Ich, Silent Hill: The Room & spielbarer Voyeurismus

27.10.2015 - 17:01 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Silent Hill: The Room
Konami
Silent Hill: The Room
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Das Spiel, das ich euch heute vorstelle, dürfte wohl einen der schlechtesten Metacritic-Scores auf die Waage bringen, den unsere Klassiker-Reihe bisher gesehen hat. Doch im Grunde wurde Silent Hill: The Room von vielen missverstanden — auch von mir.

Im Jahre 2004 war alles noch ein wenig einfacher: Mit 60 Euro bewaffnet besuchte ich regelmäßig den Elektrofachhändler im Nachbardorf und suchte mir ein Spiel heraus, dessen Packung und Klappentext vielversprechend klang. Kein Metacritic-Score, kein Wertungsspiegel, keine beratende WhatsApp-Gruppe — nur ich, ein Geldbündel und mein Bauchgefühl. So griff ich eines Tages auch nach Silent Hill 4: The Room, schloss mich nach meiner Heimkehr in mein Kinderzimmer ein und wurde schließlich Zeuge der tragischen Geschichte von Henry Townshend.

Der Beginn unseres Abenteuers.

Spielbare Soziopathie

"Wo sind die Bossgegner??", "Völlig verwaschene Steuerung!!" und "Die Level unterscheiden sich kaum?!" riefen die Kritiker von ihren Türmen herab, als sich Silent Hill 4: The Room vor elf Jahren der Fachpresse stellte. Es war das erste Spiel des Franchises, das nicht im namensgebenden Städtchen, sondern zu großen Teilen in einem Appartement spielte. Von dort aus unternimmt Henry Townshend seine regelmäßigen Ausflüge in die düstere Spielwelt, die sich mit jeder Faser ihrer Existenz gegen ihn stellt. Unser Held ist dort draußen nicht willkommen.

Die Kämpfe sind schwer, fast unfair — und das ist so gewollt.

Alternativ bleibt ihm nur die Einsamkeit seines Appartements, das er aus ominösen Gründen nicht mehr verlassen kann: Die Tür ist von ihnen verriegelt, die Fenster lassen keinen Laut nach außen dringen — und nur ein Loch in der Wand des Badezimmers gewährt ihm kurze Ausflüge in eine Außenwelt, die ihn mit überstarken, teils unsterblichen Gegnern und einer furchtbar unfreundlichen Inventarstruktur herausfordert. Schon nach kurzer Zeit verliert der Spieler jegliche Lust daran, das Appartement zu verlassen. Silent Hill: The Room ist ein spielbar gewordenes Kapitel über Soziopathie — mit nur einem Ausweg.

Voyeuristische Verlockungen

Irgendwann entdeckt Henry ein weiteres Loch in seiner Zimmerwand, weitaus kleiner als die große Röhre im Bad, die nach draußen führt. Neugierig blickt er hindurch und erspäht eine junge Frau im Nachbarzimmer, die sich auf dem Bett räkelt: Ein unerwarteter Anblick im Herzen des eintönigen Zimmers und ein farbenfroher Kontrast zur feindseligen Außenwelt. Auf einmal wird das Spähen durch die Öffnung zum Teil unserer Spiel-Routine: Wir füllen unser Inventar, kämpfen uns durch die Außenwelt, kehren in das Appartement zurück und schauen, was die Nachbarin so treibt.

Surreal ist die Bestrafung unseres Voyeurismus.

Das Spiel lässt uns völlig frei, diesem Voyeurismus nachzugehen — aber konfrontiert uns im späteren Verlauf mit geballter surrealer Kraft mit diesem Verhalten. Die gezielt eingeschränkten Möglichkeiten zur Interaktion mit der Spielwelt, die Kritikern missfielen, machten uns zum Voyeur, zum empathischen Gegenpol von Henry Townshend. Das ist nur einer der Momente, in denen ich schon als Teenager merkte, wie unterschwellig Silent Hill: The Room mein Spielverhalten beeinflusste und mich immer wieder in bestimmte Bahnen lenkte. Etwas ähnliches konnte mir damals kein anderes Spiel bieten.

Das Nachspiel

Silent Hill: The Room beeindruckte mein Teenager-Hirn: Zum ersten Mal wurde mir klar, dass eine Spielwelt auch dann mitreißende Geschichten erzählen kann, wenn sie im Kern nicht viel größer als 16m² ist. Das Abenteuer von Henry Townshend insprierte mich zur Teilnahme am Schreibwettbewerb meiner Schule, den ich mit einer fiktiven Vorgeschichte zu Silent Hill: The Room tatsächlich gewinnen konnte. Damit erinnert mich bis heute der Buchpreis, der irgendwo daheim verstaubt, an dieses Spiel und hat es für mich zu einem echten Klassiker erhoben.

Oder kurz gesagt: Schert euch nicht um den Metascore.

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