Ein durchwachsenes Abenteuer im Test zu Grow Home

06.02.2015 - 19:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Grow Home
Ubisoft
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Grow Home will Spieler daran erinnern, dass Ubisoft zu mehr in der Lage ist, als jedes Jahr ein neues Assassin's Creed auf den Markt zu bringen. Unser Test klärt, ob dem experimentellen Action-Adventure dieses Unterfangen gelingt.

Open World – kaum ein Schlagwort der Gamingbranche ruft in mir mittlerweile eine größere Ablehnung hervor. Gerade im letzten Jahr bedeutete es nämlich, dieselben Mechaniken auf einer sich ändernden Platte serviert zu bekommen. Irgendwann war ich es schlicht satt. Ihr könnt euch wohl meine Skepsis vorstellen, als auch noch Ubisoft (Assassin's Creed -Reihe, Watch Dogs ) vor gut zwei Wochen ein „ungewöhnliches und experimentelles Kletter-Abenteuer“ in einer offenen Welt ankündigte . Doch Grow Home  sollte mich bald umstimmen.

Das Bundeswehrgleichnis

Bereits nach einigen Spielminuten wächst ein Gedanke in mir heran, der für mich recht präzise auf den Punkt bringt, was Grow Home auszeichnet: Ein wenig, so stelle ich mir vor, fühlt sich womöglich ein Bundeswehrsoldat, der seinen vollgepackten Rucksack nach einem beschwerlichen Marsch endlich ablegen darf. Wie ich auf dieses Bild komme? Das von Ubisoft Reflections stammende Action-Adventure wirft all den Ballast, den aktuelle Genrevertreter schultern müssen, konsequent beiseite.

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Mary Poppins im All

Grow Home setzt auf zwei Kernelemente: Erkundung und die Art und Weise, wie ich mich fortbewege. Während andere Titel ihre Schauplätze wie einen spröde werdenden Teig immer weiter auswalzen, setzt Grow Home auf Vertikalität. Der fremde Planet, auf dem ich im knallroten Blechkostüm des kleinen Roboters B.U.D. nach einer Pflanze suche, um meinen Heimatplaneten zu retten, besteht aus schwebenden Plattformen, die weit in die Wolken ragen. Glücklicherweise binden mir die Inseln ihre Geheimnisse nicht über in die Haupthandlung eingeflochtene Nebentätigkeiten auf die Nase. Sie überlassen stattdessen meinem Entdeckungsdrang, ob ich mich darum schere.

Ohnehin ist Grow Home eines der Spiele, für die ihr euch Zeit nehmen solltet. Zwar hätte ich die Kampagne auch in gut zwei Stunden abschließen können, dann hätte ich allerdings viele schöne Momente verpasst. Einmal beispielsweise stoße ich in einer Höhle auf einen Stier, der wenig erfreut darüber ist, wenn ich an seinem Nasenring ziehe. Er stößt mich zurück. Dabei falle ich gegen ein Gewächs, an das ich flummiartig abpralle. Diese simple Ausgangssituation spricht einen kindlichen Spieltrieb in mir an, der mich dazu bewegt, diesen Vorgang mehrere Minuten hintereinander zu wiederholen, schlicht, weil ich mich an der putzigen Darstellung erfreue.

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Zugegeben, ab und zu finde ich Sammelgegenstände. Diese sind jedoch nicht nur da, um mich irgendwann mit einem Achievement zu entlohnen, sondern an das Spielerlebnis gekoppelt. Unter anderem schalte ich durch das Anhäufen von Kristallen neue Fähigkeiten frei oder entdecke ein riesiges Gänseblümchen, mit welchem ich wie Mary Poppins durch die Luft gleite.

Vom Experiment zum experimentellen Spiel

Ursprünglich war Grow Home gar nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt, nahm es seine Anfänge doch als internes Projekt, um mit prozedural erzeugten Animationen zu experimentieren. Dieser Ansatz findet sich im fertigen Spiel wieder, wodurch B.U.D. zuweilen durch die Gegend wankt, als wäre er ein angeheiterter Reeperbahnbesucher, denn sein Körper reagiert dynamisch auf die Beschaffenheit des Untergrunds. Immer wieder biegen diese Slapstick-Momente meine Mundwinkel in die Höhe und erinnern mich an vergleichbare Situationen mit den Ragdoll-Systemen von GTA IV  oder Goat Simulator . Zumal diese schusseligen Bewegungsabläufe, ebenso wie die Optik, die einem mit Plastik übergossenen Kunstwerk des Kubismus ähnelt, zum friedfertigen, unbedarften Grundton passen.

Eigentlich geht die Steuerung gut von der Hand, obwohl ich beide Arme des Roboters unabhängig voneinander steuere und so bestimme, nach welchen Objekten er greift. Beim Klettern muss ich zum Beispiel erst die rechte Schultertaste drücken, danach die linke und so weiter. Manchmal sorgt dieses Konzept in Kombination mit den Animationen aber auch dafür, dass ich zu sehr die Kontrolle über die Spielfigur verliere und in einen Abgrund stürze.

Wachstumswunder

Bei all dem Lob für den Charme von Grow Home ist der eigentliche Star des Kletterabenteuers die passenderweise Star Plant getaufte Pflanze. Der Kniff: Ich bestimme bis zu einem gewissen Grad selbst, in welche Richtung das Gewächs gedeiht. Der Strunk entwickelt sich in fest vorgegebenen Bahnen, die vielen Triebe allerdings steuere ich selbst, sobald ich auf der Knospe sitze. Außerdem erschließe ich neue Gebiete, indem ich die Ranken in die Richtung von schwebenden Insel manövriere oder in die Höhe schießen lasse. Diese Mechanik bildet auch auf beeindruckende Weise meinen Spielfortschritt ab. Wenn ich am Ende wieder auf meinem Raumschiff ankomme und die Pflanze mit all ihren Auswüchsen betrachte, erkenne ich, welchen Weg ich eigentlich zurückgelegt und wie ich der Spielwelt meinen persönlichen Stempel aufgedrückt habe.

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Fazit

Ich befürchtete schon, mich durch eine schier nicht enden wollende Welt voller optionaler Lückenfüller "arbeiten" zu müssen. Selten war ich glücklicher darüber, falsch zu liegen. Die spielerische Reduktion von Grow Home wirkt erfrischend. Dass es darüber hinaus noch die ein oder anderen Ecken und Kanten besitzt, lässt das Spiel sehr sympathisch erscheinen.

Für dieses Review schickte uns Ubisoft einen Steam-Key von Grow Home zu.

Grow Home ist seit dem 4. Februar via Steam erhältlich. Die unter Spielern kontrovers diskutierte Uplay-Plattform von Publisher Ubisoft wird zum Starten des Titels nicht benötigt, es reicht ein Steam-Konto. Die Entwickler empfehlen für Grow Home einen Controller, wobei die Maus-Tastatur-Steuerung zwar etwas mehr Eingewöhnungszeit voraussetzt, den Titel aber keineswegs unspielbar macht.

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