Alle Trainings-Einheiten und Horror-Diäten der Welt können wohl kaum auf eine Rolle vorbereiten, wie sie Hugh Jackman in The Son spielt. Der frühere X-Men-Darsteller gibt sich in dem Drama so hilflos wie selten sonst in seiner Karriere. Denn während Wolverines Wunden von selbst heilen, schneidet der neue Film von The Father-Autor Florian Zeller mit jeder Minute tiefer ins seelische Fleisch.
Das Drama über einen depressiven Jugendlichen ist eine Tortur und macht wütend. Erst wegen der Ohnmacht angesichts des Leids und dann wegen grässlicher Regie-Entscheidungen, die eben dieses Leid für billige Effekte ausbeuten.
The Son gehört sozusagen zum The Father Cinematic Universe
In The Father erspielte sich Anthony Hopkins 2020 einen Oscar als Vater, der durch Demenz den Bezug zur Realität verliert. Damit adaptierte der gefeierte französische Autor Florian Zeller sein eigenes Theaterstück, das Teil einer Trilogie ist. Als zweites wurde The Son verfilmt, der bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere feierte. Vielleicht folgt irgendwann noch The Mother.
Schaut euch den Trailer für The Son mit Hugh Jackman an:
Hugh Jackman spielt Peter, den Vater des Jugendlichen Nicholas (Zen McGrath). Vor Jahren verließ Peter seine Ehefrau Kate (Laura Dern) und den gemeinsamen Sohn, um mit Beth (Vanessa Kirby) ein neues Leben anzufangen. Beide haben mittlerweile einen kleinen Sohn, leben in einem stylischen New Yorker Loft der Marke Edelstahltüren und Backsteinwände. Peter ist drauf und dran, sich als Wahlkampf-Manager einen Traum zu verwirklichen. Da meldet sich Ex-Frau Kate besorgt: Nicholas sei seit einem Monat nicht mehr in der Schule gewesen und auch sonst kommt sie mit ihm nicht klar. Also zieht der Junge ins Loft mit Peter, Beth und Baby Theo. Besserung stellt sich aber nicht ein.
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Teenager Nicholas kämpft zwar damit, auszudrücken was ihn belastet. In den Gesprächen mit Mutter und Vater schafft er es aber trotzdem, deutliche Warnsignale zu formulieren: Er fragt sich, ob er für dieses Leben gemacht sei. Er spricht von einer unerklärlichen Last und erwähnt wiederholt einen Schmerz, den er durch Selbstverletzungen kanalisieren möchte. Vater Peter aber redet sich die Probleme erst schön (Das ist nur eine Phase) und begegnet ihnen dann mit einem ohnmächtigen "Warum?".
Das Drama zeigt Wolverine-Star Hugh Jackman in einer herzzerreißenden Rolle
Diese Ohnmacht der Eltern wird äußerst realistisch in Szene gesetzt und macht deswegen umso wütender. In diesen Phasen wirkt Zellers Film ungemein lebensnah und genau beobachtet, ohne die hilflosen Eltern an den Pranger zu stellen. Das "Reiß dich doch zusammen" gehört schließlich zur Standard-Antwort auf mentale Erkrankungen. Nicholas' neues altes Leben bei seinem Vater ist eine Katastrophe der Untätigkeit, die sich mit fast jedem Gespräch ein Stück verschärft.
Dass ausgerechnet Ex-Superheld Hugh Jackman diesen Vater mimt, ist deswegen ein schlauer Casting Coup. Peter, der charismatische Erfolgsmensch, dem alles zufliegt, verzweifelt an seinem eigenen Kind. Herzzerreißend spielt Jackman als Peter auf. So verletzlich wie in The Son sieht man ihn in keinem anderen Film.
Umso bedauernswerter ist es deshalb, wie Zeller die Krankheit des Jungen im Verlauf des Films ausschlachtet. In einer der fürchterlichsten Szenen des Jahres wird ein möglicher Suizidversuch inszeniert wie eine Bombe unter dem Tisch. Mit diesem Bild erklärte Alfred Hitchcock mal das Prinzip des Suspense. Das Publikum weiß um den Zündstoff, die Leute am Tisch nicht.
In der vollkommen fehlkalkulierten Spannungs-Inszenierung von The Son verkommt Nicholas zur Bombe. Sein Leid wird trivialisiert und als Schockmoment geteast wie eine Jump Scare in einem Horrorfilm. Auch das macht wütend, aber aus den falschen Gründen.