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Die zwei, nein, das eine Leben eines Undercovercops

01.05.2015 - 12:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Ein letzter Blick zurück auf das alte Leben
MC One
Ein letzter Blick zurück auf das alte Leben
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Undercovercops liefern Filmemachern seit jeher Material für hochgradig spannende und intensive Polizeithriller. Doch im Grunde sind es tragische Figuren, die teils im Streben, teils im Zwang ihrer Arbeit nachgehen und ihr Leben riskieren, um Recht und Ordnung durchzusetzen. Dass dabei zum Schutz der eigenen Persönlichkeit, ja des eigenen Lebens, etwas auf der Strecke bleibt, ist wohl das mindeste, was es darüber zu erzählen gibt. In gewisser Weise entwickeln sie aus der Not ein völlig neues Ich. Ein Ich².

Fortan wird es um zwei Hongkongfilme gehen: Protégé von Tung-Shing Yee (a.k.a. Derek Yee) und Infernal Affairs - Die achte Hölle von Wai-keung Lau und Alan Mak. Es werden KEINE KONKRETEN SPOILER genannt. Allerdings werde ich auf einzelne Szenen näher eingehen, welche jedoch nur charaktertechnische Einblicke gewähren. Auf Spoiler in der Handlung verzichte ich. Wer also vor SPOILERN zurückschreckt, sollte den Text umgehend weglegen (oder erst die Filme schauen. Denn die sind ohnehin klasse).

Warum überhaupt nehmen Leute Drogen?

Warum? (Daniel Wu in "Protégé")

Das fragt sich Nick (Daniel Wu) zu Beginn des subtilen Thrillers Protégé, der in seiner runtergekommenen Bude auf der Couch liegt. Er kommt gerade vom Dienst und steckt noch in seiner Polizeiuniform. Er ist ein ehrenhafter und unbescholtener Polizist, der sich noch nie so richtig mit menschlichen Abgründen befassen musste. Und doch macht ihn diese eine Frage zusehends zu schaffen.

-Zeitsprung-

Nick ist nun Undercoverpolizist in einem Triadennetzwerk des Drogenbarons Quin (Andy Lau). Seit acht langen, einsamen und harten Jahren. Ständig auf der Hut; bloß keinen Fehler leisten, der das eigene Leben kosten könnte. Und so kommt es, dass er sich das Vertrauen seines Chefs als sogenannter Protégé erschleicht und dieser sogar in Erwägung zieht, Nick die Führung zu überlassen, um sich endlich in den Ruhestand absetzen zu können.
Eine Zwickmühle, in der Nick eine Entscheidung treffen muss: Entweder er bringt seinen Auftrag, den er als Polizist begonnen hat zu Ende, oder aber er entscheidet sich für sein neues Ich, sein zweites Ich, welches er über die 8 Jahre aufgebaut hat. Die Frage ist nur: Womit fühlt er sich nun mehr verbunden?

Auch im Hongkongklassiker Infernal Affairs - Die achte Hölle sieht sich Yan (Tony Leung Chiu Wai) zunehmend in dieser Position. Wie Nick in Protégé legte auch er vor Jahren seine eigene Identität ab, um für die Polizeibehörde in den verwinkelten Zweigen der Triaden abzutauchen. Und auch er verliert sich. Sämtliche Kontakte zu Familien und Freunden abgebrochen, einzig der Polizeichef (Anthony Wong) kennt die Wahrheit über ihn und dient somit als Anker für die Vergangenheit - seine Vergangenheit.
In einer Schlüsselszene im Film überreicht ihm sein Chef ein Feuerzeug und gratuliert zum Geburtstag. Eine Selbstverständlichkeit eigentlich, und doch…ist selbst Yan von dieser Geste überrascht. Hat er dieses Datum doch selbst schon längst vergessen. Im Streben nach der völligen Selbstaufgabe der (alten) Persönlichkeit, um seiner Pflicht treu nachzugehen. Um seinen sicherheitsspendenden Kokon intakt zu halten.

Je stärker der Wille zur Selbstaufgabe, desto tiefer gelangen die beiden Cops in die Fänge des Verbrechens. Sie sehen sich in dem korrupten Strudel gefangen und wollen immer das schlimmste verhindern. Doch sie können es nicht immer. Sie können es aus Selbstschutz nicht tun. Sie können es nicht tun, um die Operation nicht zu gefährden. Sie können es nicht tun, um den Schein zu wahren. Und so belastet dieser Job. Menschen, unschuldige Menschen, sterben vor ihren Augen, sie müssen Entscheidungen treffen, die ein offizieller Polizist niemals treffen würde. Was sie jedoch tun können, sind kleine Impulse zu liefern. Impulse, die niemals und unter keinen Umständen nachverfolgbar sein dürfen, aber stark genug sind, um zweifelhafte Ereignisse in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sie wegzulenken. Und genau das sind die Momente, die so gefährlich sind. Die sie auffliegen lassen können. Und in diesen Momenten ist etwas von Nöten, das einen daran erinnert, warum man dies tut. Ein Anker, der unabhängig vor sich hin treibt, der für Ablenkung sorgt und drohende Konsequenzen zumindest für den Augenblick auszublenden vermag.

Wenn Yan Glück hat, gelingt ihm dies für eine halbe Stunde. Eine halbe Stunde, um aus dieser Welt zu fliehen. Wenn er sich bei einer Therapeutin einnistet, die ihm als unabhängiger Ankerpunkt dient- ihm die nötige Ruhe schenkt und dafür sorgt, dass Yan wenigstens für ein paar Augenblicke lang nicht an die Konsequenzen seines Handelns denken muss. Frei sein. Er selbst sein.
„Ich habe in den letzten paar Jahren nie so gut geschlafen.“
Sie ist die einzige unabhängige Konstante, bei der sich Yan sicher und geborgen fühlen kann, ehe er wieder zurück auf die Straße muss. Seinen (zweifelhaften) Dienst verrichten muss und somit wieder in den Konflikt mit seinem zweiten Ich treten muss.

Therapie als Zufluchtsort für Yan (Tony Leung in "Infernal Affairs")

Nick hingegen hat eine andere Konstante für sich entdeckt. Die Nachbarin, eine Drogenabhängige und ihre kleine Tochter. Widerwillig lässt er sich auch "außer Dienst" in diese düstere Welt ziehen, treibt immer weiter auf den Abgrund zu. Dabei sind ihm die Grenzen anfangs noch wohlbekannt. Doch allmählich entdeckt er den Reiz des ganzen, er beginnt zu verstehen warum. Warum Menschen so handeln wie sie handeln, warum sie tun, was sie zu tun gedenken. Schließlich muss er die Verantwortung für die Kleine übernehmen. Sie erinnert ihn stets daran, auf welchem schmalen Grad er wandert, ehe sie ihm am Ende auf ihre Weise das Leben rettet und ihn von der erdrückenden Last seines zweiten Ichs befreit.

Warum überhaupt nehmen Leute Drogen? Ich dachte immer, ich würde es nie verstehen können. Nun, da soviele gestorben sind, habe ich es verstanden. Es ist die Einsamkeit. Eine tiefe, innere Leere die sie dorthin treibt. Aber was nun genau schlimmer ist, die Einsamkeit oder die Drogen, das weiß ich immer noch nicht.

Immer wieder zeigen uns Filme, wie moralische Grenzen im Namen des Gesetzes gebrochen werden müssen, um eine jahrelang geplante Aktion nicht zu gefährden. Doch immer sind es die Undercovercops selbst, die irgendwann gebrochen werden und sich in ihrer zweiten Identität, ihrer Tarnung, zusehends verlieren. Zwischen Moral, Arbeit und der Pflicht. Sie bleiben auf der Strecke. Mit ihrem (selbst-) erschaffenem Ich².

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Monat für Monat verabreden sich Moviepiloten, um sich Texte zu einem vorgegebenen Thema aus den Fingern zu saugen. Wenn auch ihr mitmachen wollt, dann nehmt euch folgendes Thema für den Juni vor:

"I just can't get enough"

Die filmische Auseinandersetzung mit Sucht und Obsessionen, mit Gier und Fetischen, mit der Lust am Rausch und an der Macht.

Für weitere Infos der Aktion, das was, wie, warum und wer, klicke HIER. Oder ihr fragt bei chita91 und/oder Grimalkin an.

Und hier findet ihr die restlichen Artikel der "Blog me if you can"-Aktion:

Grimalkin: Die vielen Leben der Chiyoko Fujiwara

Laudania: Identifikation mit Filmfiguren - Vom Finden des anderen Ich

Martin Canine: Another Earth - Nennt sich Erde 2 auch Erde 2?

Boogers666: Sexual Healing: Sexuelle Identität im Film

Friedsas: Der Mann im Mond und seine einsame Zweisamkeit


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