Die Evolution des Wohnzimmerkrieges

08.11.2011 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Call of Duty: Modern Warfare 3
Activision
Call of Duty: Modern Warfare 3
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In den Wohnzimmern herrscht Krieg. Nicht nur um die Fernbedienung, sondern dank Filmen und Videospielen auch auf den Bildschirmen.

Krieg ist so alt ist wie die Menschheit selbst. Von jeher übt er auf uns eine bedrohliche Faszination aus, was besonders Kunst und Medien gerne widerspiegeln. Es gibt keinen Krieg, dem nicht mindestens ein Film gewidmet wurde. Dabei ist es egal, ob es sich um den Ersten Weltkrieg handelt (Im Westen nichts Neues, Die große Illusion), dem bereits vor 1945 über 200 Streifen gewidmet wurden, oder um den weniger bekannten Mau-Mau-Krieg (Flammen über Afrika, Simba). Kein Krieg ist vor einer visuellen Adaption sicher und es vergeht kein Jahr, in dem kein Film, Buch oder Spiel dieses Genres veröffentlicht wird.

Dieses Jahr erreichte uns filmisch bereits 5 Days of War von Renny Harlin und nicht nur Gefährten von Steven Spielberg, sondern auch 1911 Revolution von Jackie Chan und Li Zhang laufen noch in den Kinos an, um nur drei aktuelle Streifen zu nennen. Schon, wenn wir uns eine Liste mit Kriegsfilmen ansehen, droht die schiere Menge an Werken uns zu erschlagen.

Eine kurze Geschichte
Als erster Kriegsfilm der Geschichte zählt der 1:30 Minuten lange Tearing Down the Spanish Flag von J. Stuart Blackton aus dem Jahr 1898, der kurz nach Ausbruch des spanisch-amerikanischen Krieges entstand. Dieser besteht aus nur einer einzigen Szene, in der ein Soldat eine spanische Flagge entfernt und stattdessen eine US-Flagge hisst. Weitaus länger und für die Meisten wohl auch bedeutsamer ist Geburt einer Nation von D.W. Griffith, der sich mit dem amerikanischen Bürgerkrieg beschäftigt. Der Stummfilm von 1915 sorgt noch heute für sehr zwiespältige Meinungen. Einerseits wird er für seine filmischen Innovationen gelobt, andererseits lässt sich Rassismus und Propaganda in dem Werk kaum leugnen. Das krasse Gegenteil findet sich in dem Oscar-pramierten Anti-Kriegsfilm-Klassiker Im Westen nichts Neues von Lewis Milestone, dessen mahnender Ton sich auch in jüngeren Werken wie Der Längste Tag, Apocalypse Now, The Big Red One, Platoon oder Full Metal Jacket findet. Wenn wir uns die Kriegsfilme der letzten Jahre ansehen, dann finden wir sowohl eher klassisch-patriotische Streifen wie Tränen der Sonne, Wir waren Helden oder Black Hawk Down als auch kritische Filme á la Green Zone oder Satiren wie Tropic Thunder. Seit seinen Anfängen ist das Genre Krieg in den visuellen Medien weit gekommen und auch eine weitere Evolution ist in vollem Gange.

Aktuelle Evolution und falscher Realismus
2012 kommt unter anderem Act of Valor ins Kino, der den Realismus der Darstellung auf eine völlig neue Ebene bringen wird. Anstatt Schauspieler zu engagieren, beschlossen Mike McCoy und Scott Waugh in einem Abkommen mit der Navy, die Rollen mit SEALs zu besetzen. Die Geschichte des Filmes ist zwar erfunden, Kampfeinsätze, Abläufe und Taktiken sind jedoch real, was durch die Verwendung echter Navy SEALs unterstrichen werden soll. Kann aber von Realismus die Rede sein, wenn ein Film wie dieser in Zusammenarbeit mit einer militärischen Organisation entsteht und wir davon ausgehen müssen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema daher nicht stattfinden wird? Bedeutet fehlende Kritik gleich, dass auch der Realismus fehlt? Während die einen Act of Valor als eine neue Art von Kriegsfilm bejubeln, sehen wieder andere in ihm nur einen weiteren Propaganda-Versuch der Glorifizierung und Romantisierung des US-Militärs.

Besonders seit Beginn des Irak-Krieges 2003 oder schon seit dem “War on Terror”, steht jedes moderne Medium, das sich mit dem Thema beschäftigt, unter dem Generalverdacht als Propagandamittel verwendet zu werden. In erster Linie müssen sich Videospiele dieser Unterstellung immer wieder erwehren, da eine Geschichte hier nicht passiv konsumiert wird, sondern der Spieler aktiv am fiktiven Kriegsgeschehen teilhat – ein Fakt, den Kritiker als Trainingslager für künftige Soldaten beschreien. Games wie America’s Army, eine nicht ganz so versteckte Armee-Werbung in Spielform, untermauern solche Vermutungen nur.

Optiktausch
Während Act of Valor es mit Hyperrealismus versucht, geht Simon West mit Thunder Run in die entgegengesetzte Richtung. Er will seinem Kriegsfilm eine Spur des Realismus nehmen, indem er seine Schauspieler hinter CGI, Motion und Facial Capture versteckt. Als Vorbild für seine Idee, die auf dem Buch Thunder Run – The Armored Strike to Capture Baghdad von Pulitzer-Preisträger David Zucchino basiert, dient die erfolgreiche Videospielreihe Call of Duty, deren stilistische Atmosphäre er einfangen möchte. Was haben wir davon zu halten, dass ein Regisseur seinen Filmen ein Stück ihres Realismus nimmt, indem er ein Mittel verwendet, das eigentlich dafür entwickelt wurde, Figuren in Videospielen realistischer zu machen? Diese, auf der anderen Seite, versuchen immer naturgetreuer und filmischer zu werden. Gerade dank neuer Grafik-Engines gleichen erst kürzlich erschienene Spiele wie Battlefield 3 und Call of Duty: Modern Warfare 3 immer mehr den Filmen, von denen sich Act of Valor nun abspalten will.

Aber was bleibt einem Regisseur anderes übrig, um sich von der Masse an Genrefilmen noch abheben zu können, wenn sich doch noch so viel Geld mit dem passiven Krieg machen lässt – gerade wenn er es mit einem erfolgreichen Franchise wie Call of Duty in Verbindung bringt?
Schließlich lautet die Devise There’s a soldier in all of us, wie Activision letztes Jahr für Call of Duty: Black Ops warb. Wenn wir uns den Umsatz des Spieles am ersten Tag ansehen, der bei fast 400 Millionen Dollar lag, dann können wir dem kaum wiedersprechen.

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