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Ich und der Verfall der Erinnerungen

14.10.2014 - 12:00 Uhr
It's all falling apart...
Highlight/Constantin
It's all falling apart...
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Von "Eternal Sunshine of the Spotless Mind", dem Schmerz einer Trennung und dem Wunsch nach Vergessen:

Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne nicht wie einen Stachel, sondern wie ein kostbares Geschenk in sich.

- Dietrich Bonhoeffer


Vergiss mein nicht! – Joel (Jim Carrey) und Clementine (Kate Winslet) trennen sich. Sie hatten einmal eine wunderschöne Zeit. Joel erträgt die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit nicht mehr. Er entschließt sich, seine Erinnerungen von einem auf das Beseitigen bestimmter Erinnerungen spezialisierte Unternehmen durch eine spezielle Behandlungsmethode für immer aus seinem Kopf löschen zu lassen. Er legt sich ins Bett. Gleich kommen sie, die Experten, um ihn an ein Gerät anzuschließen, welches seine Erinnerungen für immer löschen soll. Er schluckt eine Schlaftablette und schläft ein.

Joels Erinnerungen an Clementine und die gemeinsame Zeit brechen zusammen. Er flieht vor der Auslöschung seines Gedächtnisses, sein Unterbewusstsein versucht mit allen Mitteln die Erinnerung an Clementine nicht zu verlieren, versucht sie in anderen Erinnerungen zu verstecken. Zu spät bemerkt er, dass er die Erinnerungen an die schönen Zeiten mit ihr behalten, sie gar nicht für immer aus seinem Kopf löschen möchte.

"Bitte, lasst mich wenigstens noch diese eine Erinnerung behalten!"

Diese eine Szene, die mich meine Einstellungen zum Leben, zur Liebe und zu meinen Erinnerungen überdenken ließ...

Heimlich schleichen sich Clementine und Joel in seinen Erinnerungen in ein Haus direkt am Strand, dessen Besitzer zurzeit nicht da sind. Ein spannendes Abenteuer, eine Aussicht auf einen romantischen Abend. Doch Joel fühlt sich, im Gegensatz zu Clementine, nicht wohl dabei, in ein fremdes Haus einzudringen.

Das Haus bricht langsam zusammen, Teile des Daches und der Wände stürzen ein, ein langsamer, stetiger Zerfall - metaphorisch - genau wie seine Erinnerungen an Clementine. Joel dreht sich um. Clementine ist nicht mehr zu sehen. Nur ihre Stimme ist noch zu vernehmen.

"Ich wünschte du wärst geblieben." - "Ich wünschte mir auch, ich wär' geblieben. Jetzt wünschte ich mir auch ich wär' geblieben. Oh Gott! Ich wünschte, ich wär' geblieben" - "Als ich runterkam, da warst du weg." - "Ich bin gegangen, ich hatte Angst, wie ein kleines Kind."

Joel rennt hinaus, in Richtung Meer.

"Joely? Und wenn du dieses Mal bleibst?"

Joel dreht sich um.

"Ich bin doch zur Tür rausgegangen. Dazu gibt es keine Erinnerungen." - "Komm zurück und wir erfinden einen Abschied. Wir tun so, als hätte es einen gegeben."

Sie laufen aufeinander zu. Bleiben voreinander stehen. Joel fällt auf die Knie.

"Wiedersehen Joel!" -  "Ich liebe dich!"

Ein letzter Kuss.

"Wir treffen uns in..."

Das Bild verschwimmt. Die Erinnerung ist für immer verloren.


"Love is a fog, that burns with the first daylight of reality."

- Charles Bukowski


Es gab eine Zeit in meinem Leben, wo ich, gerade getrennt von einer sehr langen, herzlichen und innigen Beziehung, genau das versuchte – ja wünschte, herbeisehnte – was Joel in "Eternal Sunshine of the Spotless Mind" wahr machte. Allerdings befand ich mich in keinem Science-Fiction-Film, sondern in der Realität.

Ich begann mich in den Alkohol zu flüchten, wurde von dunklen Monstern, von Alpträumen, bei Tag und bei Nacht, von Depressionen zerfleischt. Der Alkohol sollte meine Gefühle, meine Trauer lähmen und meine Erinnerungen löschen.

Der Schmerz, der jedes Mal aufkam, wenn ich die Straße entlang lief, die wir früher immer gemeinsam entlang gingen, wenn ich an den Orten vorbeikam, die wir gemeinsam besuchten, wenn auch nur die geringste Kleinigkeit, ein Wort, ein Klang, ein Geruch, mich an sie erinnerte und meinem Körper einen heftigen, schmerzenden Stromschlag verlieh – der Schmerz, er verfolgte mich, krallte sich mit scharfen Klauen in meinen Leib und ließ mich nicht mehr los.

Wenn sich die Erinnerungen an die schönen Zeiten, die gemeinsamen Abende und die geteilten Erlebnisse bemerkbar machten und wie eine Seifenblase am kalten Messer der Realität zersprangen, wünschte ich mir, sie nie erlebt zu haben, sie für immer aus meinem Kopf zu löschen.

Ihr Gesicht war überall, ihr Duft war noch immer in der Wohnung und kroch hier und da wie ein Geist aus allen Ecken und Winkeln in meine Nase. Ihr herzhaftes Lachen und ihr wundervoller, entzückender und fröhlicher Gesang waren noch immer in den Wänden gefangen. Ich konnte ihn in der Stille nur zu gut hören. Schemenhaft, aber er war da – nur für mich hörbar.

Nicht auszuhalten. Nicht mehr tragbar. Der Schmerz, das Leid. Nicht zu ertragen.

Ich flüchtete. Ich lief durch die zu meiner Stimmung passenden, grauen und verregneten Straßen. Im Ohr Johnny Cash mit "I Still Miss Someone" – wenn schon, dann richtig. Die Chancen, dass mich die Dunkelheit losließ, waren eh gen Null gesunken. Sich nicht aufgeben, am Leben bleiben, koste es, was es wolle. Es ausbaden, in Zynismus ertränken. Gefangen in einer Steinwüste. Es gab nicht die leiseste Chance mich erheitern zu lassen. Es gab nur einen Weg. Einen Weg, den ich von nun an alleine gehen musste. Die Richtung – bergab.

Ihr neuer Freund hatte Sex mit ihr vor meinem inneren Auge. Tag für Tag, Stunde für Stunde. Die Eifersucht brannte wie tausend Höllenfeuer. Sie fraß mich von Innen auf. Ließ mich gerade so viel leiden, dass ein Leben im Sparbetrieb noch irgendwie möglich war, drängte mich in jede Ecke, an jede Wand, stellte sich triumphierend auf meinen am Boden liegenden Kopf und zog mir die Haut, langsam und genüsslich, bei lebendigem Leib herunter.

Es gab keine Ablenkung. Keine Gefühlspause. Kein Versteck. kein Entkommen. Schlafen und träumen, wach sein, leiden – es war alles das gleiche.

Sie in den Armen halten, ein letztes Mal, sie küssen, ein letztes Mal – ihren warmen Atem auf meiner Haut spüren. Der Wunsch vermischte sich mit Traum und Realität und wurde immer wieder von neuem im Keim erstickt. Zerbarst an einer kalten Betonmauer der Wirklichkeit.

So vergingen die Tage, die Monate, ja sogar Jahre.

Doch eines Tages sah ich diesen Film. "Eternal Sunshine of the Spotless Mind". Ich fand mich darin wieder. Plötzlich wollte ich meine Erinnerungen behalten. Die Geschichte imponierte mir, beeindruckte und berührte mich. Ließ mich hoffen. Lehrte mich, die schönen Erinnerungen wie einen wertvollen Schatz in meinem Herzen zu tragen, sie nicht von inneren Dämonen dazu missbrauchen zu lassen, sie gegen mich zu verwenden und in den Dreck zu ziehen – mein Herz wieder zu öffnen.

Ein Licht am Ende des Tunnels, zuvor Lichtjahre entfernt. Etwas Neues wagen. Eine neue Liebe. Ein neuer Anfang. Neue Erinnerungen, neue Plätze, neue Straßen, eine neue Stimme, ein neuer Duft. Was zuvor in einem schwarzen Gewand umherlief, war nun frei. Guten Morgen Leidenschaft. Schön, dich wieder zu sehen, du warst so lange fort. Zärtlichkeiten, Glück und Geborgenheit – wie ein zauberhaftes Funkeln oder der erste leuchtende Sonnenschein im Frühling.

Wenn du eine schöne Zeit hast, genieße sie, denn sie wird nie wieder kommen.

Menschen verändern sich. Die Welt verändert sich und man verändert sich ebenso selbst. Manchmal dauert es aber, bis man es begriffen hat – bis man es angenommen hat. Gib deine Erinnerungen niemals her. Bewahre sie wie deinen wertvollsten Schatz – in der Tiefe deines Herzens!


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