Ich musste beim ersten Johnny Depp-Film seit 3 Jahren ständig an Amber Heard denken – ausgerechnet das machte ihn besser

18.05.2023 - 07:21 UhrVor 12 Monaten aktualisiert
Johnny Depp in Jeanne du Barry
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Johnny Depp in Jeanne du Barry
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Fluch der Karibik-Star Johnny Depp startet in Cannes sein Comeback mit dem Historienfilm Jeanne du Barry, aber die Gedanken an Amber Heard verändern die Filmerfahrung dramatisch.

"Johnny, ich liebe dich", schreit ein Gesicht in der Menge, Tränen stehen einer anderen im Auge, Männer wie Frauen beugen sich gefährlich weit über die Brüstung, um ein Foto von ihrem Star zu machen. Johnny Depp ist bei den Filmfestspielen in Cannes angekommen.

Der ehemalige Fluch der Karibik-Star spielt eine der Hauptrollen im französischen Historienkomödchen Jeanne du Barry, das als Eröffnungsfilm des Festivals auserkoren wurde. Das bedeutet: eine Gala-Premiere mit rotem Teppich, Blitzlichtgewitter und Fernsehübertragung. Das bedeutet: Hunderte Menschen, die vor laufender Kamera zur Standing Ovation ansetzen, als Depp und Regisseurin/Schauspielerin Maïwenn in den Saal laufen. Das bedeutet: ein "willkommen zurück", wie es sich ein skandalumwitterter Star nur wünschen kann.

Ich musste beim Screening von Jeanne du Barry trotzdem die ganze Zeit an seine Ex-Frau Amber Heard denken – und das machte den Film interessanter, als er es verdient.

Johnny Depp unternimmt mit Jeanne du Barry einen Comeback-Versuch

Jeanne du Barry ist Johnny Depps erster Film seit Minamata (2020). Im November 2020 wurde Depp nach Vorwürfen der häuslichen Gewalt aus der Produktion von Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen entlassen. Eine Zukunft als Jack Sparrow in einem weiteren Fluch der Karibik-Film schien ebenso unwahrscheinlich. Daraufhin verklagte Depp Amber Heard in einem Zivilprozess wegen Verleumdung. Die Jury erkannte ihm ein Anrecht auf 10 Millionen Dollar Schadenersatz zu, während Heard 2 Millionen Dollar wegen Verleumdung durch Depps Anwalt zugesprochen wurden. Nachdem Heard in Berufung ging, einigten sie sich auf einen Vergleich.

Schaut euch den Trailer für Jeanne du Barry an:

Jeanne du Barry - Trailer (Französisch) HD
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Der Ausgang des Prozesses wurde als Sieg für Depp gewertet, hinterließ wegen der widersprüchlichen Beweislage und intimen Details aber keinesfalls das Bild eines Stars mit weißer Weste. Als König Ludwig XV. unternimmt er nach dem Prozess den zweiten Schritt zur Rehabilitation.

Jeanne du Barry schafft es aus kleinen Verhältnissen an den Königshof

In einem schwerfälligen Prolog wird uns nahegebracht, wie Jeanne (Maïwenn) im Frankreich des 18. Jahrhunderts in kleine Verhältnisse hinein geboren wurde. Durch ihre Gelehrtheit und außerordentliche Schönheit stieg sie zur Kurtisane in den höchsten Kreisen der Pariser Gesellschaft auf. Dank Pläneschmiederei des Grafen du Barry (Melvil Poupaud) und des Duc de Richelieu (Filmlegende Pierre Richard) steht sie eines Tages im Spiegelsaal von Versailles, als der vom Leben gelangweilte König Ludwig XV. (Johnny Depp) ihrer gewahr wird. Beide heften die Augen aneinander, es ist Begehren auf den ersten Blick und wird sich in Liebe verwandeln.

Jeanne du Barry schenkt dem König als ständige Begleiterin neue Lust am Leben, während das Mädchen aus der Arbeiterklasse Luxus, Rituale und Ränkespiele des Palastlebens kennenlernt. Die Prinzessinnen sind nämlich gar nicht amüsiert über ihre Präsenz.

Privatleben und Rolle – Kann man das so einfach trennen?

Es mag Menschen geben, die das öffentliche Leben eines Schauspielenden ausklammern können, wenn sie einen Film schauen. Ich gehöre nicht dazu. Was nicht bedeutet, dass ich knapp zwei Stunden entrüstet im Kinosaal in Cannes saß. Aber Depps sehr öffentliche Auseinandersetzung mit Heard, ebenso wie ihre drastischen Vorwürfe häuslicher Gewalt, verändern meinen Blick auf seine Performance.

Jeanne du Barry

Genauso verhält es sich beim stunt-süchtigen Scientology-Werbefachmann Tom Cruise. Oder wenn ich Iron Man schaue und mich erinnere, wie lang und beschwerlich Robert Downey Jr.s Weg aus dem Drogensumpf war. Filme werden nicht im luftleeren Raum gedreht, Image und Biografie gehen Hand in Hand. Gerade bei Hollywood-Stars besitzt die Rollenwahl einen strategischen Zweck. Bei Jeanne du Barry ist dieser unübersehbar.

Wie Johnny Depps Privatleben seinen neuen Film verändert

Jeanne trifft eine Reihe von Männern, die sie auszunutzen versuchen, Johnny Depps König Ludwig XV. erscheint zwischen Kandelabern und schokoladenüberzogenen Erdbeeren wie der letzte ehrbare Mann in einer verdorbenen Welt.

Depp spielt einen Ludwig, der seine Jeanne treu gegen seine bösartigen Töchter verteidigt und einer der wenigen Menschen zwischen den gepuderten Perücken am Hof zu sein scheint. Und Depp ist gut in dieser Rolle. So zurückgenommen und leise spielt er auf, wie man es nach zig Fluch der Karibik-Filmen und Tim Burton-Maskeraden kaum erwarten konnte.

Die versteckten Blicke, das Lächeln, die traurigen Augen – Depp erzählt in Jeanne du Barry mit begrenzten Mitteln mehr über seinen König, als das oberflächliche Drehbuch hergibt. Das kann sich die meiste Zeit nicht entscheiden, ob Jeanne du Barry eine platte Satire höfischer Einfältigkeit oder ein ernstes Drama über eine Proto-Feministin sein will.

Jeanne du Barry

Tiefpunkt des Films: Du Barrys "Adoption" des afrikanischen Jungen Zamor, der später zu den faszinierenderen Figuren der Französischen Revolution gehören wird. In diesem Film darf er höchstens zwei, drei Sätze von sich geben und das in Szenen, die Jeanne und ihren Ludwig als Anti-Rassisten darstellen sollen.

Jeanne du Barry steckt voller undurchdachter Versuche, die Heldin als in ihren Ansichten noch heute haltbare Ikone zu stilisieren. Vor diesem Hintergrund erscheint das Casting Depps umso bizarrer. Schaut man Jeanne du Barry ohne dieses Vorwissen, sieht man womöglich eine um Witz und Prunk bemühte Dramödie ohne tiefere Einsichten in ihr zentrales Pärchen.

Schaut man ihn mit diesem Vorwissen, dann sieht man einem Mann dabei zu, wie er sich in mehreren Zyklen reinwaschen will. Cannes bot ihm dafür die größtmögliche Bühne – ausgeschmückt mit kreischenden Fans und Liebesbekundungen. Das ist eindeutig der interessantere, aber auch der verstörendere Film.

Jeanne du Barry hat noch keinen deutschen Starttermin.

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