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Dingo's Musikecke #9

18.10.2016 - 20:09 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
WEA, Dark Fantasy, Bros, BMG, ersguterjunge
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Ich bin mit dieser Ausgabe besonders zufrieden. Ich hatte viel Spaß beim Verfassen und hoffe, ihr habt genauso viel Vergnügen beim Lesen.

Cher - Living Proof

Jahr: 2002

Genre: Pop

Anspieltipps: You Take it All, The Music's No Good Without You, When the Money's Gone

Ja, ja und nochmals ja: so, und genau SO hat Popmusik zu klingen! So macht man das, das ist die ultimative Pop-Erleuchtung, vom ersten bis zum letzten Track mit Guilty Pleasure-Faktor Eintausend. Divenhaft, östrogenhaltig und vollgepatscht mit musikalischen Superlativen.

Wie Madonna ist Cher ein Chamäleon, das sich über die Jahre nicht nur gewandelt hat, sondern mit jeder Wandlung den neuen Ton angegeben hat. Beide haben nicht einfach den neuesten Trend kopiert, sie haben alles komplett weggefegt, was zuvor da war. Chers Karriere reicht dabei immerhin 2 Jahrzehnte weiter zurück als Madonnas, und so ist es wenig verwunderlich, dass seinerzeit die Reaktionen auf den radikal geänderten Stil in das Electro-Pop-Genre gen Ende der 90er und Anfang der 00er Jahre bei Cher gemischter ausfielen als die bei Madonna, welche als Künstlerin (vollkommen zurecht) in den Himmel gepriesen wurde. Man hatte auch mehr zum nostalgisch rückblicken, und die Folkbraut, die mit Sonny Bono gemeinsam rockt, wurde durch einen mit elektronischen Technobeats hantierenden und Vocoder verwendenden Popstar ersetzt. Dennoch war die Musik Chers, wenngleich anders als bei ihrer Kollegin nicht aus eigener Feder, nicht weniger genial und offenbarte originellste Seiten der Diva. Ja, "Dark Lady" aus den 70ern ist immer noch ihr bestes Lied, aber für mich hört sie sich zur Zeit ihrer von Eurodance und Trance inspirierten Werke am Wohlklingendsten an.

Für mich ist "Living Proof" sogar noch um eine Schippe besser als das berühmtere und retrospektiv auch gepriesenere "Believe", welches ihren Umschwung begründete und auch einen Pop-Meilenstein darstellt. Bereits der Opener "The Music's No Good Without You" klingt mit all seinen Effekten und Spielereien unglaublich futuristisch, und doch so dermaßen bombastisch, rein durch Elektronik und künstlich verfremdete Gesangseinlagen, und dabei um ein Vielfaches melodiöser als französische Chansons. Eine gewisse Disco-Melodramatik zieht sich durch das gesamte Werk; überproduziert, kitschig und spacig wie es ist. Die Herzschmerz-Schnulzen schweben über clubtaugliche, harmonische und abnormal extravagante und theatralische Rhythmen. Wer wissen will, wo Lady Gaga ihre Inspiration für ihr "Born This Way"-Album her hat, der sollte mal bei "(This is) A Song for the Lonely" ganz genau hinhören. Im Mittelteil werden die stampfenden Beats gegen Acoustic-Gitarrenspiel und Britney Spears-like Teen-Pop-Drumkits getauscht, auch etwas Latin klingt an - eben alles, was der mit Testosteron vollgepumpte Muskelprotz um die Jahrtausendwende begehrt hat. Mit "Love is a Lonely Place Without You" schwebt man dann wieder sofort in fremden Trance-Sphären. Wunderbar werden auf "Living Proof" Chers extrem starke Stimme und zeitgleich die neuesten Vocoder in den Vordergrund gestellt. Diese werden auch richtig eingesetzt: wer wissen will, wie Autotune eigentlich eingesetzt wird - und ich meine dich, Sun Diego - sollte aufhorchen. Aber zuvor wird noch zu den mit melancholischem Klavier unterlegten Drum and Bass-Beats von "You Take it All" weinend getanzt. Und während beim abschließenden Verliebtheits-Glückskeks "When the Money's Gone" das limbische System ekstatisch seinen kolpletten Inhalt auszuschütten beginnt, überlegt man bereits, welches Album sich nun in den Player schieben soll - vielleicht was von Kylie Minogue oder Céline Dion.

Neben Madonnas "Confessions on a Dancefloor", Gwen Stefanis "Love. Angel. Music. Baby.", Justin Timberlakes "Futuresex/Lovesounds" und Britney Spears' "Oops! I Did it Again" gehört dieses Werk hier zum absoluten Top of the Top of the Top of the Top of the Pop der 00er Jahre, zu der Zeit, als mir Popmusik mit am Meisten gefiel.

★★★★★ (5 von 5)


Blood on the Dance Floor - All the Rage!!

Jahr: 2011

Genre: Pop, Crunkcore

Anspieltipps: Find Your Way, Happy Violentine's Day, My Gift & My Curse [James Egbert Remix]

Was in dem Jahr zwischen "All the Rage!!" und "The Anthem of the Outcast" passiert ist, ist schier unglaublich. Die Metamorphose von diesem amateurhaften und unbeholfenen Karaoke-Abenteuer, welches ich heute reviewe, zu dem zuvor genannten Meisterwerk, welches ich, seit ich es letzten Monat gekauft habe, sicher im zweistelligen Bereich komplett durchgehört habe, ist so gigantisch, man hält es kaum für möglich, dass es sich um dieselbe Band handelt. Doch beide Alben stammen von Dahvie Vanity und Jayy von Monroe, besser bekannt als Blood on the Dance Floor.

Die Art, auf welche "All the Rage!!" versagt, in für mich etwas schwer zu beschreiben, denn sie ist für mich etwas ungewohnt und überaus schwer zu bewerten. Zumeist ist es für mich leicht, zu erkennen, wo ein Album hin will und wo es gegebenenfalls auf dem Weg dahin scheitert. Dieses Werk hingegen ist dahingehend schwierig, dass man oft nicht wirklich erkennt, was Blood on the Dance Floor sein will. Ab "Evolution" und auf nachfolgenden Releases ist es um einiges deutlicher: das Duo steht für Andersartigkeit und Extravaganz, und weiß auch, dass man mit Anfeindungen zu kämpfen hat, weshalb die beiden Typen in ihren Liedern ganz oft aggressiv gegen Hater hetzen. Die Musik ist zumeist sehr gefühlsbetont, sowohl in positiver als auch in negativer Weise. So steht "The Anthem of the Outcast" im Zeichen der Teen-Angst und dreht sich um Liebeskummer, das Sich-nicht-einfügen-können-und-wollen, Femme Fatales, das Fliehen in die Fantasie, usw. "Bad Blood" hingegen ist eine einzige Kampfansage an alle Hater und klingt dabei deutlich zorniger und zynischer. Das passt alles in das Konzept des Projektes, und die geniale Produktion macht das Anhören einfach zu einem aufregenden Trip. Aber ich habe in den letzten 3 Musikecken bereits je ein Album reviewt, ich verweise mal darauf.

"All the Rage!" hingegen ist ein Sammelsurium an bizarr kontrastierenden Inhalten: eine hohe Anzahl an sexuell expliziter Texte a la Bloodhound Gang, teils brutale und wilde Hymnen, die von einem Electro-Ableger von Limp Bizkit stammen könnten und an Boybands erinnernde Lovesongs dominieren das Album. Dass auf das kitschige "Bewitched" ("You're attractive, little witch, you're beautiful / Your wickedness, little witch, you broke my heart") das mit Kettensägen und ekligen Platschgeräuschen auftrumpfende "Happy Violentine's Day" folgt, ist schon arg befremdlich. Stimmungskiller pur, es ist kaum zu sagen, ob tatsächlich beide Songs ernst gemeint sind. Ersterer könnte auch gut von Caught in the Act stammen, zweiterer zelebriert eine "Höhö, Blut und Gedärme!"-Attitüde. Eine Schizophrenie, die sich durch das ganze Album zieht. Etwas später folgt mit "Nirvana" eine hippiehafte Friedenshymne, "Yo Ho" handelt dann vollkommen fernab jedes Kontexts von Piraten und ist wohl ein Outtake aus der LazyTown-Serie, das irgendwie an BOTDF gelangt ist.

Wie ich in den letzten Reviews bereits anmerkte, ist Dahvie Vanity kein begnadeter Sänger, und seine Stimme wird offenbar unbearbeitet verwendet. Gerade auf dem oben bereits genannten "Bewitched" fällt auf, wie sehr er sich anstrengt, um überhaupt irgendwie den Ton zu treffen. Sein Rappen auf den flotteren Songs ist teilweise haarscharf am Takt vorbei, und er quetscht eindeutig zu viele Silben in zu wenig Zeit. Ich mache das nicht gerne, denn ich bin mir sicher, dass sich Vanity mit seiner Musik bemüht und es einfach nicht besser kann, was ich jammerschade finde. Ich will seine Parts ja mögen, aber man sollte Musik auch genießen können und so geht das nicht. Jayy von Monroe hingegen hat fast immer Studioqualität, und könnte auch Frontmann einer Alternative Rock-Band sein. Er ist kein Ausnahmetalent, aber immerhin qualifiziert genug, um professionell als Rocksänger zu fungieren. Aber auch seine Texte muten mir bizarr an, und welche Persona er jetzt genau verkörpern will, ist nicht ersichtlich.

Was letztlich bleibt sind gelungene Produktionen: "Find Your Way" und "Happy Violentine's Day" haben aufregende, düstere und etwas aggressiv klingende Club-Beats, der Rest des Albums erinnert leicht an japanische ParaPara-Musik, oder, wie erwähnt, an modernen Teen-Pop, den ich persönlich zwar weniger abfeiere, der aber durchaus gut gemacht ist. Auch der von den beiden Jungs so oft verehrte Dubstep kommt auf Songs wie "My Gift & My Curse" nicht zu kurz. Da gibt es nix zu meckern, es klingt eigentlich immer ziemlich cool, wenngleich auf späteren Alben noch eine Steigerung zu verzeichnen ist. Leider fällt es schwer, das Album im Gesamten zu genießen, es ist eines der merkwürdigsten Hörerfahrungen, die ich seit Langem hatte, und leider sind die Songs für sich genommen auch nicht allesamt gut, sodass der zur Gänze fehlende rote Faden kompensiert wäre. Und von dem, was Blood on the Dance Floor auf späteren Werken ausmachte, ist kaum etwas spürbar: die Unverwechselbarkeit. Man wollte alles ausprobieren, trägt teilweise viel zu dick auf und wirkt dann eher pseudo als echt. Ich empfehle stattdessen, zu "The Anthem of the Outcast" oder "Bad Blood" zu greifen, zwei großartige Alben mit Charme, Coolness und spannenden Songs.

★★☆☆☆ (2 von 5)


Vanilla Ninja - Traces of Sadness

Jahr: 2004

Genre: Synth-Rock

Anspieltipps: Destroyed by You, Traces of Sadness, Don't You Realize

Die 4 Studioalben, die die relativ kurze Karriere von Vanilla Ninja hervorbracht, sind wohl kaum als Gesamtprojekt zu bezeichnen. In ihrer Heimat Estland durch das Album "Vanilla Ninja" den Durchbruch geschafft, dort aber noch eher als funkige Spaßband, in Deutschland durch Produzent David Brandes, der in den 90ern durch Bands wie E-Rotic eher weniger ernst gemeinte Novelty-Mucke machten, als feministisches und zeitweise mystisches Synth Rock-Projekt angelegt und zu guter Letzt wieder komplett von äußeren Einflüssen befreit mit "Love is War" im Alternative-Gewand. Das Ganze spielte sich innerhalb von 4 Jahren ab, aber der Hiatus, den die Band nach ihrem vierten Album einlegte, hält auch 10 Jahre später noch an. Die Bandmitglieder Lenna Kuurmaa, Triinu und Maarja Rocks haben sich allesamt an Soloprojekten versucht, die in ihrer Heimat Estland zwar einschlugen, aber in anderen Teilen Europas nicht an die Erfolge der Band anknüpfen konnten, und in meinen Augen qualitativ stark schwankten.

Die Alben "Traces of Sadness" und "Blue Tattoo" sind Kinder der unglücklichen und mit diversen Streits versehenen Zusammenarbeit mit Brandes, die von der Band selbst als furchtbare Erfahrung empfunden wurde. Ich vermute, dass sie nicht mit der Kommerzialisierung ihrer Musik klarkamen, zumal sie ihren Fans auch vom Kauf einer überflüssigen Best Of-Zusammenstellung, die lediglich aus den Tracks zweier Studioalben gebastelt wurde, abrieten. Dass "Traces of Sadness" nicht die geballte Ladung Selbstverwirklichung ist, merkt man schon bei einem Blick in das Booklet, da die 4 Frauen, anders als auf ihrem ersten und ihrem vierten Album, keines der Lieder schrieben, sondern diese nur für den in einem ganz anderen Genre bewanderten Brandes einspielten. Offensichtlich ist, dass Brandes sich von den eher peinlichen Eurodance-Tracks distanzieren wollte und ernsteres anstrebte. Dies versuchte er bereits 2001 mit dem New Age angehauchten Projekt Missing Heart, deren einziges Album jedoch kommerziell floppte. Vanilla Ninja, die sich bereits mit ihrem (hierzulande jedoch einfach nicht aufzutreibenden, aber komplett auf YouTube anhörbaren) Debütalben Superstatus in Estland sicherten, hatte er die richtige Gruppe gefunden, die sowohl das Publikum ansprach als auch für seine Zwecke passte. Bei einigen der Songs bin ich mir sicher, sie sind für ein mögliches zweites Missing Heart-Album entstanden und wurden ins Synth-Rock-Genre transferiert.

Und so negativ sich die ersten beiden Absätze auch anhören mögen, das Album ist absolut gelungen und in jeglicher Hinsicht eine Verbesserung zum Vorgänger. Der Klang von "Traces of Sadness" ist trotz E-Gitarren und Schlagzeug sehr synthetisch gehalten; Keyboarderin Katrin Siska und Produzent Brandes liefern sich einen Schlagabtausch elektronischer Instrumente, der mit den teilweise sogar an Metal erinnernden Gitarrenriffs bestens harmoniert, und einen oft sehr eisigen und kühl gehaltenen Ton anschlagen, zu dem die in blau gehaltenen Bilder des Booklets und des Covers durchaus passen. Ein webig fühlt man sich an die Soundtracks zu Animeserien erinnert, oder zumindest an jene abenteuerlicher Cartoonserien der 90er Jahre. Ein wenig werden die 4 Frauen hier ja auch zu Heldinnen ihrer kleinen Geschichten. Zwar noch nicht ganz so auffällig wie im teilweise an Symphonic Metal erinnernden Nachfolger "Blue Tattoo", aber aber durchaus stellen sie ihre eigene, emanzipierte Gang in einer von sie unterschätzenden Männern dominierten Zukunftswelt da. Im Video zur Single "Tough Enough" ignorieren sie frech ein Schild mit der Aufschrift "No Girls Allowed". Dabei erscheinen sie nie als Überemanzen, sondern als coole, taffe Bad Girls, die man nicht für die süße Unschuld am Land halten sollte (eine Persona, die sie für ihr viertes Album beibehalten würde), aber auch verletzlich sind, und wenn man sie reizt, schlagen sie zurück! Das liest sich erstmal deutlich trivialer, als es eigentlich klingt. Genau genommen geht es in "Don't Go Too Fast" um Sex, beziehungsweise um die Frage, ob er von Lust oder Gefühlen bestimmt werden sollte, aber die Umsetzung ist viel unkonventioneller: da wird schonmal der "Spell of Darkness", die "Flames of Destiny" oder die "World of Fear" besungen. Deshalb kommt nie das Gefühl auf, einen Song über Sex zu hören - man fühlt sich inmitten einer schicksalhaften Szene eines coolen SciFi-Animes. Auch "Liar", in dem die Protagonistin von ihrem Mann betrogen wird und ihn zum Teufel jagt, wird sowohl musikalisch als auch lyrisch durch einen mystisch-futuristischen Filter gedreht: "The winds of change blow through my soul / and the warlords try to take control". Es klingt erst einmal mittelalterlich, hört man dieselben Worte allerdings über einem theatralischen Beat, voller Wut und vorwurfsvoll gerappt, von einem Flanger-Effekt überlagert, ehe Synthesizer hereinbrechen, hat man unweigerlich ein anderes, an Werke wie Ghost in the Shell erinnerndes Bild vor Augen. Das bockt schon ordentlich. Nirgendwo klingt das cooler und fetziger als auf "Don't You Realize".

Im Titelsong "Traces of Sadness" wird sogar in Ansätzen eine Geschichte erzählt, beziehungsweise eine Figur charakterisiert, und das zu einer umwerfenden Melodie, mit einer der besten Gesangsleistungen des Albums. Auf "Destroyed by You" werden ruhigere Töne angeschlagen, die den Gitarrensound deutlich mehr in den Vordergrund stehen und eine zutiefst verzweifelte Ich-Erzählerin vorzuweisen hat. Das ist, in seinen besten Momenten, großes Kino für den flippigen Nerd. Was den Fluss jedoch etwas stört sind die Songs "Heartless" oder "Stay", die für den ansonsten cool und lässig, fast schon etwas burschikos klingenden Tenor des Albums zu schlagerartig und kitschig daherkommen. Auch "When the Indiams Cry", eine Coverversion des Chris Norman-Songs, wirkt, trotz eines bezaubernden Klangs, etwas Fehl am Platz (auch das Video mit seinen Pferden und den Welpenblicken der Band passt kein Bisschen zur sonstigen Bad Chick-Attitüde), ganz zu schweigen vom unfreiwillig rassistischen Text. Nichtsdestotrotz ist der Gesamteindruck des Albums ein sehr positiver und höchst feierlicher, vor Allem, da er so dermaßen anders klingt, als alles, was man im Mainstream oder im Independent - Vanilla Ninja waren irgendwo dazwischen anzusiedeln - gehört hat. Auch, wenn die Band an sich lediglich zur Umsetzung von Brandes' Visionen diente.

PS: Review evtl. nostalgisch verklärt, ich besitze das Album seit 12 Jahren.

★★★★☆ (4 von 5)


Within Temptation - The Q-Music Sessions

Jahr: 2013

Genre: Rock

Anspieltipps: Summertime Sadness, Dirty Dancer, Don't You Worry Child

Jeder, der meine Musikblogs schon etwas verfolgt, der weiß, dass Within Temptation eine von mir quasi vergötterte Band ist, eine meiner absoluten Lieblingsmusikinterpreten, von denen so gut wie alles richtig toll ist. Trotzdem hat es etwas länger gedauert, bis ich mir dieses Album zugelegt habe; und ich muss sagen, ich hatte etwas Angst davor, was mich erwarten würde. Denn "The Q-Music Sessions" ist kein reguläres Studioalbum, sondern ein Coveralbum, welches zum 15-jährigen Jubiläum der Band veröffentlichte, und somit zumeist nicht in ihre reguläre Diskografie aufgenommen wird. Man sollte es also nicht an ihren extrem hochwertigen und ausgefeilten Alben messen, sondern als das, was es ist: ein Coveralbum. Diese gibt es in unterschiedlichster Qualität und Ausführung, von mal mehr, mal weniger talentierten Künstlern, und mal als "Singen nach Zahlen", mal in einem komplett neuen Gewand. Umwerfend sind die Cover einer Jackie Evancho, etwas befremdlich "Cover Me" von Nena. Dieses Album von Within Temptation macht definitiv etwas Neues aus den Originalen, ohne den Kern dieser zu zerstören, was zumeist ausgezeichnet funktioniert.

Zeitlich erschien "The Q-Music Sessions" zwischen "The Unforgiving" (2011) und "Hydra" (2014), was sich auch im Sound widerspiegelt. Wer mit der Band vertraut ist, weiß, dass ersteres einen Bruch mit dem sonst gewohnten folkloristisch angehauchten Symphonic Metal darstellte und deutlich mehr nach dem Soundtrack eines Action-Animes oder -Videospiels klang. Statt Grazie und Epik setzte man hier auf Coolness und eine gewisse Dreckigkeit, nicht aber ohne dabei trotzdem eine Geschichte zu erzählen. Auch "The Q-Music Sessions" hat nicht allzu viel mit Symphonic Metal zu tun, sondern verpasst den wohlbekannten Songs einen coolen, poppigen Rock-Anstrich, allerdings ohne, dass sich die Einzelsongs zu einem Gesantkonzept zusammenfügen; jeder Track steht für sich.

Die meisten Songs des Albums stammen aus dem 21. Jahrhunderts und haben von daher den gewissen Swag, vereinzelt traut man sich aber auch an Klassiker heran; genauer gesagt auf 2 Songs: "The Power of Love" von Frankie Goes to Hollywood und "Behind Blue Eyes" von The Who. Beide Songs werden mit Bravour gemeistert, wobei es selbst einer so großartigen Band wie Within Temptation nicht gelingt, die Originale auszustechen. Dafür wird es bei den moderneren Songs umso interessanter.

Ganz unabhängig davon, wie sehr mir die Vorlagen der Lieder gefallen oder auch nicht, schaffen es WT, mal mehr, mal weniger herauszuholen. Ich halte "Summertime Sadness" von Lana Del Rey für ein wunderschönes und melancholis Stück, die wesentlich üppiger instrumentalisierte Variante von Within Temptation übertrifft diese Version aber sogar noch um ein Vielfaches. Der depressive Ton bleibt, durch die zusätzlichen Instrumente und Sharon den Adels viel wuchtigerer Stimme erhält das Lied aber neue Dimensionen. "Radioactive", bekannt von Imagine Dragons, ist in eine coole Power-Rock-Nummer transferiert wurden, welche nicht zu verachten ist. Leider erscheint der Album-Opener "Grenade", freilich auf den gleichnamigen Song von Bruno Mars basierend, eher lustlos, wenngleich rein technisch solide, und reicht nicht an das Innovation der Vorlage heran. Bei "Let Her Go" kann ich persönlich auch mit dem Original nicht viel anfangen, aber die Within Temptation-Variante weiß leider noch weniger aus dem faden Stück herauszuholen. Dann hingegen wissen Within Temptation aus einem austauschbaren House-Song wie "Don't You Worry Child" eine furiose und sogar leicht western-ähnlich angehauchte Nummer der Superlative zu basteln.

Am Ende von "The Q-Music Sessions" ist man gut gelaunt. Das Album versprüht nicht die Genialität ihrer Studioalben, ist aber ein durchaus angenehmes Goodie mit einigen Perlen, die man sich gerne öfters anhört.

★★★1/2☆ (3 1/2 von 5)


Shindy - FVCKB!TCHE$GETMONE¥

Jahr: 2014

Genre: Hip-Hop

Anspieltipps: Julius Caesar, Sterne, Alle meine Fans

Shindy ist zweifelsfrei einer der größten Neuentdeckungen, die der deutsche Hip-Hop in den 2010ern hervorgebracht hat. Mit einer unvergleichlich feierlichen Attitüde, eine Mischung aus Größenwahn und Gechilltheit, einem Auge fernab des damaligen Mainstreams und gut produzierten Trap-Beats brachte er etwas Neues und verdammt Unterhaltsames in die damals noch von Härte und Street Credibility strotzende Szene; manch einer mag sogar meinen, er wäre etwas androgyn. Sein Debütalbum "NWA" war einfach ein Feuerwerk der Unterhaltungskunst, und vor Allem jenes Album, welches mich dazu brachte, mich mit Deutschrap auseinandetzusetzen - zuvor zelebrierte ich lediglich die amerikanische Variante; ein Fehler, wie sich heute herausstellte. Ich hatte damals große Angst vor dem Nachfolger, da es schwer war, die Innovation von "NWA" (es war einfach so anders als das, was man damals zu hören gewohnt war) fortzuführen, vor Allem, da das Werk nur ein Jahr nach diesem erschien, was mir zum damaligen Zeitpunkt wenig erschien, im deutschen Hip-Hop aber Gang und Gäbe und kein Anzeichen für Schleißigkeit ist. Der Titel "FVCKB!TCHE$GETMONE¥" erschien mir, so gut er die Themenbandbreite Shindys auch widerspiegelt, überaus stumpf und zu wenig gewitzt und/oder protzig für den ansonsten so amüsant abgehobenen Shindy. Als ich das frisch erschienene Album dann letztlich in den Player schob, wurden alle meine Zweifel gänzlich weggefegt, denn alles, was den Vorgänger ausmachte, fand sich auch hier wieder, und zwar spektakulärer denn je. Statt auf rein elektronischen Beats mit deutlich mehr Bläsern und Prunk.

Es liegen 2 Jahre zwischen meinem Erwerb von "FBGM" und heute, aber in Sachen Deutschrapkenntnis habe ich um Einiges mehr abgearbeitet, als es diese Zeitspanne impliziert. Ich habe andere Rapper entdeckt, die ich für grandios und versiert halte, Kollegah, Farid Bang, Eko Fresh, und habe mich auch durch fast alle Bushido-Alben gehört, obwohl die besten davon leider nicht mehr physisch erhältlich sind (und vielleicht erinnert sich manch einer an diese frühen Tage, als ich noch so über Sonny Black herzog), und kann nun zwischen seinen gelungenen und weniger gelungenen Werken differenzieren. Letztlich kann man das alles aber auf Shindy zurückführen, und es spricht für sich, dass mit keiner wie er untergekommen ist, und ich ihn noch feiere wie damals vor 3 Jahren bei seinem Debüt; vielleicht auf etwas andere Art und Weise. Ich hielt seine Vergleiche für genial, so wie die Tatsache, dass er mehr als eine Silbe reimte, jetzt weiß ich, dahingehend gibt es deutlich ausgefeiltere Kollegen, dafür gibt es keinen zweiten Hip-Hop-Künstler mit dem typischen Shindy-Flow, sowie seiner endgeilen Einstellung und seinem Gespür für Stil.

Wo Shindy drauf steht, ist auch Shindy drin. Dieser Satz trifft nicht nur auf seinen Damenbesuch zu, sondern auch auf seine Musik. "FVCKB!TCHE$GETMONE¥" ist ein Album, dass es, frei nach Kay One, liebt, sich zu pushen. Es ist lebensbejahend und kann in einer Zeit, in der man sich selbst vielleicht nicht allzu wohl fühlt, ein gewisses Glücksgefühl versprühen. Zwar ist sich Shindy nie zu schade, zu erwähnen, wie viel besser er ist als du, man bekommt jedoch nie den Eindruck, dass er den Zuhörer niedermacht; eher identifiziert sich dieser mit dem von Erfolg, Reichtum und Ruhm nie genug bekommenden Griechen. Anders als bei einem Kollegah oder einem Bushido, die zumeist eine gewisse Bedrohlichkeit und Gewalt ausstrahlen, setzt Shindy auf Lockerheit und Spaß an der Freude. Du wirst vom einem Shindy nicht hören, dass du alles erreichen wirst, wenn du nur daran glaubst. Er wird dir sagen, dass er in der Schule nicht beliebt war, aber wayne, er ist der beste Typ der Welt. Shindy feiert sich selbst in den Himmel und zeugt dabei voll und ganz von Selbstbewusstsein. Er bekommt alles, was er will, und ist fern davon, Gangster zu sein. Er war nie ganz unten, er ist faul, ein Muttersöhnchen, glotzt Disneyfilme, hat gern Sex, trägt gern Markenkleidung und residiert liebend gern in Luxushotels, oder speist in edlen Restaurants. All dem fröhnt er in seiner Musik, auch, wenn er sich wohl zumindest zum damaligen Zeitpunkt nicht alles leisten konnte. Dabei fällt auf, wie wenig Wert er auf aktuelle Trends setzt; weder die G-, noch die Pumpet-Schiene scheint ihn zu interessieren. Deshalb wirken seine Raps auch nicht aufgesetzt; das ist der echte Michael Schindler in seiner eigenen kleinen Traumwelt, in der er nicht an finanzielle und physische Grenzen gebunden ist.

Ich sollte vielleicht noch etwas zum eigentlichen Album sagen: "FBGM" ist hörbar vom alten Kanye West, Ära "Late Registration" inspiriert, was vor Allem auf so pompös-partyesken Nummern wie "Standing Ovations" oder "Steve Blowjobs" zu hören ist, bei denen man den Champos vor geistigem Auge in Strömen fließen sieht, wobei Shindy doch um Einiged bodenständiger und weniger avantgarde zu Werke geht. Auch andere Hommagen an Amirapper sind erkennbar: wie Lil Waynes "I am Not a Human Being II" beginnt das Album mit dem Anzünden einer Zigarette durch ein Feuerzeug, gefolgt von Pianoklängen; der Track "Safe" ist eine einzige Ehrerbietung vor Drake (und ja, ich weiß, dass er Kanadier und kein US-Amerikaner ist). Das erklärt womöglich auch, warum sich Shindy so wenig auf den Deutschrap-Kodex einlässt; da seine Vorbilder einen anderen Kontinent bewohnen.

Zum Positiven entwickelt hat sich die Anzahl der Features: lediglich 4 Songs enthalten Feature-Gäste. Auf "NWA" störte die inhaltliche Diskrepanz zwischen dem gemütlichen Shindy und dem aggressiv-düsteren Bushido doch gewaltig, dafür war er auch nur auf 6 bzw. 7 Songs vertreten, je nach Version. Hier werden ihm 2 Spots zuteil, und siehe da: er wirkt zwar gewohnt provokant, aber deutlich harmonischer. Ali, später Ali Bumaye, ist hier vollkommen überfordert und wirkt mit merkwürdigsten Haus-Maus-Reimen ("Ali macht Party - uh ladidadi / Mach mal deinen Nacken frei, Daniel Aminati") beinahe wie eine Parodie. Wer hätte gedacht, dass dieser Newcomer 2016 ein guter und intelligenter Rapper werden würde? Hier ist er auf dem einzigen schlechten Song der CD vertreten: "No Joke" hat einen billig und in Echtzeit hingeschleudert klingenden Beat, eine seltsame mit Anglizismen erfüllte Hool und einen langweiligen Part von Shindy. Vollkommen überzeugt hingegen Kollegah auf "Alle meine Fans", aber ist man vom Boss such etwas anderes gewohnt? Perfekt passt er sich Shindys Tempo an, gibt 2 coole Homophone ab, beweist Skill, ohne mit ihm zu protzen und harmoniert trotz Überqualifikation mit Mr. Nice Guy.

Auf den meisten Tracks glänzt freilich Shindy, und bei wem 3 Absätze weiter oben ausgelassene Grinsestimmung aufkam, der wird auch hier durchgehend seine Freude haben. "[Ich] chille mit 'nem Püppchen aus Italien - Pinocchio", "Du musst vor meinem Intro niederknien als wär's 'ne Domina", "Shindy stapelt seine Bündel wie bei Tetris bis zur Decke", "Bitch ich brauch kein Schutzgeld, ich hab Denkmalschutz", "Mein Album ist so classic, druck das Cover auf Papyrus", "Fick deine Crew, EGJ ist 'ne Philharmonie" - es ist ein wahres Feuerwerk der kreativen Selbstzelebrierung, und die Fanfaren begleiten das ganze Spektakel. Bitch, er ist fame.

★★★★1/2 (4 1/2 von 5)

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