Herr der Ringe mit Witzen funktioniert nicht - Drachenreiter beweist es

21.10.2020 - 14:05 UhrVor 3 Jahren aktualisiert
DrachenreiterConstantin Film
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Drachenreiter kommt diese Woche frisch ins Kino und hätte ein Herr der Ringe für Jüngere werden können. Diese Chance verschenkt der Animationsfilm trotz Cornelia Funkes genialer Buchvorlage aber leider.

Müssen Kinderfilme um jeden Preis leichtfüßig und witzig sein? Drachenreiter würde diese Frage wohl mit einem klaren Ja beantworten. Doch nicht nur Herr der Ringe-Fans wissen, dass eine Fantasy-Mission, eine echte Quest, nur dann einen nachdrücklichen Eindruck hinterlässt, wenn auch emotional etwas auf dem Spiel steht. Und das traut sich der am 15. Oktober 2020 im Kino gestartete Drachenreiter leider nicht.

Drachenreiter fragt: Sollten Kinder lieber lachen als mitfiebern?

In Drachenreiter begibt sich der Waisenjunge Ben mit dem Silberdrachen Lung und dem Koboldmädchen Schwefelfell auf die Suche nach dem "Saum des Himmels", einem sagenumwobenen Ort, an dem die versteckt lebenden Drachen vor den Menschen und einem grausamen metallenen Jäger sicher sein sollten.

Drachenreiter

Die deutsche Autorin Cornelia Funke schreibt fantastische Kinderbücher. Ihre Figuren tragen Namen wie Fliegenbein, Kiesbart und Nesselbrand. Ihre Geschichten sprühen vor Magie, Gefahr und Gefühlen. Die Buchvorlage zu Drachenreiter * habe ich damals als Kind noch vor Der Herr der Ringe gelesen. Sie hat meine Fantasy-Liebe im Prinzip mitbegründet.

Als im Vorspann der Drachenreiter-Verfilmung also die Worte "nach Motiven des Romans" von Cornelia Funke erschienen, war das nicht das beste Vorzeichen. Eine Vorahnung, die sich leider bestätigt: Tatsächlich nimmt die Adaption die meisten Abenteuer-Stationen ihrer Geschichte mit. Doch wo es in dem Buch auch mal aufregend, ja fast gruselig zugeht und der Einsatz somit erhöht wird, flüchtet der Drachenreiter-Film sich in Humor.

Die Witze rauben Drachenreiter die abenteuerliche Tiefe einer Herr der Ringe-Mission

Obwohl Drachenreiter vorrangig für Kinder gedacht ist und Der Herr der Ringe sich eher an Erwachsene richtet, teilen sie sich ein wichtiges Motiv: In der Quest-Fantasy findet hier eine Reise mit einem klaren Ziel vor Augen statt, ob dieses nun in Mordor oder am Saum des Himmels liegt.

Gemeinsam überwundene Gefahren, die entlang des Weges lauern, schweißen Reise-Gefährten gewöhnlich zusammen. Da der Drachereiter-Film sich aber bemüht, jede Bedrohung zu entkräften, ist es ein Wunder, dass die Figuren hier überhaupt eine Beziehung zueinander aufbauen.

Seht den (zu) lustig-leichten Trailer zu Drachenreiter

Drachenreiter - Trailer (Deutsch) HD
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Die humoristischen Änderungen gegenüber der Vorlage sind klein, aber haben eine unerfreuliche Tragweite: Der Basilisk ist hier plötzlich nicht mehr tödlich, sondern nur noch ein überdimensionierter Hahn mit Spiegel-Trauma. Ein Skype-Call vom Spion zum Meister ist längst nicht so mystisch wie geheime Gespräche in Wasserpfützen. Sogar Lungs eigentlich ehrfurchtgebietende Eleganz fällt einem komödiantisch dicken Bauch zum Opfer.

Selbst die Umwelt-Botschaft, dass der Lebensraum der Drachen bedroht ist, wirkt heruntergespielt: Von der Existenzbedrohung wird er lediglich zum Reise-Anstoß. Dabei ist Ausbeutung und menschlich herbeigeführter Klimawandel in heutigen Zeiten doch stärker denn je im Bewusstsein der Jüngeren verankert.

Drachenreiter: Buch-Cover und Film-Poster

Versteht mich nicht falsch, ich sage nicht, dass im Kinderfilm Drachenreiter ein Fantasy-Gemetzel à la Game of Thrones stattfinden sollte. Nur, dass dem Film etwas mehr Ernst und Tiefe zu Gute gekommen wäre.

Der Metall-Drache Nesselbrand zum Beispiel wirkt mit seinen eckigen goldenen Formen und seinen glühenden Augen tatsächlich bedrohlich. Nur wird diese visuelle Gefahr eben ganz schnell durch seine Stimme (Rick Kavanian) gebrochen, wenn er über Dating-Apps jammert. Das ist ein bisschen, als hätte Sauron in Der Herr der Ringe mit den Orks Kreistänze veranstaltet.

Drachenreiter sollte nicht den Vergleich zu anderen Animationsfilmen suchen

Dabei ist die Verbindung von Witz und Gefühl in Animationsfilmen kein Ding der Unmöglichkeit. Pixars Onward: Keine halben Sachen hat es dieses Jahr bereits vorgemacht, dass eine Fantasy-Geschichte komisch, spannend und berührend zugleich sein kann.

Dort wird der Verlust eines Familienmitglieds zur emotionalen Triebfeder. In Drachenreiter spielt der Tod von Bens Eltern nur am Rande eine Rolle, wenn die Aussicht auf eine Ersatzfamilie schon wartet.

Drachenzähmen leicht gemacht schleicht sich in Drachenreiter

Nun ist es wohl ein bisschen unfair, den deutschen Animationsfilm mit amerikanischen Vorbildern zu vergleichen. Schließlich liegen zwischen den Budgets sicher ganze Fantasy-Welten.

Zu dumm ist da nur, dass Drachenreiter ganz bewusst diesen Vergleich selbst sucht: Der Titelschriftzug von Drachenreiter sieht haargenau so aus wie Drachenzähmen leicht gemacht (How to train your dragon). Wem das noch nicht reicht, der darf innerhalb von Drachenreiter sogar kurz der Kino-Premiere von "How to tame your Dragon" beiwohnen.

Auch Lungs blaue Drachenfeuer-Evolution erinnert viel zu sehr an den Nachtschatten Ohnezahn. Dass die Drachen-Animationsfilm-Parallele hier so offen angesprochen wird, ist dabei leider eher ein feiges filmisches Trittbrettfahren als eine kreativ-ironische Brechung des Zitierten.

Drachenreiter als Trittbrettflieger von Drachenzähmen leicht gemacht?

Ja, ich gebe zu: Ich habe kurz über den Ice Age-Verweis gelacht, als Drachenreiter in einer Eishöhlen-Wand kurz Säbelzahneichhörnchen Scrat samt Eichel aufblitzen lässt. Aber dass sich der deutsche Film hier mit seinen berühmten US-Verwandten vergleicht, ruft leider auch in Erinnerung, wie gut diese es verstanden Humor und Abenteuer zu einem runden Paket zu schnüren.

Sich Frodos Mittelerde-Wanderung bzw. dem emotionalen Herzen dieser anderen animierten Geschichten ähnlicher zu machen, hätte Drachenreiter da wohl besser getan. So aber ist die zu gewollt witzige Verfilmung nur ein ganz netter Familienfilm für zwischendurch geworden, den wir ansehen und dann gleich wieder vergessen können. Kein Herr der Ringe einer jüngeren Generation. Leider.

Im Podcast: Ist Drachenreiter" das neue "Drachenzähmen leicht gemacht?

Die Kollegen von FILMSTARTS besprechen in ihrem Podcast Leinwandliebe den Kino-Neustart Drachenreiter, der sehr an die Drachenzähmen-Filme erinnert, tatsächlich aber auf Cornelia Funkes Buch von 1997 basiert. Wie passend, dass diese Woche Esther von Moviepilot zu Gast ist - sie hat die Vorlage nämlich gelesen.

Außerdem unterhalten sich Esther und Sebastian über ihre Top 3 der computeranimierten Trickfilme.

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Kennt ihr das Buch von Cornelia Funke und werdet euch den Film Drachenreiter ansehen?

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