"Es ist OK, wenn man sein Kind mal sch---- findet": Florian David Fitz über Wochenendrebellen und sein neues Sci-Fi-Projekt für Netflix

16.09.2023 - 15:00 UhrVor 7 Monaten aktualisiert
Wochenendrebellen mit Florian David Fitz
Leonine/Moviepilot
Wochenendrebellen mit Florian David Fitz
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In Doctor's Diary oder Der Vorname brillierte er als Arschloch, in Wochenendrebellen muss sich Florian David Fitz als überforderter Familienvater einer zutiefst menschlichen Herausforderung stellen. Wir haben mit ihm gesprochen.

Egal ob Komödie oder feinfühliges Gender-Drama wie zuletzt Oskars Kleid: Wenn ein großer deutscher Film in den Kinos anläuft, ist nicht unwahrscheinlich, dass Florian David Fitz in irgendeiner Form seine Finger im Spiel hat. Der 49-Jährige ist nicht "nur" einer der bekanntesten Schauspieler Deutschlands, er führt auch Regie und schreibt Drehbücher – unter anderem für ein kommendes Sci-Fi-Projekt von Netflix.

Ab dem 28. September 2023 läuft sein neuer Kinofilm Wochenendrebellen deutschlandweit im Kino. Fitz spielt den Workaholic Mirco, der seinem Sohn versprochen hat, mit ihm gemeinsam einen Lieblings-Fußballverein zu finden. Es gibt nur 2 Probleme: Deutschland hat verdammt viele Vereine, deren Stadien die beiden alle abgrasen müssen. Und: Nicht nur Sohn Jason (Cecilio Andresen), der auf dem autistischen Spektrum ist, kommt bei der ungewöhnlichen Reise an seine Grenzen. Mirco und Jason gibt es wirklich, der Film basiert auf einer wahren Geschichte.

Ich treffe Florian David Fitz in einem Berliner Hotel zum Interview. Er ist selbst Vater und arbeitet nach eigener Aussage zu viel – perfekt also, um über ganz reale Emotionen im und abseits des Films zu sprechen. Und natürlich darüber, wie man im alltäglichen Chaos des menschlichen Daseins nicht wahnsinnig wird.

Seht hier den Trailer zu Wochenendrebellen mit Florian David Fitz:

Wochenendrebellen - Trailer (Deutsch) HD
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Moviepilot: Wochenendrebellen erzählt die wahre Geschichte eines Vaters, der sich wahnsinnig für seinen Sohn einsetzt. Hast du dir als Vater die Frage gestellt: Wäre ich dazu auch in der Lage?

Florian David Fitz: Die Antwort kann ich dir ganz sicher geben: Wäre ich nicht. Als ich das Drehbuch das erste Mal gelesen habe, bin ich auch eher demütig rausgegangen. Man weiß nicht, was einem passieren wird. Am Ende passt man sich ja immer an die Gegebenheiten an. Aber woher die diese Kraft nehmen, weiß ich ehrlich gesagt nicht.

Hast du gefragt?

Ich glaube, die Antwort wäre: Es ist wie es ist. Du kannst nicht aufgeben, es ist ja dein Kind. Und dann gibt es da natürlich auch einfach noch diese große Liebe. Aber es ist, glaube ich, bei aller Liebe auch mal ok, wenn man sein Kind scheiße findet. Wir sind ja alles nur Menschen. (lacht)

Florian David Fitz bestand bei Wochenendrebellen auf eine der unangenehmsten Szenen des Films

Vater Mirco muss Sohn Jason immer wieder von der Außenwelt abschirmen

Es gibt diese eine Szene im Film, in der das richtig eskaliert. Natürlich weiß an so einem Set jeder, dass das alles gespielt ist. Aber ist das für dich als Schauspieler trotzdem schwierig, einem Kind so etwas Krasses ins Gesicht zu sagen wie das, was du in diesem Moment sagst?

Nee! (lacht) Da muss ich wahrscheinlich mit meinem Therapeuten drüber sprechen. Ehrlich gesagt habe ich darauf gedrungen, dass es diese Szene gibt.

Warum war dir das wichtig?

Mirco [von Juterczenka] und Jason haben darauf gepocht, dass am Ende nicht alles gelöst wird und das Kind nicht mehr auf dem Spektrum ist. Das wäre ein Märchen, weil es wird keine Heilung geben, es wird keine richtige Veränderung auf der anderen Seite geben. Also muss es eine Veränderung auf der Seite des Vaters geben. Und dafür muss er an die Abbruchkante.

Jeder normale Elternteil ist ständig mit Ungerechtigkeit konfrontiert, aber wenn das Gegenüber dazu auch noch so intelligent ist und die Eskalation scheinbar vorantreibt … Da hast du in dem Moment das Gefühl, dass das eine regelrechte Bösartigkeit ist – obwohl es das eigentlich gar nicht ist. Also, ich verurteile das nicht. Ich finde gut, dass es da nicht so weich gewaschen ist. Aber man ist dann ja sehr in seiner Figur. Hast du ihn da nicht verstanden?

Doch, ich habe das total verstanden und dachte mir: OK, offensichtlich bin ich ein schlechter Mensch.

(lacht) Aber das ist doch super! Wenn du einerseits das Gefühl hast “Endlich sagt er’s mal!”, und dir gleichzeitig denkst: “Oh Gott, das kannst du doch nicht sagen?” Ein Kind wie Jason im Film hat gar keine Wahl, als die Welt nach seinen Vorstellungen zu betreten. Das bedeutet aber auch, dass alle um ihn herum konstant die Welt verändern müssen, damit er funktioniert. Das ist das, was man als ungerecht empfindet, auch wenn Jason überhaupt nichts dafür kann. Deswegen finde ich auch so wichtig, wie der Konflikt aufgelöst wird. Aber das wären jetzt wahrscheinlich zu große Spoiler.

Für Florian David Fitz sind soziale Medien wie Chips essen – sie tun einem eigentlich nicht gut

Vincent will meer - Trailer (Deutsch)
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Du hast mit Vincent will meer mal einen Film über jemanden mit Tourette-Syndrom gemacht. In einem Interview meintest du damals, dass die Krankheit aber eigentlich ein Symbol für etwas anderes sei. Würdest du sagen, dass Autismus in Wochenendrebellen auch als Symbol für etwas anderes gesehen werden kann? Einen Wunsch nach Verlässlichkeit und Ordnung, zum Beispiel.

Ich glaube, dass das mit Symbolen generell so ist: In jeder Geschichte – ob es jetzt Autismus ist oder Tourette oder Weltraumflüge oder Avatare – ist ja offensichtlich etwas drin, das wir mitempfinden, auch wenn es eigentlich äußerlich gar nichts mit uns zu tun hat. Und eigentlich ist das eine unterschätzte Superkraft von uns Menschen. Damit können wir ja emotional überall hin reisen. Aber zum Autismus als Symbol für unser Stabilitätsbedürfnis … Das, was du jetzt sagst, finde ich total interessant. Alle Kinder brauchen eine Art von Stabilität und sind sehr empfindlich, wenn du etwas versprochen hast und das passiert nicht. Oder bestimmte Regeln nicht eingehalten werden. Auf dem Spektrum ist das dann extrem.

Aber vielleicht wünschen wir uns genau das gerade alle zurück, weil wir seit zehn Jahren zunehmend das Gefühl haben, dass die Welt wieder unordentlicher wird. Vielleicht haben wir auch gedacht, sie sei ordentlicher, als sie eigentlich ist, und stellen jetzt fest: Es wird kein Ende geben. Wir werden einfach nie “fertig” sein.

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Das tue ich mir nicht auch noch an. Wir alle wissen ja eigentlich, was uns guttut und was nicht. Natürlich tut es uns nicht gut, die ganze Zeit an einem Handy zu hängen. Natürlich tut es uns nicht gut, über andere Leute zu lästern. Aber trotzdem machen wir’s. Gerade Social Media ist da wie Chips essen. Selbstdisziplin und Mäßigung sind so ein bisschen aus der Mode gekommen, glaube ich. Sich immer wieder selbst einzuordnen und zu fragen: Wo ist das Pendel in der Mitte? Das sind die einzigen Waffen, die wir gegen den ganzen Scheiß haben, der uns krank macht.

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Für mich wirkt es bei den ganzen Projekten der letzten Jahre, als würde dein Pendel sehr in Richtung Arbeit ausschlagen. Ist das einfach für dich, von einer Sache in die nächste zu springen, oder wirst du da nicht auch ein bisschen wahnsinnig?

Beides. Es geht schon, aber ich komme da auch langsam an einen Grenzpunkt. Ich habe eine Netflix-Serie im Januar fertig gedreht. Anschließend musste ich meinen nächsten Kinofilm schreiben – was ein bisschen dauert. Das ging bis Sommer, dann geht’s an die zweite Fassung. Jetzt habe ich eine Woche Zwangsurlaub gehabt und helfe aktuell für zwei Wochen beim Buch für ein nächstes Kinoprojekt, während ich Presse für Wochenendrebellen mache. Da merke ich schon: Vielleicht bin ich nicht mehr ganz so flexibel, wie ich es mal war.

Es ist schon ein bisschen zu viel. Wenn ich nächstes Jahr wieder sage “Ja gut, vielleicht ist es gerade etwas viel”, dann habe ich das mit der Mäßigung natürlich nicht geschafft. Dann muss ich vielleicht auch irgendwann sagen: Fuck it. Am Horizont habe ich den Plan, vielleicht nur noch eine Sache zu machen.

Ist es “einfacher”, eine Serie für Netflix zu machen als ein großes deutsches Kinoprojekt?

Eher komplexer, aber auch sehr cool. Du hast eine längere Drehzeit. Es war eine Mini-Serie, das heißt, es waren vier Bücher, die in sich alles kleine Kinofilme sind. Du hast nicht nur diese sehr, sehr limitierte Zeit wie im Kinofilm, um zu zeigen, was der Konflikt ist. Meistens weiß man ja, wie es sich in einem gewissen Genre entwickeln wird. Wir haben ja alle gesehen, was passiert, wenn es nur noch darum geht, die Erwartungen zu brechen – dann hast du die letzte Staffel von Game of Thrones. Aber man muss trotzdem gucken, wie es in sich spannend und berührend und überraschend und trotzdem nachvollziehbar bleibt.

Bei einer Netflix-Serie hast du nicht das Problem, dass du mit der S-Bahn zum Kino in die Stadt reinfahren musst und die Stammstrecke streikt, oder du findest keinen Parkplatz mit dem Auto. Oder du stehst schon in der Popcorn-Schlange, alle vor dir husten und du gehst doch nicht in den Saal. Du machst eine Netflix-Serie viel schneller an, aber du schaltest es auch viel leichter weg. Deswegen musst du ganz anders darüber nachdenken, wie du die Brotkrumen auslegst, damit die Leute das weiterschauen wollen. Das ist für mich eine Brain-Aufgabe, wie ein Sudoku.

Bei den Dreharbeiten zu Wochenendrebellen kamen Florian David Fitz die Tränen

Gibt es etwas, wovon du möchtest, dass Leute es aus Wochenendrebellen mitnehmen? Ein Gefühl oder einen Gedanken, auf den du mit deiner Rolle hingearbeitet hast?

Ich finde es immer gefährlich, einen Film mit einem ganz bestimmten Ziel zu machen. Da hast du dann direkt so Schulfernsehen mit einem pädagogischen Zweck. Ich persönlich habe noch viel mehr über das deutsche Fußballwesen gelernt als über Autismus. Und das zusammen mit dieser emotionalen Geschichte über diese Familie ist das, was diesen Film besonders macht.

Man belächelt das ja immer so dieses Schrebergartenmäßige. Aber es ist so viel Liebe in diesen Vereinen. In dem Film gibt es eine Szene, wo wir in Dortmund sind. Da singen die dieses berühmte Lied am Anfang und das sind 60 oder 80.000 Kehlen ... Ich bin völlig unbeteiligt, ich habe da überhaupt keine Aktien drin und muss trotzdem weinen. Das ist etwas, wo man zusammen sein kann. Wo es wohltuend ist, mal nicht im Zentrum zu stehen, sondern Teil von etwas Größerem zu sein. Ich glaube, das hilft auch gegen das Chaos und die Unordnung der Welt.

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Vom brutalen Kriegsdrama bis zum verträumten Fantasy-Abenteuer, vom Blockbuster bis zum Geheimtipp: Bei Netflix könnt ihr einige starke Original-Filme entdecken. Sogar das verloren geglaubte Werk eines Meister-Regisseurs ist bei dem Streaming-Dienst erschienen.

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