Eintracht Braunschweig und 66/67 - Interview mit Produzent und moviepilot-Gründer Jon Handschin

13.11.2009 - 14:02 Uhr
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Produzent Jon Handschin berichtet von der Motivation, einen deutschen Hooliganfilm zu drehen und der Zusammenarbeit mit Eintracht Braunschweig

Wie einige von euch sicherlich wissen, ging diese schöne Seite namens moviepilot aus dem Berliner Verleih jetfilm hervor, den die beiden moviepilot-Gründer Tobias Bauckhage und Jon Handschin zuvor leiteten. Auch berichteten wir bereits, dass der neue jet-Film von den Regisseuren Jan-Christoph Glaser und Carsten Ludwig beim Festival in Zürich den Hauptpreis als bester deutschsprachiger Film gewonnen hat. Und da wir sozusagen nah an der Quelle sitzen, meldet sich heute Jon Handschin (sein Profil findet ihr hier) bei euch zu Wort, um euch zu berichten, was ihn dazu motiviert hat, den Film zu produzieren.

66/67 – Fairplay war gestern – Ein Fussbalfilm ohne Verein ist unmöglich

Wenn man einen Fußballfilm machen möchte, gibt es nichts Wichtigeres als die Unterstützung des Vereins – Diese Erfahrung musste der Regisseur Adolf Winkelmann bereits 1993 machen, als der Dortmunder Lokalpatriot den BVB nicht für eine Kooperation für seinen Film Westkurve gewinnen konnte. Aus Borussia Dortmund wurde in dem Film notgedrungen der fiktive Club Union. Ein Schicksal, das wir auf keinen Fall teilen wollten, als wir vor 3 Jahren begannen, die Realisierung des Spielfilms 66/67 – Fairplay war gestern zu planen.

Das Drehbuch von Carsten Ludwig enthielt jede Menge Sprengstoff, der für 90% der Proficlubs wohl keine Unterstützung erlaubt hätte. Die Hauptdarsteller, die seit ihrer Jugend in dem Fanclub 66/67 organisiert sind, neigen zur Gewalt und liefern sich regelmäßig Schlägereien mit rivalisierenden Hooligangruppen anderer Vereine. Die darstellerische Leistung des gesamten Ensembles um Fabian Hinrichs und die Kraft der Dialoge verleiteten den Kritiker Rainer Gansera in der Sueddeutschen Zeitung dazu, den Film in einem Atemzug mit dem Frühwerk von Martin Scorsese zu nennen.

Regisseur Carsten Ludwig konnte sich keinen anderen Verein als Eintracht Braunschweig vorstellen – ein Traditionsclub, dessen beste Zeiten aber schon ein gutes Stück zurückliegen und dennoch mit einer eingeschworenen Fangemeinschaft gesegnet ist. Die Geschichte des Vereins ist ein Synonym für das Verhältnis unserer Hauptfiguren untereinander. Außerdem stammte Carsten Ludwig ursprünglich aus Braunschweig und stand selbst als Jugendlicher in der Kurve, fuhr mit zu Auswärtsspielen und hatte Kontakt zu den Fans, die er 15 Jahre später filmisch porträtieren sollte. Als wir vor drei Jahren zum ersten Mal in der Geschäftsstelle von Eintracht Braunschweig vorsprachen, wussten wir daher: Von diesem einen Treffen hängt unser gesamtes Projekt ab. Wenn der Verein nein sagt, dann war es das, denn unserer Geschichte mit einem fiktiven Verein zu erzählen, kam für uns nicht in Frage.

Hier der Trailer zu 66/67

Wir können das Glück nicht ausreichend würdigen mit Sören-Oliver Voigt einen Geschäftsführer der Eintracht vorgefunden zu haben, der nicht nur mutig genug ist, mit dem Thema Hooliganismus offensiv umzugehen, sondern der auch genug künstlerisches Verständnis dafür hatte, dass Dramen nun einmal davon leben, gebrochene Figuren zu zeichnen, Konflikte auszutragen und auch ambivalente Situationen zu zeigen. Sören-Oliver Voigt und mit ihm die gesamte Eintracht haben unseren Film von der ersten Sekunde an unterstützt. Dreharbeiten im Stadion, Komparsen aus der Fankurve, Kontakte in Braunschweig zu anderen Motivgebern bis hin zu einem Auftritt des Stadionsprechers in unserem Film: Die Eintracht war der beste Partner, den wir uns vorstellen konnten.

Wie mutig und einzigartig diese Entscheidung des Vereins ist, zeigt der jüngste Zwischenfall am vergangenen Samstag, als eine Gruppe Braunschweiger Hooligans einen Zug mit Fans von Hannover 96 angriff. (Einen Augenzeugenbericht eines Spiegelreporter gibt es hier zu lesen). Als 66/67 am vergangenen Dienstag als Eröffnungsfilm des Filmfests Braunschweig gezeigt wurde, stellte Sören-Oliver daher klar, dass der Verein sich unmissverständlich gegen Hooliganismus und Gewalt rund um den Fussball ausspricht. Aber er versicherte, dass sich an der gegenwärtigen Situation nichts ändern wird, wenn die Frage, weshalb junge Männer zur Gewalt neigen vom DFB totgeschwiegen wird oder lediglich mit abgesagten Spielen geahndet wird. Er gab der Hoffnung Ausdruck, dass 66/67 ein konstruktiver Beitrag sein wird, für eine aktive Auseinandersetzung mit dem Hooliganismus in Deutschland.

66/67 – Fairplay war gestern – der Gewinner des diesjährigen Filmfestivals in Zürich – startet am 19. November bundesweit in ausgewählten Arthouse Kinos.

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