"Ein mutiges Spiel!" — Aber was bedeutet das eigentlich?

30.07.2015 - 17:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Dark Room
Square Enix
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Eigentlich sollte das hier ein Review über die vorletzte Episode des Teenager-Adventures Life is Strange von Dontnod Entertainment werden — doch dann nannten die Medien das Spiel einmal zu oft "mutig" und so kam alles anders.

Dieser Text enthält Spoiler zu allen bisher erschienenen Episoden von Life is Strange.

Life is Strange war von Anfang an ein riskantes Experiment: Die Hauptrollen, die von zwei weiblichen Teenagern übernommen werden, brachen mit dem Bild des klassischen Videospielhelden, während die Möglichkeit zum Rückgängig-Machen der eigenen Entscheidungen allem widersprach, was wir von den erfolgreichen Telltale-Spielen gelernt hatten. Dieses Risiko scheint sich nun ausgezahlt zu haben, denn kurz vor Ende der Staffel knackten die Verkaufszahlen die Millionen-Marke .

Ich hingegen schlage mich seit der ersten Episode mit dem Adventure herum und kann die Begeisterung der gefühlten Mehrheit einfach nicht verstehen. "Warum gefällt euch das Spiel denn nur so gut?" rufe ich ins Internet, ein "Siehst du nicht, wie mutig dieses Spiel ist?" erhalte ich als Antwort — aber was bedeutet das eigentlich?

Videospiel + Realitätsnähe = Mutiges Videospiel?

Zwar unternimmt die Geschichte von Life is Strange immer wieder kleinere Ausflüge in die Fantasiewelten indianischer Mythologie und zieht uns am Hemdkragen von einer Zeitreise zur nächsten, doch im Kern geht es um die junge Schülerin Max und die ganz normalen Probleme unserer diesseitigen Welt. Nachdem die ersten drei Episoden bereits Amoklauf, Drogenhandel, Mobbing, Depressionen und Selbstmord zum Thema machten, knöpfte sich Life Is Strange: Episode 4 - Dark Room nun noch einmal die menschliche Sterblichkeit und aktive Sterbehilfe vor. Kein Thema darf ausgelassen werden, wie es scheint.

Eine schwierige Entscheidung - aber ohne Folgen.


Vor allem der neuste Eintrag auf dieser langen Liste thematisierter Probleme und Umstände sorgte für tiefe Verbeugungen  und anerkennende Reviews: Max findet heraus, dass ihre beste Freundin Chloe in einer Parallelwelt nach einem Autounfall querschnittsgelähmt ist, dafür allerdings ihr Vater noch lebt, ohne den die "echte" Chloe in der ursprünglichen Welt aufwachsen musste.

Chloe führt nun ein sehr schwieriges Leben, ständig auf Hilfe angewiesen und dauerhaft unter dem Einfluss sehr starker Schmerzmittel. Nach einem gemeinsamen Spaziergang am Strand beenden die beiden Freundinnen den Tag Seite an Seite und schlafen zu den Bildern von Blade Runner gemeinsam ein. Am nächsten Tag bittet Chloe ihre Freundin — und damit uns — um aktive Sterbehilfe. Uns wird die Entscheidung überlassen, es gibt dieses Mal keinen Weg zurück. Es war ein emotionaler Moment, eine zur Abwechslung wirklich intim und fesselnd geschriebene Szene zwischen den beiden Mädchen.

Ist Life is Strange deswegen ein mutiges Videospiel?

Nein, sicherlich nicht.

Ein Videospiel, und damit ist Life is Strange nicht ausgenommen, ist nicht mutig, nur wenn es realitätsnahe Probleme und Themen freiwillig diskutiert und sich um eine empathische Darstellung bemüht — das ist nur die halbe Miete. Es geht nicht nur darum, den Spieler mit problematischen Themen zu konfrontieren, sondern auch über den Moment der Entscheidung hinaus mutig zu bleiben: Wie verarbeitet Max dieses Erlebnis in der Parallelwelt? Immerhin hat sie Chloe umgebracht.

Hier zeigen die Entwickler von Dontnod Entertainment zum wiederholten Male, dass sie es zwar verstehen, uns immer wieder in schwierige Situationen zu locken — doch nach dem tragischen Moment der Entscheidung werden wir mit unserer Gefühlswelt alleine gelassen: Ein weiteres Thema wurde auf der Liste abgehakt, weiter mit dem nächsten Kapitel: Max kehrt in "ihre Welt" zurück, umarmt die kerngesunde Chloe und hat offensichtlich alle Bilder der vergangenen Stunden wieder vergessen. Alles wieder gut.

Die Geschichte des Mobbing-Opfers Kate war mitreißend, aber wurde oberflächlich beendet.


Diese Situationen sind eine traurige Regelmäßigkeit und verärgerten mich zuletzt in Life is Strange: Episode 3 - Chaos Theory sehr: Der Selbstmord einer Mitschülerin sorgte für einige Minuten Traurigkeit — dann ging es wieder um Kombinationsrätsel, sammelbare Gegenstände und einen kleinen Flirt mit der besten Freundin. Das ist nicht mutig, sondern inkonsequent. 

Life is Strange ist kein mutiges Videospiel, sondern eine wunderbare Idee mit viel zu vielen Themen, die schließlich frei von Konsequenzen vorgestellt und uns an die Stirn geworfen werden. Statt der Themenvielfalt hätte sich Dontnod Entertainment besser auf einige wenige Momente und Probleme konzentrieren sollen, damit die Charaktere den Weg des Spielers auch nach einer schwierigen Begleitung noch weiter begleiten.

Das, liebe Entwickler, wäre wirklich mutig gewesen.

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