Ich will Dogmeat töten

27.11.2015 - 16:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Fallout 4
Bethesda
Fallout 4
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Dogmeat, der Hund aus dem Fallout-Universum, ist nur der neuste Sprößling in der riesigen Familie der unsterblichen Begleiter in Videospielen. Aber warum scheint der Lebensbalken der NPC häufig unendlich weit zu reichen? Und ist das wirklich immer der zuverlässigste Weg zum Spielspaß?

Ich will Dogmeat töten.

Ich schiebe diesen Gedanken durch meine Hirnwindungen, während ich vor mir den Kampf des Tieres gegen einen Glitch beobachte: Die Hinterläufe von Dogmeat sind unter die Oberfläche des Ödlandes gerutscht, während die Vorderbeine wild in der Luft umher rudern und mich dabei zwei Hundeaugen treudoof ansehen. Ich kann diesen Fehler im Spielcode einfach nicht ignorieren, ich muss ihn korrigieren.

Ja, ich will Dogmeat töten. Aber Bethesda lässt mich nicht, denn der Hund ist unsterblich.

Dogmeat, der unsterbliche, beste Freund des Menschen.

Der in meinem Spieldurchlauf glitch-geplagte Rüde ist der neuste Sprößling in der riesigen Familie der unsterblichen Begleiter in Videospielen: In den offenen Welten scheint die virtuelle Sterblichkeit an unseren Gefährten abzuprallen. Wieso aber ist das so? Welche Einflüsse haben den verantwortlichen Designer eines Tages dazu gebracht, im Wochen-Meeting vor versammelter Runde vorzuschlagen, alle Fallout-Begleiter einfach unsterblich zu machen ? Und muss das wirklich bis zum letzten Tag der Videospiele so bleiben?

Bitte nicht.

Selbstverständlich unsterblich

Wenige Stunden nachdem ich Dogmeat machtlos seinem endlosen Kampf gegen den Glitch überlassen musste, lernte ich Preston Garvey kennen: Dieser Mann mittleren Alters stellte sich mir als letzter Überlebender einer idealistischen "Wir helfen allen, die Hilfe brauchen!"-Bande vor, die sich schließlich vor Jahren in alle Winde verstreut hatte. Er bittet uns, ihm beim erneuten Aufbau dieser "Minutemen" zu helfen. Ich und meine Heldin Victoria  hatten allerdings andere Pläne und so lockten wir Garvey eines Abends unter einem Vorwand in das Ödland, um ihm dort aus nächster Nähe hinzurichten.

Die Dramaturgie, die für mich kein Quest-Designer in diesem Moment hätte besser konzipieren können, erreichte ihren Höhepunkt: Die Patronen drangen mit einem schmatzenden Geräusch in die Hautschichten des Minuteman ein, Blut spritzte nach allen Seiten. Statt allerdings einen Todesschrei zu hören, wandte sich Garvey väterlich grinsend zu mir um.

"Pass bitte auf, wohin du mit deiner Waffe zielst!"

Unsterblich. Natürlich.

Preston Garvey will die Minutemen wieder aufbauen — hindern dürfen wir ihn nicht.

Auch wenn es eine radikale Stimme in mein Ohr anders will: Ich kann die Unsterblichkeit von Charakteren wie Vesemir, Chumbucket oder Sully akzeptieren. Sie sind unverzichtbare Bestandteile ihrer Welt und dem Hauptcharakter gewissermaßen gleichgestellt. Den Zeitpunkt ihres Todes übergebe ich mit gutem Gewissen den Entwicklern, die ihn als Stilelement der Dramaturgie zu einem selbstgewählten Zeitpunkt opfern können — über den Lebensbalken vergleichsweise blasser Charakte wie aus dem Bethesda-Universum will ich allerdings die volle Kontrolle haben.

Und das wäre auch nur im Sinne der Überzeugungskraft einer Spielwelt: Die Unsterblichkeit der meisten Begleiter ergibt keinen Sinn. Es ist ein bewusster Bruch mit dem Storytelling und schmeißt die Immersion regelmäßig über den Haufen, die in etlichen Spielstunden mit viel Zeit und Budget mühsam aufgebaut wurde — und das nervt mich sehr.

Chumbucket ist der Begleiter von Mad Max: Spielmechanisch nützlich und daher ebenfalls unsterblich.

Stattdessen wird die Glaubwürdigkeit und (An-)Spannung der Geschichte auf dem Altar des Spielflusses geopfert: Erreichen Begleiter in Fallout 4 einen kritischen Zustand, gehen sie auf die Knie – und warten, bis ihr ihnen wieder aufgeholfen hat. Damit wird die Feuerkraft des Verbündeten vorübergehend aus dem Spiel genommen und ihr spielmechanisch für unüberlegtes Vorgehen oder einen strategischen Fehler bestraft.

Kein Mut zur Sterblichkeit

Dabei scheint vor allem in einem Spiel von Bethesda die Unsterblichkeit der Begleiter eigentlich seine Berechtigung zu haben: Die oft hakelige Steuerung und hohe Glitch-Dichte, für die das Team mittlerweile berüchtigt ist, lässt immer wieder euch oder eure Gefährten an unsichtbaren Stolperfallen scheitern — ein Unfall, der ohne passenden Speicherstand zum unmittelbaren Ableben des NPCs führen würde. Diesen Frust, der nur durch einen Patch, nicht aber unsere eigenen Fähigkeiten vermieden werden kann, möchte wohl kein Spieler erleben.

Bethesda ist berüchtigt für Glitches, die irgendwie auch zum Charme ihrer Spiele gehören.

Dennoch werden die spannendsten Geschichten in offenen Spielwelten nicht selten von uns selbst geschrieben — und die Möglichkeit zum virtuellen Bildschirmtod sind ein wesentlicher Bestandteil dieser selbst kreierten Magic Moments.

Mein Kollege Hannes beispielsweise erzählte mir mit feuchten Augen folgende Geschichte, als ich ihn auf das Thema dieses Artikels ansprach:

In Skyrim hatte ich einen Begleiter, den ich wirklich 20 oder 30 Stunden an meiner Seite hatte. Irgendwann hatte ich dann angefangen, ihm legendäre Waffen und Rüstungsteile anzuziehen, die über die Maßen wertvoll waren, ich aber nicht nutzen konnte. Er war ein richtig herausgeputzter Bursche, der ziemlich schlagkräftig war. Eines Tages war ich mal in gigantischen, unterirdischen Höhle, die sehr weitläufig war. Irgendwo in dieser großen Fläche ist er gestorben und ich habe es nicht gemerkt. Der Spielstand war überschrieben und auch das Warten an bestimmten Orten half nicht, er kam nicht wieder. Nach der Trauerphase habe ich die Höhle dann noch stundenlang abgesucht, weil ich seine Leiche bergen wollte. Die habe ich aber nie gefunden. Noch heute liegt irgendwo ein Krieger in einer Höhle, der mit Waffen und Rüstungsteilen ausgerüstet ist, die im Wert und ihrer Macht kaum zu schätzen sind. Immer wieder ging ich auf Schatzsuche, aber ich habe ihn nie gefunden.

Eine fantastische Geschichte, die in der Welt von Fallout 4 so nicht möglich ist. Und je weitläufiger die Grenzen der offenen Spielwelten werden, desto mehr scheint der Mut der Entwickler zu schwinden, die hunderten Arbeitsstunden ihrer Autoren für Magic Moments außerhalb ihres Kontrollbereichs zu opfern, wie sie uns Hannes erzählt.

Die Konsequenz daraus ist offensichtlich: Sterblichkeit wird in Zukunft noch viel mehr als jetzt auf den kleineren Bühnen der Videospiel-Landschaft geschehen, während die offenen Spielwelten größer und größer werden . Die Rechnung, einen selbst geschaffenen Magic Moment des Spielers auf Kosten zahlloser Seiten Dialoge und Questbeschreibungen zu opfern, scheint in den Augen der AAA-Entwickler einfach nicht aufzugehen.

Der fehlende Kompromiss

So umstritten die Frage die Frage nach Sinn oder Unsinn der Sterblichkeit von Begleitern in Spielen ist, so enttäuschend ist der aktuelle Kompromiss beider Spielgeschmäcker: Es gibt nämlich keinen.

Wieso dürfen wir in Fallout 4 nicht einen alternativen Schwierigkeitsgrad auswählen, der die Sterblichkeit aller Begleiter aktiviert? Ähnlich dem Hardcore-Modus von Diablo III wüsste so jeder Spieler, welche Gefahren auf ihn und die Lebensbalken der Gefährten warten würden, während Fans der Unsterblichkeit diese im "normalen" Spielmodus ebenfalls ausleben dürften. Und selbst, wenn Fans die passenden Mods schmieden — wieso geht dieser Impuls nicht direkt vom Entwickler aus?

Sterblichkeit ist auch ein Vertrauensbeweis — dieser ist uns Bethesda noch schuldig.

Vielleicht verlange ich damit aber auch zu viel von einer millionenschweren Videospielproduktion, die mehrere Jahre Entwicklung hinter sich hat. Vielleicht geht der Mut ab einem bestimmten Budget tatsächlich verloren und weicht stattdessen einer Routine-Mentalität, die Begleiter unsterblich macht und Hunde unendlich lange gegen Glitches ankämpfen lässt — nur, um möglichst viel vom teuren Spiel zeigen zu können.

All das ist nachvollziehbar: Der virtuelle Tod bedeutet nicht nur einen Abschied für den Spieler — sondern auch Kontrollverlust für die Entwickler. Das ist sicherlich kein einfacher Schritt, aber die so wertvollen Magic Moments, diese Highlights unserer Spieler-Biographie, werden nur selten aus Momenten völliger Kontrolle geboren, sondern passieren meist unerwartet und aus dem Chaos der Möglichkeiten heraus.

Ja, ich will immer noch Dogmeat töten — und ich wünschte, dass mir Bethesda diese Fähigkeit endlich in die Hände drückt.

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