"Die Zukunft des Genres" im Test zu Until Dawn

24.08.2015 - 17:00 Uhr
Until Dawn
Sony Computer Entertainment
Until Dawn
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Until Dawn von Supermassive Games wurde über Monate hinweg als einer der vielversprechendsten Horror-Titel des Jahres gehandelt: Das Spiel scheut sich nicht einmal davor, den Superlativ "Die Zukunft des Genres" in den Mund zu nehmen — aber auch zurecht?

Dieses Review ist spoilerfrei.

Es fällt mir schwer, über Until Dawn zu schreiben, während eine Fensterscheibe weiter knapp 30°C, blauer Himmel und heller Sonnenschein auf mich herunterblicken.

Noah Fleiss, einer der Synchronspieler hinter den Teenagern mit überdurchschnittlich hohem Sterbe-Risiko, beschreibt Until Dawn als "Wegweiser für die Zukunft des Genres". Ich sehe sein Interview kurz nachdem ich meinen Spieldurchlauf beendet habe und bin noch viel zu aufgewühlt, um über seine Worte wirklich nachzudenken. In den vergangenen vier Tagen habe ich nur drei der acht Mädels und Jungs zum rettenden Ende der Geschichte führen können — die übrigen haben kein Glück gehabt.

Die Qual der Wahl

Hm, nein, das stimmt so eigentlich nicht: Ich bin der Grund für ihr Ableben, nicht irgendein Zufall, Glück oder Unglück. Fast jedes Gespräch, jede Begegnung, jede Flucht fordert von mir eine Entscheidung: Nehme ich die unsicher erscheinende Abkürzung über die morsche Brücke oder wähle ich lieber den sicheren, aber längeren Fluchtweg? Vertraue ich meiner Freundin, die sich einige Minuten alleine mit ihrem Exfreund wünscht? Überlasse ich eine meiner beiden gefundenen Waffen meinem alten Schulfreund oder behalte ich vorsichtshalber doch alles für mich?

Selbst wenn ihr Fehler beginnt, ist das Spiel natürlich nicht vorbei.

Die möglichen Folgen meines Verhaltens sind fast undurchschaubar, allerdings gibt mir Until Dawn zwei hilfreiche Werkzeuge an die schwitzige Hand, um keinen Verdacht auf Beliebigkeit statt Entscheidungsfreiheit entstehen zu lassen: Zum einen stolpere ich immer wieder über sogenannte Totems, kleine Holzfigürchen, die mir in Form einer sekundenlangen Vision eine leise Ahnung davon geben, was in unmittelbarer Zukunft auf mich warten könnte. Zum anderen informiert mich auf Wunsch ein Beziehungsbarometer, welches Verhältnis der Teenager unter meiner Kontrolle zu seinem Umfeld pflegt. Praktisch!

Trotz der ständigen Qual der Wahl hat Until Dawn nichts mit der Schwere der Telltale-Adventures zu tun: Hier treffen wir unsere eigenen Entscheidungen viel häufiger, fast im Minutentakt und formen auf diese Weise eine ganz individuelle Geschichte, ohne in den meisten Fällen allzu lange darüber nachdenken zu müssen.

Ein faszinierendes Spielkonzept

Als Until Dawn auf der E3 2014 angekündigt wurde, präsentierte sich das Horror-Spiel als recht wörtliches Zitat und Abziehbald der Teenie-Slasher wie Scream - Schrei! oder Freitag der 13.: Eine im Handtuch bekleidete Blondine wackelt unsicher durch ein Blockhaus tief im verschneiten Wald, während ihr ein Messermörder auf der Spur ist.

Gähn.

Das Spiel, das ich schließlich nun über ein Jahr später gemeinsam mit Freunden spielte, bietet so viel mehr als die festgefahrenen filmischen Motive von vor über 20 Jahren: Die Geschichte präsentiert zwar all die Twists und kleinen Höhepunkte, die in den 90er Jahren für einen begeisternden Applaus auf jedem Filmfestival gesorgt hätten, doch garniert Until Dawn diesen Kern mit dem Reiz der eigenen Entscheidungsfreiheit.

Hin und wieder bricht der Teenie-Kitsch aus.

Es macht tatsächlich einen Unterschied, wie ich mich in den vielen Situationen verhalte — einer der wenigen Momente, in denen die gutmütigen Versprechen der Pressesprecher tatsächlich Recht behalten.

Dennoch muss ich die Hoffnung mancher Leser ein wenig enttäuschen: Until Dawn ist nicht immer ein grauer, düsterer, verstörender Horrorfilm, der euch ab und zu zum Controller greifen lässt. Die Geschichte der acht Teenager zieht immer wieder großzügige Bahnen zu Themen wie Flirts, Mobbing oder die Angst, das neue Handy auf einer Verfolgungsjagd zu verlieren: Spielbarer Trash, der immer wieder für ein kurzes Lachen sorgt, der typische "Wie kann man nur so doof sein!"-Moment zum Selber spielen. Das ist Geschmacksache und prädestiniert Until Dawn dazu, gemeinsam mit Freunden erlebt zu werden.

Fazit

Um es deutlich zu sagen: Ich bin von Until Dawn begeistert. Die Idee, acht Teenager über zehn Spielstunden hinweg quer durch eine grausige Winterlandschaft zu jagen und dabei meine Entscheidungen zum eigentlichen Held der Geschichte zu machen, funktioniert in der Praxis sehr gut. Durch mein Verhalten formte ich jeden einzelnen der potentiellen Opfer in ihrem Charakter und ihren Beziehungen zueinander und schuf mir so allmählich Sympathie-Träger, die ich um keinen Preis verlieren wollte.

Selbst kleinste Details können gigantische Auswirkungen heraufbeschwören.

Ob Noah Fleiss mit seiner Aussage, dass Until Dawn die Zukunft des Genre sei, recht behält, muss sich erst noch zeigen. Doch eines ist bereits jetzt bemerkenswert:

Es fällt mir schwer, über Until Dawn zu schreiben, während eine Fensterscheibe weiter knapp 30°C, blauer Himmel und heller Sonnenschein auf mich herunterblicken — und trotzdem spüre ich in diesem Moment eine dicke Gänsehaut , wenn ich an die erlebten Abenteuer mit dem Spiel von Supermassive Games zurückdenke.

Dieses Review wurde mit Hilfe eines vom Publisher zur Verfügung gestellten Musters angefertigt.

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