Hideo Kojima, Metal Gear Solid & die Zukunft des AAA-Spiels

24.09.2015 - 14:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Snake auf seiner letzten Mission
Konami
Snake auf seiner letzten Mission
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Mit Metal Gear Solid V: The Phantom Pain endet nicht nur eine 1987 begonnene Videospielserie. Das Erscheinen markiert auch das Ende einer Ära – Eine Ära, in dem exzentrische und experimentelle Spiele einen Platz im Mainstream hatten.

Immer wieder erklärte Hideo Kojima, er wolle die Serie beenden, aber der Erfolg ließ ihn nicht los. Die Charaktere und Konflikte in seinen Geschichten spiegelten auch seine eigene Zerrissenheit wider: Immer wieder werden sie geklont oder reanimiert, um noch einmal auf ihre letzte Mission geschickt zu werden. Hideo Kojima und Metal Gear Solid sind zwei Namen, die untrennbar miteinander verbunden sind.

Metal Gear Solid war nie bloß ein Spiel von, sondern immer auch über Hideo Kojima. Und der letzte Teil macht das deutlicher denn je. Jede Mission in Metal Gear Solid V: The Phantom Pain beginnt und endet mit einer Einblendung seines Namens. Hunderte Male ist er zu lesen, bis Kojima an einem Punkt sogar selbst als Charakter erscheint, der von Snake gerettet wird.

Hideo Kojima in Metal Gear Solid 5: The Phantom Pain

“A Hideo Kojima Game” steht auf der Verpackung fast jedes seiner Spiele – Kojima inszenierte sich selbst so erfolgreich als Autor der Serie, dass beide Namen fast austauschbar miteinander verwendbar sind. Hideo Kojima ist Metal Gear Solid, er ist der Autor im Sinne der Auteur-Theorie. Diese Theorie stammt eigentlich aus der Filmhistorie, wird aber auch oft auf das Medium Videospiel angewendet. Sie besagt, dass ein Werk immer auf eine einzelne kreative Person zurückgeführt werden kann – und alles an Metal Gear kann auf Kojima zurückgeführt werden.

“A Hideo Kojima Game”: Metal Gear und die Auteur-Theorie

Die Auteur-Theorie entstand zu einer Zeit, in der das Medium Film noch um seine Anerkennung kämpfte. Die Zuordnung zu einem einzelnen Künstler machte es leichter, Filme als Kunstwerk anzuerkennen. Obwohl die Theorie inzwischen als überholt gilt, halten gerade bei Videospielen viele nach wie vor aus ähnlichen Gründen an ihr fest. Dabei stammen die bekanntesten Auteurs aus einer Zeit, als Videospiele noch erwachsen wurden: Richard Garriot, Warren Spector, Ron Gilbert, John Romero… Es sind Namen, die heute noch Bewunderung auslösen und untrennbar mit stilbildenden Meilensteinen verbunden sind: Ultima, Doom, Deus Ex.

The Phantom Pain wird das letzte AAA-Spiel sein, das sich so eindeutig auf eine Person zurückführen lässt und Hideo Kojima wird der letzte Auteur des Mediums sein, der über die Ressourcen einer AAA-Produktion verfügen konnte. Allein die Entwicklungskosten beliefen sich auf 80 Millionen Dollar – und das noch ohne Marketing und Vertrieb. Videospiele diesen Ausmaßes sind nicht die Plattform für eine kreative Vision, sie sind Investitionen, die sich für ihre Geldgeber rechnen müssen. Aus beiden Ansprüchen entsteht unweigerlich ein Konflikt. Die Trennung von Kojima und seinem Publisher Konami war auch ein Kampf um die Autorenschaft des Spiels. Während Konami seinen Namen von der Verpackung streichen ließ, schrieb Kojima ihn so oft es ging in das Spiel selbst.

Fliegende Schafe finden sich nur in Metal Gear

The Phantom Pain ist zwischen seinen experimentellen Ansätzen und dem Druck, ein erfolgreiches Mainstream-Spiel zu sein, gefangen. Das Ergebnis schwelgt als Open-World-Spiel im Überfluss und ist der völlige Gegenentwurf zu seinen linearen Vorgängern. So lustig und ungewöhnlich ein Braunbär an einem Fulton-Ballon  sein mag, ist es doch weit von der subversiven Energie früherer Spiele entfernt. Metal Gear Solid war immer eine unmögliche Serie. Unmöglich hinsichtlich der Ideen und Geschichten, die andere Spiele ihrem Publikum nicht zumuteten. Aber auch unmöglich in fehlender Selbstkritik, etwa bei einer Form von Sexismus, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint. Es sind Aspekte der Entwicklung, bei denen jemand fehlte, der “Nein” sagt und der Maßlosigkeit ein Ende setzt.

Phantomschmerz und der Tod des Autors

Zum Schluss sagte Konami "Nein". The Phantom Pain ist nicht nur Kojimas Abschied von der Serie, es wird vermutlich auch sein Abschied von der klassischen AAA-Entwicklung sein, nachdem P.T. gelöscht und Silent Hills gestrichen wurde. Mit ihm verlässt einer der letzten großen Namen die Industrie. Peter Molyneux ist schon lange zu einer Parodie geworden, Sid Meyer zu einer Marke, Ken Levine zog nach dem glatt gebügelten Bioshock Infinite die logische Konsequenz. Sein nächstes Spiel wird mit kleinerem Team und kleinerem Budget abseits großer Studios entwickelt – ein Indie-Game, über das er wieder die volle kreative Kontrolle hat. In den letzten Jahren war ein regelrechter Exodus der alten Garde zu beobachten: Ron Gilbert, Koji Igarashi, Tim Schafer, Keiji Inafune, Brian Fargo und Yu Suzuki wandten sich mit ihren neuen Ideen zuerst an Kickstarter statt an ihre ehemaligen Publisher.

Mainstream-Produktionen haben weder Bedarf noch Raum für solche starken, kreativen Köpfe. Franchises wie Assassin’s Creed, Call of Duty oder Watch Dogs sind Konsens-Produkte, deren Erfolge auf Marktanalysen und Massentauglichkeit beruhen. Die Industrie braucht keine Einzelpersonen mehr, die sie mit ihrer Vision vorantreiben – und umgekehrt brauchen diese die Industrie nicht mehr.

Der Kickstarter-Erfolg Broken Age

Im Gegensatz zum Mainstream erfreut sich die Auteur-Theorie in der Indie-Szene nach wie vor großer Beliebtheit. Wie anachronistisch das Festhalten an ihr selbst im Kontext dieser alternativen Szene ist, zeigte Double Fine in der Dokumentation ihres Kickstarter-Adventures: Broken Age ist nicht nur ein Spiel von Tim Schafer, sondern ebenso von Illustrator Nathan Stapley, Komponist Peter McConnell, Programmiererin Anna Kipnis... statt einem einzelnen "Genie" haben alle Mitglieder des Teams ihre Einflüsse im Spiel hinterlassen.

Videospiele sind gesellschaftlich und wirtschaftlich auf einer Ebene mit dem Film angekommen. Sie müssen keinen Autor mehr voranstellen, um sich zu präsentieren oder zu legitimieren. Einerseits ist es schade, dass wir bizarre Ideen wie Panzer entführende Fulton-Ballons, psychologische Kriegsführung mit 80er-Mixtapes und taktisch einsetzbaren Pferdemist im Mainstream wohl nicht mehr sehen werden. Umso bizarrer sind aber die Ideen, die jetzt schon abseits dieses Mainstreams zu finden sind. Es ist also weder verwunderlich noch ein Grund zur Trauer, dass die ehemaligen Auteurs dorthin verschwinden, sondern lediglich ein Zeichen des Wandels einer Industrie. Das nächste Metal Gear Solid wird dann eben ein Indie-Spiel sein. Der Schmerz über Kojimas Verlust für die Videospielindustrie ist lediglich ein – erlaubt mir diesen Wortwitz – Phantomschmerz.

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