Ich, Digimon World & Pokémon war vergessen

04.08.2015 - 09:00 Uhr
Digimon World
Bandai
Digimon World
7
1
Digimon World war mein erstes Spiel für die PS One und gleichzeitig Grund dafür, mich endlich von meinem Game Boy loszureißen, auf dessen Bildschirm über Monate hinweg Pokémon Rot flimmerte. Auf Glumanda folgte Agumon - zumindest für eine Weile.

Digimon, Pokémon, Monster Rancher und später Yu-Gi-Oh! – Wer wie ich Anfang der Neunziger Jahre das Licht der Welt erblickte, wuchs in der Blütezeit des Mon-Genres auf. Gewöhnliche Tiere, Pflanzen oder aus der Mythologie bekannte Ungeheuer wurden von den überwiegend japanischen Machern an die fantasievolle Kinderseele angepasst, komprimiert und zu neuem geistreichen Leben erweckt. Diese Monster, ob nun in digitaler Welt, Pokéball, Geheimnisstein oder Spielkarte gefangen, sind die Fabelwesen des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts. Pokémon markierte den Start dieses Phänomens.

Zwischen Spielplatz und Monsterwahn

Mit meinem damaligen besten Kumpel traf ich mich beinahe jeden Nachmittag auf dem Spielplatz. Wir schaukelten - einer links, der andere rechts - und tauschten unsere Erfahrungen mit den Pokémon-Edtionen miteinander aus, solange bis die Sonne drohte, unterzugehen und unsere Mütter am anderen Ende des Platzes ungeduldig mit den Füßen scharrten und Phrasen hinüberbrüllten, die uns das Heimgehen schmackhaft machen sollten. Wir hörten nicht, schaukelten weiter. Mit jedem Schwung kam ein neuer Gedanke auf, über noch zu bezwingende Arenaleiter und Monster, die in der Sammlung fehlten. Tag für Tag, Nachmittag für Nachmittag immer nur Pokémon. Die Schaukelgespräche wiederholten sich, wurden inhaltsleer. Irgendwann war es zu viel.

Etwas neues musste her, und beinahe übergangslos erhielt das Pokémon-Franchise mit Digimon einen wahrhaftigen Konkurrenten: Im Jahr 2001 war Digimon World geboren und entpuppte sich als frische Alternative für diejenigen, die immer noch Spaß an der Monsterzucht, aber genug Pokémon hatten. Dieses Spiel war eine Offenbarung. Dass es nicht auf dem Game Boy, sondern auf der für mich zu diesem Zeitpunkt großen, unbekannten PS One erschien, war dabei nur ein weiterer Grund für die dringend benötigte Horizonterweiterung.

,,Woah MetalGreymon and MetalMamemon!"

Digimon World war mein erstes Spiel für die PS One. Ohne Ahnung, was das überhaupt für ein Spiel ist, entschied ich mich dafür, ganz aus dem Bauch heraus und meiner gutgläubigen Seele vertrauend. 99 Deutsche Mark kostete mich die CD samt Plastikhülle – eine ganze Menge hart erbetteltes Taschengeld für ein Spiel, das ich nicht kannte.


Explosionen, mitreißende Klänge von E-Gitarren und schlecht gelaunte Cyborg-Kreaturen – Digimon World hatte mich schon vor dem eigentlichen Start in seine Welt hineingezogen. Der Held des Spiels und mein Alter Ego, passenderweise Hiro genannt, ist ein cooles Kind. Als Besitzer eines V-Pet-Digivice züchtet er nicht nur Digimon, sondern fordert auch Mitschüler zum Kampf heraus. Als dieser nun eines Tages von der Schule kommt, wird dieser auf unerklärliche Weise in sein Digivice gezogen. So startet das Spiel. Willkommen auf der File-Insel!

Angreifen, Angreifen, Angreifen!

Es gibt eigentlich nur zwei Dinge, die ihr über Digimon World wissen müsst: Dieses Spiel ist überhaupt nicht wie Pokémon und Fleisch wird hier auf dem Acker angebaut. Im Grunde ist Digimon World eine Mischung aus JRPG und Monsterzucht-Simulation: Im Auftrag des Dorfältesten, ein Gandalf-Verschnitt namens Jijimon, soll die heruntergekommene zentrale Stadt der Insel, File-City, wiederbelebt werden. Mit Agumon als anfänglichen Begleiter schritt ich zur Tat und bereiste Wälder, Müllberge und weite Steppen, um zahlreiche Digimons meist mittels Kampf martialisch zu überzeugen, ihren Wohnort nach File-City zu verlagern. Nebenbei kümmerte ich mich um die Aufzucht meines Digimon, das mit reichlich Schlaf, Toilettengängen und Filet vom Acker immer ein mächtiges Greymon werden sollte, aber oftmals nur zu einem nach Kloake aussehenden Numemon digitierte.

Sukamon war der andere Griff ins digitale Klo.


Schnell merkte ich, Digimon World war komplexer als Game Freaks Game Boy-RPG, für eine damals Zehnjährige kaum zugänglich: Etliche Mechaniken waren mir ein Rätsel und sind es heute immer noch. Neben den Bedingungen für eine gelungene Digitation war es außerdem das Kampfsystem, das im Vergleich zu Pokémon eher zufällig war: Mittels der Aktion ,,Zurufen" konnte ich das Digimon anfeuern, beschwichtigen oder ermutigen. Dies artete meistens in ein Klick-Stakkato aus, bei dem ich versuchte, meinen Partner daran zu hindern, irgendeinen schwachsinnigen Angriff auszuführen. Bei einer Siegesfanfare klopfte ich mir meist nur auf die Schulter, um zu feiern, dass ich nicht wiederholt zum Opfer dieser Willkür wurde.

Das Spiel, das niemals endete

Trotz all der offensichtlichen Schwächen schaffte es Digimon World eine ungeahnte Suchtspirale aufzubauen: Die Freude über kleine Erfolge, wie das Entdecken einer neuen Digitation und das größere Behagen über einen weiteren Bewohner File Citys klebten mich monatelang an das hellgraue Gamepad der PS One. Die Stadt wachsen zu sehen, war wundervoll und vermittelte das Gefühl, voranzuschreiten: Mit jedem dazugezogenen Bewohner öffnete sich je nach Spezifikation des Monsters ein neues Geschäft, eine Arena oder eine Fundgrube. Die komische Willkür des Spiels sorgte nicht zuletzt für einen gewissen Grad an Spannung. Die nächste Digitationsstufe des Partners und der Ausgang eines Kampfes waren quasi Inhalt einer prallen Wundertüte. Was wollte ein Kind damals mehr?

File City gedieh und das war schön.


So schön dieser Text anfängt, so traurig endet er: Denn durchspielen konnte ich Digimon nie. Schuld war ein infamer Bug, der – wie ich viel später erst herausfand – ein allgemeines Problem der PAL-Version war. So erlaubte einem das Spiel nicht, an einer entscheidenden Stelle mit der Story voranzuschreiten, da ein übereifriges Agumon den Weg in eine Festung blockierte. Nicht links, nicht rechts und nicht geradeaus - kein allmächtiger, bitterböser Antagonist sondern eine unsichtbare Wand war das große Übel, das mich und viele andere letztendlich daran hinderte, das Spiel durchzuspielen. Und so kehrte ich irgendwann doch wieder zu Pokémon zurück.

Ach ja, Teil der Schaukelgespräche wurde das Spiel natürlich trotzdem.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News