Drehbuchautoren an die Macht: Warum Kontrakt 18 längst überfällig ist

13.06.2018 - 08:30 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Drehbuchautoren an die Macht
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Drehbuchautoren an die Macht
Am Freitag ging ein Ruck durch die Film- und Serienlandschaft Deutschlands: 92 Drehbuchautoren brachten die Initiative Kontrakt 18 ins Rollen. Was es damit auf sich hat und warum das lange überfällig ist, erfahrt ihr hier.

Als sich am Freitag schon alle in den wohlverdienten Feierabend verabschieden wollten, ging doch noch ein Aufschrei durch die Film- und Serienbranche. Auslöser war der Kontrakt 18, der von 92 federführenden Drehbuchautoren Deutschlands auf den Weg gebracht wurde. Grund dafür war der Deutsche Fernsehpreis Ende Januar 2018, zu dem zunächst keine Autorinnen und Autoren eingeladen  bzw. als Gäste zweiter Klassen behandelt wurden. Was folgte, war ein längst überfälliger Diskurs. So kündigte Serienschöpferin Annette Hess (Weissensee, Kudamm 56, Kudamm 59) in einem Quotenmeter-Interview  bereits an, mit Kollegen an Standards bei Verträgen für größere Produktionen zu arbeiten.

Nun, einige Monate später, hat das Vorhaben mit dem Kontrakt 18 seinen nächsten Schritt erreicht. Eingeleitet wird der Kontrakt mit den Worten:

Wir sind Drehbuchautoren. Wir schreiben Filme. Ohne unsere Geschichten gibt es weder Serien noch Kinofilme noch TV-Movies. Wir erschaffen die Figuren, die Plots, die Twists, die Dialoge, aus denen bewegte und bewegende Bilder werden. Unsere Bücher sind die Basis und das Herz eines jeden Films. Diese zentrale Position des Autors findet hierzulande jedoch weder in den Verträgen noch im Prozess der Filmherstellung einen angemessenen Widerhall. Das wollen wir ändern.
Shakespeare in Love

Mit dem Kontrakt 18 wurden sechs Punkte herausgearbeitet, laut denen die Unterzeichner ab dem 01.07.2018 nur dann in Vertragsverhandlungen treten, wenn ihnen folgende Optionen  angeboten werden:

Die Forderungen des Kontrakt 18

  • Punkt 1: Die Autorin/der Autor verantwortet das Buch bis zur endgültigen Drehfassung. Sämtliche Bearbeitungen des Buchs müssen von der Autorin/vom Autor autorisiert werden.
  • Punkt 2: Die Autorin/der Autor hat Mitspracherecht bei der Auswahl der Regisseurin oder des Regisseurs. Die Entscheidung über die Besetzung der Regie wird einvernehmlich getroffen.
  • Punkt 3: Die Autorin/der Autor wird zu den Leseproben eingeladen.
  • Punkt 4: Der Autorin/dem Autor wird das Recht eingeräumt, die Muster und den Rohschnitt zum frühestmöglichen Zeitpunkt sehen und kommentieren zu können. Der Autor/die Autorin wird zur Rohschnittabnahme eingeladen.
  • Punkt 5: Die Autorin/der Autor wird bei allen Veröffentlichungen in Zusammenhang mit dem Filmprojekt (Pressemitteilungen, Programmhinweise, Plakate etc.) namentlich genannt und zu allen projektbezogenen öffentlichen Terminen eingeladen.
  • Punkt 6: Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner verpflichten sich dazu, Aufträge zu Buch-Überarbeitungen (Rewrites, Polishing u. ä.) nur anzunehmen, wenn sie sich zuvor mit den aus dem Projekt ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen verständigt haben.
Capote

Die berechtigte Forderungen des Kontrakt 18

Die Forderungen der Kreativen kommen nicht von ungefähr. So werden laut Annette Hesse im Arbeitsalltag willkürlich Änderungen am Drehbuch vorgenommen, ohne dies mit den Autoren abzustimmen. Auch dass die Autoren zu Leseproben und Rohschnittabnahmen eingeladen oder an der Auswahl des Regisseurs teilnehmen können, stellt in Deutschland immer noch eine Seltenheit dar.

Ist das Jammern auf hohem Niveau? Mitnichten. Autoren sind die Grundpfeiler einer jeden Serie und eines jeden Films. Am Anfang steht immer das Buch. Während in anderen Ländern Regisseure engagiert werden, um die Visionen der Drehbuchautoren zu verwirklichen, herrscht in Deutschland immer noch eine sogenannte Regiehörigkeit. Auch wir Journalisten sind von dieser Hörigkeit nicht ausgenommen, wenn wir in Rezensionen schreiben, dass der Regisseur in seinem Film seine Geschichte erzählt. Das ist in den meisten Fällen allerdings eine falsche Behauptung, denn an diesem Punkt müsste zwischen der Geschichte des Autors und der Inszenierung des Regisseurs differenziert werden. Annette Hess findet dazu einen passenden Vergleich und stößt damit gleichzeitig an, dass es an der Zeit ist, den Drehbuchautoren in Deutschland des Status eines Showrunners zu geben:

Alle wissen, dass Vince Gilligan der federführende Autor von Breaking Bad ist, die Regisseure der Serie kennt kaum jemand – sie werden engagiert, um die Vision der Autoren zu verwirklichen. In Deutschland sind wir noch nicht so weit.

Showrunner kümmern sich um das komplette Tagesgeschäft einer Serie. Sie stehen über dem Regisseur und dem Rest der Crew, fällen Personalentscheidungen, planen den Ablauf der Produktion, kümmern sich um die Finanzen aber sie sind auch Autoren und entscheiden, in welche Richtung sich die Serie entwickelt.

Abbitte

Dem Showrunner-Konzept in Deutschland eine Chance geben

Senderchefs und Produzenten rühmen sich nun damit, dass sie die Geldgeber für die Projekte der Autoren seien, und sie somit selber bestimmen wollen, wer dabei Regie führt. Außerdem sei so ein Projekt immer eine Teamleistung. Doch auch eine Film- oder Serienproduktion bräuchte kein Team, wenn sich nicht irgendwo ein Autor vor seinen leeren Bildschirm setzen würde und praktisch aus dem nichts eine neue Welt erschafft, die ausschließlich seiner Denkleistung entspringt. Eine andere Team-Leistung kennen wir laut Annette Hesse aus der Musikwelt:

Wir Autoren sind die Komponisten, die Regisseure die Dirigenten und die Schauspieler sind die Musiker. Wir alle sind ungeheuer wichtig, damit die Vision, die Komposition auf dem Stück Papier zu Musik wird, die ein Publikum hören kann. Dabei gibt es viele Möglichkeiten, die Komposition zu interpretieren – jeder Dirigent kann Beethovens 9. auf verschiedene Weisen umsetzen. Auf seine mittelmäßige oder auch geniale Weise.

Doch eins steht dabei immer am Anfang: Der Komponist, der die Grundlage für alles Weitere schafft, was da noch kommt. Es ist scheinbar noch nicht bei allen angekommen, dass wir ohne Autoren sprichwörtlich in die Röhre schauen würden. Die Film- und Serienbranche in Deutschland sollte den Kontrakt 18 als Chance begreifen, alternative Konzepte mit mehr Autoren-Beteiligung wie dem Showrunner zu unterstützen. Das bringt den Zuschauern mehr, weil so innovativere, qualitativ hochwertigere Ware auf die Bildschirme kommt und das macht sich dann auch bei den Produzenten und Senderchefs bemerkbar.

Findet ihr die Forderungen der Drehbuchautoren berechtigt?

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