Ghost in the Shell vs. The Matrix

23.09.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
And where does the newborn go from here?
Rapid Eye Movies/Warner Bros./freepik.com/moviepilot
And where does the newborn go from here?
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Sein & Nichtsein, Körper & Seele - mit ihrem Vergleich von Ghost in the Shell und dem angeblichen Rip-off Matrix beweist uns moviepilot-Mitglied LilQ, dass Ähnlichkeiten eben nur oberflächlich sind - und dass in einer Hülle soviel mehr stecken kann!

Dass sich die Wachowski-Geschwister Lana Wachowski und Andy Wachowski bei Ghost in the Shell (1995) für ihr Mega-Science-Fiction-Spektakel Matrix (1999) bedient haben, manchmal mehr schlecht als recht, ist kein Geheimnis. Doch sehe ich im direkten Vergleich mehr Unterschiede, als Ähnlichkeiten und muss immer innerlich zusammenzucken, wenn man erneut Matrix feiert, sowie bewundert und, im Zuge dessen, gönnerhaft die Gemeinsamkeiten zu GitS betont, die sich für mich meist nur auf einige visuelle oder technische Spielereien beschränken. Ghost in the Shell ist nicht nur klüger und philosophischer, es ist auch, meiner bescheidenen Meinung nach, liebevoller und beseelter als die Matrix. Story-technisch stehen sich GitS und Matrix ungefähr so nahe, wie zwei fremde Galaxien in unterschiedlichen Paralleluniversen sich sein könnten.

Die menschliche Realität in der Matrix ist eine fremdbestimmte und auferlegte, aus der man fliehen muss, um sich dann in einer eigenen gewählten Realität wiederzufinden, aus der heraus man wiederum bewusst agieren kann. Die Realität in Ghost in the Shell, nicht die des armen Müllfahrers, sondern die Major Motokos, ist keine Fiktion. Sie ist ihre eigene persönliche Realität, die sie nach und nach anzweifelt und hinterfragt. Dabei hadert sie nicht mit ihrer Umgebung (d.h. ihrer Matrix) sondern mit sich, also ihrem „Ghost“. Motoko fragt sich also nicht, ob ihre Umgebung echt ist, sondern ob sie selbst echt ist. Eine philosophische Problematik, die schon von vielen Menschen aufgegriffen wurde und bis heute nicht wirklich abschließend behandelt werden konnte. Das ist also des Pudels Kern und ein großer Unterschied. Das Eintauchen in eine Matrix, das Jonglieren und Erschaffen von Illusionen, wie falsche Erinnerung, ist eine Kernidee, die aus GitS übernommen wurde. Dass Ghost in the Shell bei weitem komplexer und vielschichtiger als Matrix ist, sollte bei der interessanten Thematik, die ihm Film philosophisch und wissenschaftlich vermittelt wird, schnell deutlich werden. 

Während sich der Major mit ihrer Selbstdefinition und Selbstwahrnehmung plagt, taucht ein anderer „Ghost“ auf, der Puppetmaster. Auch er zweifelt nicht an der Matrix, die ihn umgibt. Er zweifelt an der gängigen Definition des Seins. Sind Menschen Individuen mit einem Recht auf eine gesicherte Existenz, weil sie einen Körper haben? Ist es nur ihr Gehirn, der biologische Speicher von Erinnerung und Denkmustern, der sie zu einem Individuum macht, oder die Kombination von beiden Faktoren? Biologischer Ursprung und ein individuelles Bewusstsein. Der Puppetmaster erkennt, dass auch er, ganz nach dem Motto cogito ergo sum, ein Individuum ist und ihm die selben Rechte zustehen wie den Menschen. Auch wenn er ursprünglich nur als Spionageprogramm konzipiert war (ähnlich wie Skynet in Terminator), ist er, durch Eigen- und nicht durch Fremdwahrnehmung, mehr als das. Nun steht er wiederum vor einem Problem, welches auch Major Motoko indirekt plagt: Fortpflanzung. Als ein Programm kann er sich, ähnlich wie das Pantoffeltierchen, zwar replizieren, aber nicht effektiv vermehren, es gibt also keinen evolutionären Vorteil und wenn er terminiert aka gelöscht wird, ist es aus und vorbei mit ihm. Als Cyborg (zu 98%) kann sich der Major ebenfalls nicht fortpflanzen. Mit ihrem Tod endet auch ihre Existenz und sie hinterlässt nichts, was von ihrer Anwesenheit zeugen kann. Hätte sie Kinder, so würde ein Teil ihres genetischen Materials weiterleben, aber so... 

Nun schwingen beide, Puppetmaster und der Major, auf einer ähnlichen geistigen Sequenz. Sie haben ihren „Ghost“ in den Weiten des Netzes gespürt. Daher rührt Majors großes persönliches Interesse am Puppetmaster und umgekehrt. Beide haben gleiche Ängste, beide fürchten, nicht wirklich existieren zu können, weil sie sich nicht vermehren können. Und so kommen sie in einer Ruine zueinander, einer Art Naturkundemuseum, in dem ein eindrucksvolles altes Wandbild aus Stein zu sehen ist. Es zeigt die Evolution, metaphorisch als Baum dargestellt. Diese Kulisse ist kein Zufall. Zum einen ist die Entstehung einer KI aus sich selbst heraus ein evolutionärer Schritt in eine neue Richtung, zum anderen wird durch die Verbindung des WWW mit unserem Gehirn, so wie unsere Vernetzbarkeit mit unserer Umgebung und mit anderen Individuen, nur allzu deutlich, dass die Menschheit sich zu einer Schwarmintelligenz weiterentwickelt. Anders als in Matrix ist die Technik nicht der Feind, sondern ein Verbündeter und Partner der Menschen. 

(Man kommt, nebenbei gesagt, nicht umhin, zu bemerken (in Matrix), dass es die Menschen in einer fortschrittlichen Welt zur Rückständigkeit drängt, was bei immer gefährlicheren Waffen und komplexeren Systemen einem absoluten Supergau gleichkommt. Eine Realität mit solchen technischen Finessen sollte keinen Platz für Orakel- und Erlöserfantasien bieten. Falls also die feindliche KI besiegt wird, bleiben Menschen mit fortschrittsfeindlichem und religiösem Wahn übrig, die nun die tödlichen Waffen, die sie gegen ihren Erzfeind benutzt haben, gegen sich selbst richten können. Ohne einen einenden Feind von außen zerfleischen sich Menschen mit solch einer Gesinnung. Evolution adé.) Ihre Matrix ist also nicht das gefühlte Gefängnis, sondern ihr Körper ist es. Sie sehnt sich regelrecht danach, frei in die Matrix einzutauchen und so ihrem Korpus zu entfliehen, um jemand anderes zu werden. Die Menschen im Film Matrix dagegen versuchen, dieser zu entkommen und wieder die Kontrolle über ihren Körper und ihre Realität zu gewinnen. 

Im Film Matrix gibt es für mich eben keine sichtbare evolutionäre Entwicklung der Menschheit. Die Akteure dieser Welt klinken sich lediglich in die Matrix ein und formen sie nach ihrem Gutdünken. Sie stehen ihr feindselig gegenüber und entfalten sich nur begrenzt und innerhalb ihrer festgelegten Möglichkeiten. Ihr Überleben ist auch stets an ihren biologischen Körper gebunden. Dieses körperliche Korsett ist es aber, welches den Major plagt. Auf dem Boot sagt sie, dass sie sich eingeengt fühlt und sich nur innerhalb gewisser Grenzen bewegen kann. 

Das sind zwei unterschiedliche Konzepte, die sich zwar in der technischen Ausstattung und Möglichkeiten in der Filmrealität ähneln (wie ein Mittelalterfilm Herr der Ringe ähneln kann), nicht jedoch in der Problematik oder Problemlösung. Die Wachowski-Geschwister haben sich ohne Zweifel schamlos bei GitS bedient, doch leider haben sie eben nicht die kluge Idee weiterentwickelt oder neu interpretiert, sondern ein apokalyptisches Action-Spektakel mit teilweise stark religiös geprägten und technikfeindlichen Ansätzen umgesetzt. Ein Rückschritt, kein Fortschritt.

Dieser unvergleichliche Vergleich zweier Meisterwerke, die nur auf den ersten Blick vieles gemein haben, wurde uns von moviepilot-Mitglied LilQ eingereicht. (Auf der nächsten Seite findet ihr übrigens noch LilQs Kommentar zu Ghost in the Shell, ohne den diese Speakers' Corner einfach nicht komplett wäre.) Dies ist auch gleichzeitig das letzte eurer Meisterwerke, die hier an der Speakers' Corner stehen, denn diese Ecke ist zu klein geworden. Seitdem es die Blogs gibt, ist jedoch die Speakers' Corner überall und jeder Tag ist Speakers' Corner-Dienstag! :)

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