste Eigenproduktion von Sky Deutschland, wurden ebenfalls immer konkreter.

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Ein Star macht noch keine Story: die "Schweighöfer-Serie"

Und dann also ausgerechnet Amazon. Dort setzte man bei der Bekanntmachung des neuen Prestige-Projektes hauptsächlich auf einen prominenten Namen: Matthias Schweighöfer. Der deutsche Schauspielstar und Regisseur von Kino-Erfolgskomödien wie What A Man, Schlussmacher oder Der Nanny war das Zugpferd, das die Hacker-Geschichte You Are Wanted als Hauptdarsteller, Showrunner und Regisseur vermarkten sollte. Dass in den Medien fortan nur noch von der "Schweighöfer-Serie" die Rede war, verdeutlicht die Wahrnehmung des Produktes: Ein Name, der für Erfolg und viele Zuschauer steht, zumindest in Deutschland. Für innovative Ideen und mitreißendes Storytelling eher nicht.

Nach dem Vorstoß des Konkurrenten sah sich Netflix wohl unter Zugzwang, nun ebenfalls möglichst schnell eine deutsche Serie präsentieren zu können. Mitte Januar hatte Hastings noch in Interviews erklärt, man hoffe "in den nächsten Monaten" eine entsprechende Ankündigung machen zu können, doch nach dem Paukenschlag von Amazon vergingen schließlich lediglich gute zwei Wochen, bis man offiziell bestätigte, die erste eigene Produktion aus Deutschland werde Dark heißen. Dabei wurde bereits deutlich, dass der Inhalt der Mystery-Geschichte – es gehe um vier Familien in einer typischen deutschen Kleinstadt, die durch das Verschwinden zweier Kinder aus den (zeitlichen) Fugen gerissen wird – im Zentrum der Meldung stand, selbst wenn mit den Beteiligten, Regisseur Baran bo Odar, Autorin Jantje Friese und der Produktionsfirma Wiedemann & Berg international etablierte Filmschaffende am Werk sind.

Kernteam (v.l.n.r.): Baran Bo Odar, Jantje Friese, Eric Barmack, Quirin Berg, Justyna Muesch

Beim Pressetag Mitte November 2017 in Berlin, gut 21 Monate später, bestätigt sich der Eindruck, dass trotz des hervorragenden Casts aus etablierten Kino- und Theaterdarstellern wie Oliver Masucci, Jördis Triebel, Maja Schöne, Sebastian Rudolph oder Mark Waschke sowie Jungsdarstellern wie Louis Hofmann und Lisa Vicari, die Show der eigentliche Star ist. Produzent Quirin Berg, der zusammen mit Odar und Friese 2015 den Hacker-Thriller Who Am I überraschend erfolgreich auf deutsche Kinoleinwände gebracht und damit auch große internationale Beachtung gefunden hatte, sieht hier den Ausgangspunkt zur Zusammenarbeit mit Netflix:

Who Am I ist auch in den USA hoch gehandelt worden und hat gerade Bo und Jantje eine große Aufmerksamkeit generiert. Auch die Kollegen bei Netflix waren große Fans des Films. Das hat sicherlich das Gespräch erleichtert, wenn nicht auch gestartet.

Der einzigartige Netflix-Pitch

Tatsächlich habe der Streaminganbieter ursprünglich über eine Serienversion von Who Am I nachgedacht, erfährt man in Berlin, doch im Hinblick auf You Are Wanted und die US-Serie Mr. Robot dürfte man sich bei Netflix mittlerweile darüber freuen, dass Odar und Friese kein Interesse an einer Fortführung des Hacker-Themas gehabt hatten und stattdessen mit der Idee zu Dark vorstellig wurden.

Wir haben an dem Konzept schon länger geschrieben. Es war ursprünglich einmal für einen britischen TV-Sender gedacht, war aber damals noch eher eine Familien-Crime-Geschichte. Es gab noch keine übernatürlichen Elemente. Parallel hatten wir noch an einer Kinofilm-Trilogie gearbeitet, in der es um Zeitreisen ging

erinnert sich Jantje Friese.

Als es um die Frage ging, was wir denn Netflix nun pitchen könnten, haben wir einfach mal alles aus der Schublade herausgeholt, und dann lag es nebeneinander. Da haben wir uns gefragt was passiert, wenn wir beides zusammenpacken. Das war ein Aha-Moment, so als ob man auf eine Goldader gestoßen wäre. Alles hat sich plötzlich gefügt und wir hatten beide wahnsinnig viele Ideen dazu – und haben das gepitcht. Dann ging alles sehr schnell.

Die Antwort auf die Frage, wie die konkreten Erwartungen ihrer Auftraggeber an die erste deutsche Eigenproduktion denn nun gewesen seien, die sie mit ihrer Idee erfüllen konnten, fasst sie schließlich so zusammen:

Netflix wollten etwas sehr Eigenes. Sie haben etwas gesucht, was es so nicht gibt, weder in Deutschland noch irgendwo anders, etwas wirklich Eigenständiges. Deswegen haben sie einfach nach guten Ideen gesucht. Und das war etwas, was ihnen gefallen hat.
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Figurendrama statt Kinderkino

Auch Regisseur Odar hebt die inhaltlichen Ambitionen hervor, die seine Frau und ihn beim Entwickeln von Dark angetrieben hätten. Für den Mann der großen Bilder füllen die Möglichkeiten der seriellen Erzählweise mittlerweile eine Leerstelle, die sich seit einigen Jahren auf dem Kinomarkt aufgetan hat:

Was wir sehr vermisst haben in den letzten zehn Jahren ist das Drama, das aus dem Kino verschwunden ist. Ganz klares Erwachsenenkino. Was funktioniert ist Kinderkino – Superhelden, Marvel, Avengers, DC. Die dürfen da sein, es gibt lustige Superheldenfilme. Es kann doch nicht sein, dass es gerade das Einzige ist, was funktioniert – aber so ist das derzeit. Nun ist die Chance da, das mit Netflix, Amazon, HBO wieder Content für das Erwachsenenpublikum geschaffen wird, das sich gerne zu Hause ein Figurendrama anschaut, oder auch Comedy- oder Crime-Dramen, bei denen es um Figuren geht, nicht um Spektakel.

Die vorab zur Verfügung gestellten drei Folgen von Dark zeigen, dass die Macher ihre außergewöhnliche und fesselnde Geschichte wirklich ambitioniert erzählen und umgesetzt haben. Im Gegensatz zu You Are Wanted, deren Story ganz der Präsenz seines Stars untergeordnet und dafür stark kritisiert wurde, scheint das Team Odar/Friese die gelungene Optik und Atmosphäre seiner Serie mit dem starken inhaltlichen Kern ihres Zeitreise-Dramas kombinieren zu können. Allerdings werden in den ersten Episoden so viele Fäden gesponnen, dass es bis zur Veröffentlichung am 1. Dezember 2017 noch offen bleibt, wie der Gesamtbogen über die zehn Folgen der ersten Staffel gespannt wird – und ob die Stränge der komplexen Handlung auf drei Zeitebenen am Ende nachvollziehbar sind und für die Zuschauer befriedigend zusammengefügt werden können.

Jens Mayer (@jens_mayer ) ist freier Autor und Journalist für Medien-, Film- und Serienthemen. Mit seinem Podcast Serienreif (@serienreif ) begleitet er das deutsche Serienjahr.

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