Erst der Siedlungsbau macht Fallout 4 wirklich gut

04.12.2015 - 17:35 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
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Bethesda Softworks
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Fallout 4 wird zwar viel gespielt, aber den Siedlungsbau mögen viele nicht. Diesen braucht es nicht, er ist überflüssig und lenkt vom eigentlichen Spiel ab. Aber was ist denn bitte das eigentlich Spiel in Fallout 4? Ist die Suche nach Kupfer, Keramik und Kleber nicht ebenso wertvoll wie die Hauptstory?

The Witcher 3: Wilde Jagd ist laut der Verleihung der diesjährigen The Game Awards  das beste Rollenspiel, das in den letzten 12 Monaten erschienen ist. Fallout 4 war ebenfalls nominiert, musste sich aber dem Mammutwerk von CD Projekt RED geschlagen geben. Und ist das nun irgendwie verwunderlich? Nein, eigentlich gar nicht. Es ist höchstens verwunderlich, dass Fallout 4 überhaupt in dieser Kategorie nominiert war.

R.I.P. Fallout

Und viele Spieler haben es ja angeblich auch kommen sehen. Bethesda hat dieses Mal den Vogel abgeschossen und das Fallout-Franchise verstümmelt. Das ist doch kein Rollenspiel mehr, sagen sie. Einfach nur ein aufgeblähter Shooter, behaupten sie. Und die Beweisführung ist auch schnell abgeschlossen: Wer mit einem aufgesetzten Crafting-System und dem unnötigen Siedlungsbau an den Start geht, hat keine Ahnung was Rollenspiele ausmacht und will den Inhalt nur künstlich strecken.


Ich bin ebenfalls der Meinung, dass Fallout 4 kein wirkliches Rollenspiel ist. Aber das waren Fallout 3, The Elder Scrolls V: Skyrim und The Elder Scrolls IV: Oblivion auch nicht. Sogar bei The Elder Scrolls III: Morrowind bin ich mir bis heute nicht sicher, die Welt von The Elder Scrolls II: Daggerfall war damals sogar komplett zufallsgeneriert. Bethesda hat noch nie Geschichten erzählt, die sich zu erleben lohnen. Mir ist noch nie ein Charakter in The Elder Scrolls untergekommen, der mich auch nur einen Pfifferling interessiert hat.

Dennoch bin ich ein großer Verfechter dieser Spiele, denn für mich hat Bethesda nie Geschichten und Charaktere erzählt, sondern immer nur Welten. Und das Crafting-System sowie der Siedlungsbau aus Fallout 4 sind für mich das Beste, was der Bethesda-Formel hätte passieren können. Denn diese beiden Dinge befeuern genau den Aspekt, der The Elder Scrolls und Fallout 3 (Fallout: New Vegas als Obsidian-Spin off mal ausgenommen) ausgezeichnet hat: Freiheit.

Macht doch was ihr wollt

Der Begriff der spielerischen Freiheit könnte inflationärer kaum sein, schließlich wird diese schon propagiert, wenn einfach nur ein Open World-Konzept vorliegt. Aber Freiheit bedeutet für mich nicht Bewegungsfreiheit, sondern der mögliche Bruch mit den Mechaniken und den Erzählweisen des Spiels selbst. Man kann Bethesda sicher viel vorwerfen, aber spielerisch einschränken tun uns die Entwickler nicht. Wir können tun und lassen, was wir wollen. Auch wenn das bedeutet, dass wir Questgeber ermorden und uns dadurch von stundenlangen Content aussperren.

Vivec aus The Elder Scrolls III: Morrowind

In Morrowind bin ich damals aus Neugier in den Tempel von Vivec eingebrochen und habe den Halbgott, der dort im Schneidersitz schwebend residiert hat, einfach getötet. Ich wusste nicht einmal wer das ist, aber er war tot. Ich habe mir seine legendäre Armschiene stibitzt und bin wieder losgestiefelt. Ich bin in fremde Häuser gelatscht, habe beschlossen hier zu wohnen und den Besitzer ermordet. Sein Kram wurde rausgeworfen, meine heißgeliebten Ausstellungsstücke liebevoll platziert. Wenn es um Bethesda geht, habe ich mich immer nur für mich selbst interessiert.

Und durch den Siedlungsbau habe ich jetzt wieder eine Tätigkeit mehr, mit der ich mich stundenlang beschäftigen kann. Noch eine Alternative zu den vernachlässigbaren Quests, Begleitern und vor allem der wie immer mäßigen Hauptstory. Ja, ich habe darüber geschimpft und gezetert , wie unzureichend Fallout 4 seine Spieler an diese Mechaniken heranführt. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum so viele nicht verstehen, warum es diese Features überhaupt gibt. Aber sobald die erste Verständnishürde genommen wurde, erschließt sich durch das Crafting und der Möglichkeit, ganze Städte zu errichten, ein vollkommen neuer Zugang zur Spielwelt.

Schrauben & Holzhütten statt Diamond City

Mein kleiner Bruder hat sich jetzt ebenfalls Fallout 4 zugelegt, konnte mit den banalen Geschichten aber nichts anfangen. Also hat er sich auf den Bereich von Sanctuary beschränkt und angefangen, mit dem Siedlungsbau zu experimentieren. Zehn Stunden später hatte er noch immer keine Quest erledigt, sondern nur an seinem Haus gearbeitet und weitere Siedlungen gegründet. Nur die Suche nach Ressourcen hat ihn in die Dungeons getrieben und ich kann nicht sagen, dass ich glaube, er habe irgendetwas verpasst. Das Gefühl hatte ich eher bei mir, weil ich den Siedlungsbau hinausgezögert hatte.

Die Unzufriedenheit mit dem neuen Crafting-System und dem komplexen Siedlungsbau liegt in der Annahme begründet, diese neuen Features lenken vom eigentlichen Kern des Spiels ab. Mit dem Kern des Spiels sind die Geschichten gemeint, die es in den von Bethesda bereitgestellten Dörfern, Städten und Dungeons zu erleben gibt. Denn die Narration hat in einem Rollenspiel eben oberste Priorität, zumindest drängt sich diese konservative Ansicht für viele auf. Tatsächlich besitzt Fallout 4 aber keinen spielerischen Kern, der sich an einzelnen Elementen festmachen lässt. Die Hauptstory von Fallout 4 ist diesem Kern nicht näher als das Crafting, der Siedlungsbau oder das ziellose Wandern durch das Commonwealth.

Eine kreative Behausung in einer zerstörten Welt basteln? Das ist kein Rollenspiel mehr!

Nur weil Fallout 4 eine Voreinstellung an Fraktionen, Figuren und Schicksalen zugrunde liegt, bedeutet das nicht, dass wir unsere Abenteuer nur innerhalb dieser Grenzen erleben dürfen. Wenn mich die Stählerne Bruderschaft nervt, dann schleiche ich mich eben auf das Prydwen-Luftschiff, skille mich zum Meisterdieb und klaue allen Soldaten die Kleidung vom Leib. Dieser Ansatz ist ebenso wertvoll wie der von Bethesda vorgeschlagene Questverlauf. Ebenso verhält es sich mit dem Crafting, das nämlich keine unnötige Dreingabe ist, sondern eine gleichwertige Herangehensweise, Fallout 4 zu erleben.

Darf man das so sehen?

Huch, und wenn ich die Qualität eines Rollenspiels nun nicht an der Qualität der Geschichten messe, sondern an der gebotenen spielerischen Freiheit und ich diese Freiheit in Fallout 4 auch außerhalb der Grenzen dieser Geschichten erlebe, ist Fallout 4 dann etwa doch ein Rollenspiel? Vielleicht sogar ein gutes, vielleicht sogar besser als das gut geschriebene aber erzählerisch starre The Witcher 3: Wilde Jagd? Da habe ich keine Ahnung, ehrlich gesagt.

Was ich dadurch aber verstehe, ist, dass es nicht wirklich Sinn ergibt, ein Feature nur deswegen abzulehnen, weil es nicht zum Rollenspiel-Aspekt beiträgt. Das tut es nämlich allerdings, vielleicht sogar noch mehr als es diese unsagbar peinliche Suche nach meinem eigenen Kind jemals tun könnte.

Naja, ich baue mal weiter.

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