Eskapismus & die Sitcom als Spiegel der Gesellschaft

28.08.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
The Mary Tyler Moore Show
CBS
The Mary Tyler Moore Show
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Die Sitcoms der 60er und 70er könnten nicht unterschiedlicher sein. Von Beverly Hillbillies bis zur Mary Tyler Moore Show war es ein langer Weg. Im zweiten Teil nehmen wir euch mit auf eine Reise durch eine besonders wechselhafte Zeit der Sitcom-Geschichte.

Wir verlassen die Idylle der Vorstadtfamilien, Ehefrauen-Eskapaden und trauten Heime und betreten eine Zeit, in der wirtschaftliche Faktoren, sowie politisch-gesellschaftliche Entwickungen das Genre so sehr prägten, dass Fernehkritiker sich noch Jahre lang auf eine Rede von Newton Minow (damaliger Vorstand von FCC) besannen “Bleiben Sie an den Fernsehgeräten gefesselt bis zum Sendeschluss. Ich kann Ihnen versichern, dass das, was sie sehen werden, eine weite Einöde ist. Sie werden eine Reihe an Quizshows sehen [und] formelhaften Comedies mit unglaubwürdigen Familien […]” (Vast Wasteland Rede). Das hatte gesessen. Die berühmte Rede zeichnet ein ernüchterndes Bild des Fernsehens im Allgemeinen und der Sitcom im Speziellen. Es sollte auch noch ein ganzes Jahrzehnt dauern. bis sich die Sitcom endlich von ihrem schlechten Ruf erholte, gesellschaftskritisch wurde und offen relevante Themen ansprach.

Im zweiten Teil dieser Reihe halten wir unser Vergrößerungsglas also über zwei Jahrzehnte, deren Hit-Shows ganz unterschiedlich auf die Umwelt reagierten. Denn während sich die Sitcoms der 60er Jahre in eskapistischen Welten und ländlicher Rückbesinnung ergingen, waren die der 70er Jahre ein Spiegel der Themen und Bedürfnisse der amerikanischen Bevölkerung.

See no evil
Mit Minows Rede zum Beginn der 60er Jahre hatte sich schon ein neuer Trend in der amerikanischen Sitcomlandshaft etabliert.Andy Griffith Show mitsamt seiner zwei Spin-offs Gomer Pyle, U.S.M.C. und Mayberry R.F.D. waren der Beginn einer Reihe von Geschichten über das “einfache Folk” aus den ländlichen Gegenden der Südstaaten, das nichts auf die Affektiertheiten der Städter gab. Es folgten Green Acres, Hee-Haw und vor allem Beverly Hillbillies, in der es eine einfache Hinterwäldler-Familie nach Beverly Hills verschlug. The Beverly Hillbillies entwickelten sich zur erfolgreichsten Sitcom der 60er Jahre mit ihrer Mischung aus Hinterwäldler-Charme und leichter Schickimicki-Satire. Dennoch zeigen Reaktionen damaliger Krtiker, dass zwischen “gut” und “erfolgreich” Welten liegen können. Als öffentliche Blamage und Anbiederung an die Anti-Intellektuellen wurde sie laut Paul Cullum in der Encyclopedia of Television bezeichnet. Diese Debatte hat sich bis heute kaum geändert. Was in den Augen vieler Kritiker unintelligent und dumm ist, wird von Millionen geliebt – und anders herum.

The Beverly Hillbillies – Intro

Die Diskrepanz an der ganzen Sache wird deutlich, wenn wir uns anschauen, was zu dieser Zeit tatsächlich in den Südstaaten passierte. Das Civil Rights Movement erlangte seinen Höhepunkt und führte zu Aufständen und Demonstrationen für die Rechte der schwarzen Bevölkerung Amerikas. Die Serien waren eine weißgewaschene Version der Realität, immer darauf bedacht, die wirklichen Probleme zu verschweigen. Sogar die wegweisende Sitcom Julia, in der erstmals eine schwarze Frau Mittelpunkt der Handlung war, schaffte es, keine Themen anzusprechen, die gesellschaftlich relevant gewesen wären. Julia war ein sofortiger Hit, musste sich aber auch viel Kritik gefallen lassen. So beschreibt J. Fred McDonald in Black & White TV: Afro-Americans in Telvision since 1948 Julia als “comfortable image of black success […] in stark juxtaposition to the images seen on local and national newscasts”.

Fluch in andere Welten
Die Sitcom als blinder Fleck gesellschaftlicher Relevanz war damit aber noch nicht zu Ende. Der zweite Trend des Jahrzehnts war überhaupt nicht mehr von dieser Welt. Die übernatürliche Sitcom – oder magicom – in Form von Monstern (The Munsters, Die Addams Family), Zauberei (Bezaubernde Jeannie, Verliebt in eine Hexe) und Aliens (My Favourite Martian) zeigte ganz deutlich das Bedürfnis nach Eskapismus in einer Zeit, die von großer Unsicherheit geprägt war. Die realen Auswüchse dieser Sehnsucht manifestierten sich im Wettlauf zum Mond, der seinen Höhepunt am 21. Juli 1969 erreichte, als Neil Armstrong den Erdtrabanten betrat.

Wir reden über eine Zeit, in der ein Atomschlag wie ein Damoklesschwert über der Welt hing, eine Generation traumatisiert aus dem Vietnamkrieg zurückkehrte und Persönlichkeiten wie John F. Kennedy und Martin Luther King auf offener Straße ermordet wurden. Nicht selten wurde das laufende Programm wegen eines Sonderberichts über die neusten politischen Entwicklungen unterbrochen. Wohlwollend betrachtet könnten wir also zu dem Schluss kommen, dass die Sitcom der 60er Jahre – anders als die Idylle der 50er Jahre und die Sozialkritik der 70er Jahre – eine Zeit überbrückte, in der die Menschen in einer Schockstarre verharrten, bis sie bereit waren, sich mit der Realität humoristisch auseinanderzusetzen.

Pragmatischer sieht es Joanne Morreale, die in Critiquing the Sitcom schreibt, dass der Wettbewerb um die höchsten Quoten zur Absetzung von riskanten, High-Quality-Programmen zu Gunsten von formelhafteren Serien führte. “It was also apparent that huge amounts of money could be made from syndication, so many shows, particularly sitcoms, were deliberately structured so that they could be repeated endlessly without appearing dated.”

Erfahrt auf der nächsten Seite, wie das Fernsehangebot in den 70er Jahren eine Rundumerneuerung bekam.

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