Ich, Harvest Moon & Magische Gießkannen

24.02.2015 - 09:00 Uhr
Der Spaß an der Routine
Natsume
Der Spaß an der Routine
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Weder bin ich auf einem Bauernhof aufgewachsen, noch empfinde ich herzergreifende Sehnsucht, wenn ich an gackernde Hühner oder matschige Kürbisse denke. Dennoch liebe ich Harvest Moon über alles, ich erkläre euch gern warum.

Meine ersten Begegnungen mit der Welt der Videospiele waren zwar sehr unterschiedlicher Natur – ich habe Jump 'n' Runs, Text-Adventures und Shooter gleichermaßen gespielt – aber ich doch recht früh erkannt, dass meine vielen Lieblingsspiele etwas gemeinsam haben. Egal ob ich nun fiese Aliens vom Beckenrand schubse oder lädierte Daumen in Kauf nehme, um Highscores zu jagen, die ich mir ausgestopft über den Kamin hänge: Alles dreht sich um den Sieg.

Immer hatte ich ein Ziel vor Augen oder eine Aufgabe zu erfüllen. So funktionieren Videospiele eben, so dachte ich. Manchmal muss ich dafür geschickt sein und manchmal clever, nicht immer bin ich diesen beiden Ansprüchen gerecht geworden. Umso frappiert war ich dann, als ich meine ersten Schritte in Harvest Moon  machte. Hilfe! Wo ist das Ziel? Was muss ich machen? Ich dachte erst, ich hätte unwissenderweise eines dieser "Kinderspiele" gekauft, das aufgrund des Miniatur-Publikums eben keinen Anspruch besitzen darf.

Ich sagte ja, ich war nicht immer allzu clever.

Seit diesem verwirrenden Erlebnis haben Videospiele für mich auch andere Zwecke und Aufgaben. Der SNES-Titel, der in Europa übrigens erst im Januar 1998 erschien und damit im selben Jahr wie der 3D-Klassiker The Legend of Zelda: Ocarina of Time , entführte mich auf eine heruntergekommene Farm, die ich übernehmen und wieder hochwirtschaften sollte. Eigentlich auch ein klassisches Ziel und doch so vollkommen anders.

In der Ruhe liegt die Kraft

In Harvest Moon bin ich befreit von jeglichen Auflagen oder strikten Zielen. Die Rahmenhandlung, die vorsieht, dass ich als Fremder im Dorf nur dann auf der Farm bleiben darf, wenn ich nach 3 Jahren ein gewisses finanzielles Pensum erfüllt habe, verliert bald jede größere Relevanz. Zum einen kann ich sehr lange ungehemmt spielen, bis diese 3 Jahre wirklich um sind und zudem ist die Summe relativ niedrig gesetzt. Bald schon verliere ich diesen Aspekt aus dem Blickfeld und ich kümmere mich einfach ganz ungezwungen um meine Farm.

Angeln, statt eilen

Jegliche Motivation, die mich damals und auch heute durch den Farmer-Alltag führte, kam ganz aus mir selbst. Anstatt Aufregung und Anspannung fand ich hier Ruhe und Harmonie als Spielelemente vor, ich konnte frei entscheiden, wann ich was erledige. Mit der Hacke in der Hand bestelle ich vormittags ein bisschen das Feld, zum Mittag schaue ich dann bei den Hühnern vorbei, die allesamt mit eigenen Namen versehen sind und am Nachmittag gehe ich dann noch in den Wald, um ein paar Pilze zu pflücken.

In der Harvest Moon-Reihe – insgesamt habe ich wohl weitaus mehr Zeit mit Harvest Moon: Back to Nature , dem ersten PlayStation-Ableger verbracht – wird nicht die Arbeit eines Farmers simuliert, sondern sein Leben. Ich baue stets eine persönliche Bindung zu meiner Farm und meinen Tieren auf. Kühe sind beispielsweise nicht einfach nur milchgebende Euterwesen, sondern wollen auch gestriegelt und mit lieben Worten versehen werden. Ebenso kann ich mein Haustier, einen tapferen kleinen Hund, ganz ohne spielerischen Zweck knuddeln. Einfach nur weil es mein Haustier ist.

Come, Mister tally man, tally me banana

Anstatt den Fokus auf Ernteumsätze und Monatskalkulationen zu legen, wird der Arbeitsalltag zelebriert. So macht es auch nach 30 Tagen, wenn aus dem Frühling der Sommer geworden ist, noch immer Spaß mit der magisch aufgeladenen Edelmetall-Gießkanne das Feld zu bewässern. Es ist keine Pflicht, sondern eher eine selbstgewollte Pflege des eigenen Haushalts. Ich achte auf Details, nicht weil sie mir dann Geld bringen, sondern weil ich mich einfach nur dem Kitsch hingeben und dem gesunden Eskapismus frönen möchte.

Das Leben bei den Eiern packen

Wo heutige Farmsimulationen á la FarmVille  und Co. den Erfolg als fleißigen Bauernjüngling mit wirtschaftlicher Effizienz verwechseln, freue ich mich bei Harvest Moon im Gegenzug über einen unverhofften Regenschauer, der mir Freizeit schafft und ich in das naheliegende Dorf spazieren und mit den Einwohnern plaudern, ihnen Geschenke machen oder eben auch mit ihnen flirten kann. Ein Bauernjüngling muss schließlich nicht Jüngling bleiben, sondern kann eben auch eine Familie gründen. Auch solche Aspekte helfen Harvest Moon dabei ein Lebensgefühl zu simulieren, das mich aus den Fängen der digitalen Hektik reißt und mich trotz der allgemeinen Entschleunigung zu bewegen weiß.

Abends schaue ich dann in den Wetterbericht: Oh, es regnet!

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