Ich, Vampire: The Masquerade - Bloodlines & Böses Blut

03.02.2015 - 10:30 Uhr
Vampire: The Masquerade – Bloodlines
Activision
Vampire: The Masquerade – Bloodlines
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Für einen eingeschworenen Kreis zählt Vampire: The Masquerade – Bloodlines seit Jahren zu den besten Rollenspielen. Schwelgt mit mir zusammen in Erinnerungen oder lasst euch dazu animieren, diesen Klassiker einmal selbst erleben zu wollen.

Wir schreiben den Februar des Jahres 2005 – als Vampire noch etwas schauriges, mythisches, gar lüsternes umgab und die Blutsauger nicht von einer US-amerikanischen Mormonin zugunsten ihrer reaktionären Keuschheitsphantasien vor den Augen der breiten Öffentlichkeit instrumentalisiert wurden. Zu dieser Zeit kam ich mit einem Spiel in Berührung, an das ich auch heute noch mit einem wohligen Gefühl zurückdenke. Vorhang auf für Vampire: The Masquerade – Bloodlines .

Blutsauger mit Profil

Bloodlines porträtiert die Kainskinder von Los Angeles, dem Schauplatz des Spiels, gemäß der Pen & Paper-Vorlage als vielschichtige Parallelgesellschaft, die verborgen vor den Augen der Allgemeinheit existiert. Während die Camarilla, eine hierarchisch strukturierte Sekte, dafür eintritt, die Maskerade zu wahren, die Existenz von Vampiren vor Menschen geheim zu halten, frönen Anhänger des Sabbats ihrer animalischen Natur und streben nach der Herrschaft über die Normalsterblichen. Die Anarchen wiederum, die dritte Gruppierung, die in Bloodlines eine tragende Rolle spielt, lehnen die Idee der Maskerade zwar nicht grundsätzlich ab, verabscheuen allerdings das Camarilla-Establishment. Aus diesem Gefüge konkurrierender Ideologien entspinnt sich ein Geflecht aus Konflikten, Intrigen sowie Wendungen, in welchem ich zum Spielball der Mächtigen zu werden drohe.

Vampire: The Masquerade – Bloodlines

Wahnsinnige Ambitionen

Doch von alledem weiß ich noch nichts, als ich vom Spiel mit einem Charakterbogen begrüßt und angehalten werde, mich für einen von sieben Clans zu entscheiden. „Moment, wovon spricht er gerade?“, werden nun einige fragen. Bei Clans handelt es sich um Kainitengruppierungen, die jeweils eine spezielle Blutlinie eint und die sich daher gewisse Charakteristika sowie Kräfte teilen. In besonderem Maße möchte ich die Nosferatu beziehungsweise Malkavianer hervorheben, da sie den hohen Anspruch verdeutlichen, mit dem Entwickler Troika Games Vampire: The Masquerade – Bloodlines konzipierte.

Nosferatu sind vom Blute Kains entstelle Kreaturen, kaum fähig dazu, sich unter Menschen aufzuhalten. Bloodlines trägt diesem Sachverhalt Rechnung, indem es sie als eine Art von Stealth-Klasse anlegt, die äußerst effizient in Computersysteme eindringt und sich über ein Kanalsystem fortbewegen, da ihre Erscheinung unter Passanten häufig Panik auslöst. Selbst questrelevante Figuren reagieren auf ihr Äußeres, weshalb ich mir in manchen Fällen alternative Lösungswege erschließen muss. Malkavianer hören indes Erkenntnisse ihrer Artgenossen als Stimmen in ihren Köpfen. Dadurch erlangen sie zwar oftmals Wissen in Bezug auf ihr Gegenüber, durchschauen zum Beispiel dessen Wesen auf Anhieb, verfallen allerdings auch dem Wahnsinn. Worin sich diese Geisteskrankheit äußert, erfahre ich schon im Zuge meines ersten Gespräches.

Vampire: The Masquerade – Bloodlines

Nach einer unkonventionellen Begrüßung in den Reihen der Camarilla treffe ich auf Jack, der mir vorschlägt, mich in die Grundlagen des Vampirseins einzuweisen. Der Blutsauger von nebenan stimmt nun entweder schlicht zu oder lehnt ab. Ich jedoch erwidere: „Der Regen der Zeitalter will wieder die Erkenntnis fortwaschen.“. Aus jeder Zeile trieft der Irrsinn, der später noch zu unvergesslichen Situationen führen wird. So streite ich in Downtown mit einem STOP-Schild oder plaudere irgendwann mit einem Fernseher beziehungsweise dem Nachrichtensprecher darin. Ohnehin zählt Bloodlines zum Bestgeschriebenen, was ich bisher – medienübergreifend – erleben durfte. Eingeweihte wissen, worauf ich anspiele, wenn ich die Voerman-Schwestern erwähne, alle anderen sollten das als Aufforderung verstehen, diesen Klassiker nach dem Lesen des Artikels umgehend nachzuholen.

Charakterschwein

Wie es sich für ein Rollenspiel der alten Schule gehört, bietet mir Vampire: The Masquerade – Bloodlines vielfältige Möglichkeiten, meinen Protagonisten über das Steigern von Attributs- sowie Fähigkeitspunkten zu verbessern. Wobei dies nicht nur dem reinen Selbstzweck dient, einen höheren Level zu erreichen, um gegen mächtiger werdende Gegenspieler zu bestehen. Schlüpfe ich in die Haut eines Verführers, der mit seiner scharfen Zunge ebenso gewandt umgeht wie mit dem Katana? Oder verschüchtere ich meine Gesprächspartner durch den Einsatz meiner muskulösen Gestalt, während ich im Ernstfall lieber meine Schrotflinte sprechen lasse? Vielleicht bevorzuge ich es auch, in den Schatten zu weilen, Schlösser zu knacken sowie Computer zu hacken, um so an wichtige Informationen zu gelangen? Vampire 2 eröffnet mir zahlreiche Möglichkeiten, mich stärker mit meiner Rolle zu identifizieren, da ich sie nach meinen Vorstellungen ausgestalte und sich meine Punkteverteilung im Spielgeschehen widerspiegelt. Setze ich auf meine sozialen Kompetenzen, schalte ich neue Dialogoptionen frei, bin ich im Umgang mit Dietrich und Tastatur geübt, eröffnen sich mir neue Wege – eine spielerische Freiheit, die ich in ihrer Konsequenz in den schier endlosen Weiten moderner RPGs oftmals vergeblich suche.

Geschichten, die das ewige Leben schreibt

Zwar wartet schon allein die Haupthandlung von Vampire: The Masquerade – Bloodlines mit Szenen und Abschnitten auf, an die ganze Spielereihen mit zahllosen Ablegern nicht im Ansatz heranreichen, doch die Nebenaufträge verleihen dem Titel die nötige Substanz, um mich seit nunmehr einer Dekade nicht mehr loszulassen. Die Geschichten am Wegesrand führen mir immer wieder vor Augen, dass ich mich in einer Stadt befinde, die es wert ist, erkundet zu werden, die mich nicht mit Sammelitems und stetig wachsenden Statistiken in ihre entferntesten Winkel lockt, sondern mit dem Versprechen, etwas zu erleben, an das ich mich noch nach Jahren gerne erinnere.

Vampire: The Masquerade – Bloodlines

Ich dringe beispielsweise einmal ins Krankenhaus von Santa Monica ein, eigentlich auf der Suche nach einer Blutkonserve. In einem Behandlungszimmer finde ich stattdessen eine junge, sich vor Schmerzen windende Frau namens Heather. Nun obliegt es mir, wie ich mich in dieser Situation verhalte. Rücksichtslose Naturen überlassen die Dame einfach ihrem Schicksal. Ich hingegen suche zuerst nach einem Arzt, der sich jedoch wenig hilfsbereit zeigt. Also entscheide ich mich, Heather mit meinem Blut zu nähren, wodurch sie umgehend Linderung erfährt. Nach einigen Spielstunden sucht sie mich voller Dankbarkeit auf, will sich in meine Dienste stellen. Fortan wartet sie in meinem Unterschlupf auf mich und hilft mir, indem sie einen fleischigen Durstlöscher in meine Wohnung lockt. Den arroganten Weißkittel strafe ich übrigens dadurch, dass ich auf seinem Arbeitsrechner kompromittierende E-Mails entdecke, dank denen ich ihm das Mark aus den Knochen sauge (pun intended). Ein Happy End der Marke Vampire.

Zwischen Albtraumfabriken und nihilistischen Gotteshäusern

Aber Vampire 2 entfaltet seine durchdringende Wirkung letztlich nur, weil es sich traut, jede noch so dunkle Ecke der Spielwelt auszuleuchten. Angefangen beim heruntergekommenen Ocean House Hotel, in dem ich ein grausiges Familiendrama enthülle, während mir ein Poltergeist einen Schrecken nach dem anderen einjagt über okkulte Sekten, die vor Menschenopfern nicht zurückschrecken bis zu den Schattenseiten der Traumfabrik, wo ich den Machern eines Snuff-Videos auf die Schliche komme. All diese Elemente tragen dazu bei, dass ich spüre, wie die Welt atmet, Blut kotzt und Koks vom versifften Toilettendeckel eines Nachtclubs schnupft.

Vampire: The Masquerade – Bloodlines

Am Ende von Vampire: The Masquerade – Bloodlines sitzt ein Vampir auf den Hügeln der Stadt, blickt auf sie herab wie ein Theaterzuschauer, der das Treiben auf der Bühne von seiner Empore aus beobachtet. Er erfreut sich, ebenso wie ich, an dem Schauspiel, der großartigen Inszenierung, die soeben ihren Höhepunkt fand.

Der Vorhang schließt sich.

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