Ich muss mich nicht mehr verstecken, ich habe Spiele

11.05.2015 - 15:50 Uhr
Freshman Year
Nina Freeman
Freshman Year
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Was bringt jemanden dazu, eigene Erinnerungen in Videospiele zu verwandeln? Diese Frage beantwortet Indie-Entwicklerin Nina Freeman auf dem diesjährigen AMAZE-Festival, auf dem sie erklärt, warum sie sich nicht länger versteckt.

Es gibt viele Gründe, warum wir Videospiele spielen und es gibt ebenso viele Gründe, warum manche sie entwickeln. Für viele sind sie eine Möglichkeit, sich vor der Welt zu verstecken und die Realität für ein paar kostbare Stunden zu vergessen. Für Nina Freeman  sind sie ein Weg, das Verstecken hinter sich zu lassen und Erinnerungen nicht nur aufzuarbeiten, sondern sie mit anderen Menschen zu teilen.

Freeman ist der kreative Kopf hinter kleinen Spielen wie dem Barbiepuppen-Sex-Simulator How Do You Do It , der durch ihre kindliche Reaktion auf die Sex-Szene in Titanic entstand, und Freshman Year , in dem sie einen sexuellen Übergriff verarbeitet.

Ihre Spiele sind Vignetten, kurze Momentaufnahmen emotionaler oder komplizierter Erinnerungen aus ihrem Leben, die mal mehr und mal weniger ernst ausfallen, sich allerdings oft um das Thema Sex drehen. Verantwortlich dafür dürfte sein, dass Sex im Haus ihrer Eltern sowie allgemein der amerikanischen Kultur ein Tabu-Thema ist – besonders für Mädchen.

How Do You Do It

Statt also mit ihrer Mutter über die verwirrende "Wolken-Szene" in Titanic zu sprechen, versuchte sie als kleines Mädchen stattdessen selbst mit ihren Puppen herauszufinden, wie “erwachsene Umarmungen” funktionieren und verarbeitete das später in einem Spiel. So wollte sie die Verwirrung und Ehrlichkeit der Erinnerung nicht nur aufarbeiten, sondern vor allem anderen zugänglich machen – unter anderem ihren Eltern.

“Sie mochten [das Spiel] nicht”, erklärt Freeman mit einem Lachen während ihres Vortrags I don’t need to hide anymore, I have games  auf dem diesjährigen AMAZE-Festival  in Berlin. Als ich später persönlich mit ihr sprechen konnte, erzählte sie mir, dass sie sich nicht mit der Intention “Oh, ich mache heute noch ein Spiel über Sex!” hinsetzt, sondern dass es lediglich ein Thema ist, mit dem sie viele komplizierte Erinnerungen verbindet.

Meine Spiele stammen von Dingen, bei denen ich dazu gedrängt wurde, nicht über sie zu reden als ich jünger war. Sex ist ein großes [Thema], es ist ein großer Teil des Lebens.

Auch ihr neuestes Projekt dreht sich wieder um dieses Thema, genauer gesagt um ihr erstes Mal. In Cibele  schlüpft ihr in die Haut einer jungen Frau, die über ein MMO einen jungen Mann kennenlernt. Die beiden kommen sich über Telefonate, gemeinsame Spielsessions und Chatnachrichten immer näher, bis sie beschließen, sich im echten Leben zu treffen und miteinander zu schlafen. Bevor sie sich versehen kann, ist er aus ihrem Leben verschwunden.

Computer im Computer in Cibele

Im Gespräch erzählt sie mir, wie normal die Situation heute ist, jemanden über das Internet zu treffen und Sex mit ihm zu haben. Vor ein paar Jahren sah das allerdings noch ganz anders aus. Die Idee zu Cibele verfolgt sie schon seit Jahren. Normalerweise ist es ihre Art, viele kleine Spiele schnell zu machen, dieses Mal ist es jedoch anders.

Cibele ist die eine Idee, die ich immer hatte und die ich nicht an einem Wochenende herauswerfen wollte – auch wenn einige dieser Wochenendprojekte wirklich kostbar sind, wie How Do You Do It.

Jeder Künstler, egal ob Game Designer, Autor, Filmemacher oder Maler, hat bestimmte Projekte, die ihr oder ihm mehr am Herzen liegen als andere. Die sie unter allen Umständen richtig machen wollen und vor denen sie sich deshalb scheuen.

Cibele ist eines dieser Spiele für Nina Freeman. Sie sammelte Ideen, die sie darin verarbeiten will, um so ihr bisher größtes Spiel zu schaffen, das sie beschäftigt, seit sie angefangen hat, Gedichte zu schreiben.

Es ist noch immer interessant, also glaube ich, dass es Sinn ergibt, dass ich mit [dem Entwickeln von] Videospielen angefangen habe. Ich glaube, es ist das perfekte Medium für diese Geschichte.

Neben Cibele arbeitet Nina Freeman momentan außerdem an Tacoma , dem neuen Titel von Fullbright Company, die sich mit Gone Home  einen Namen machten. Obwohl sie gewohnt ist, im Team zu arbeiten, ist es dennoch eine völlig neue Herausforderung: Science-Fiction statt kathartischen Spielen über ihr eigenes Leben.

Tacoma

Freemans eigene Spiele sind sehr persönlich und viele Entwickler würden davor zurückschrecken, sich so angreifbar zu machen und die intimsten ihrer Gefühle so offen zu legen, dass die ganze Welt sie nicht nur sehen, sogar erleben kann. Dieser Ängste ist sich Freeman mehr als bewusst, für sie überwiegt allerdings das Bedürfnis, durch ihre Spiele eine Verbindung zu Anderen aufzubauen. Sie kann und will sich nicht länger verstecken.

Verstecken, vor sich selbst, vor den Streitereien ihrer Eltern, vor anderen, ist ein Thema, das sich durch viele ihrer Arbeiten zieht. Bevor sie während einer damals noch nicht diagnostizierten, nicht heilbaren Krankheit dazu kam, selbst Spiele zu entwickeln, schrieb sie Gedichte, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Obwohl sie diese Gedichte vor allem für sich selbst schrieb, waren auch sie ein Weg, ihre Angst sich auszudrücken hinter sich zu lassen. Basierend auf ihnen entstanden ihre ersten Spiele.

Ich habe mich so lange krank und allein gefühlt. Ich wollte nicht länger alleine sein, mich verstecken. Ich wollte nicht an meiner Krankheit eingehen. Ich wollte, dass Menschen mich sehen und ich wollte, dass sie mich durch diese Spiele sehen. Dass sie durch diese Spiele in mich hineinschlüpfen und mich so besser verstehen.

Durch ihre Spiele lernte sie, dass sie alles andere als allein ist und dass viele Spieler durch ähnliche Momente gingen. Es verschafft ihr persönliche Erfüllung, andere dabei zu beobachten, ihre Erinnerungen zu erleben und ermutigt sie dazu, mehr von ihnen und somit von sich zu teilen.

Einst war da eine junge Nina, die sich auf den Dachboden versteckte, in einem Computerzimmer versteckte, mit einer Krankheit versteckte. Nun gibt es eine Nina, die frei lebt, die Spiele macht, mit denen sich Menschen verbunden fühlen. Menschen hören mir zu und ich muss mich nicht länger verstecken.

Es gibt viele Gründe, warum wir Videospiele spielen und es gibt ebenso viele Gründe, warum Entwickler sie machen. Für Nina Freeman sind sie eine Möglichkeit frei zu leben und sich nicht mehr verstecken zu müssen.

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