Oscar-Kandidat Im Westen nichts Neues erfindet General Friedrich: 5 Unterschiede zur Buchvorlage

24.01.2023 - 16:40 UhrVor 1 Jahr aktualisiert
Im Westen nichts Neues
Netflix/Reiner Bajo
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Im Westen nichts Neues ist für insgesamt neun Oscars nominiert. Wir haben uns den Kriegsfilm im Vergleich mit der Buchvorlage angeschaut und die größten Unterschiede aufgelistet.

Mit großem Aufwand hat Netflix den Kriegsfilm Im Westen nichts Neues umgesetzt. Die Neuverfilmung des gleichnamigen Romans von Erich Maria Remarque entführt in die Schützengräben des Ersten Weltkriegs und erzählt von deutschen Soldaten, die an der Westfront kämpfen. Die Adaption nimmt sich einige kreative Freiheiten.

In diesem Artikel schlüsseln wir die fünf größten Unterschiede zwischen der Netflix-Version von Im Westen nichts Neues und Remarques Originaltext auf. Gerade im Vergleich zu den zwei vorherigen Verfilmungen, Im Westen nichts Neues von 1930 und Im Westen nichts Neues von 1979, ändert Regisseur Edward Berger viele Details.

Dazu gehören:

  • Der Einstieg in die Geschichte
  • Die Ausbildung der Soldaten
  • Paul Bäumers Fronturlaub
  • Der Handlungsstrang um Matthias Erzberger
  • Die neu erfundene Figur General Friedrich

Unterschied Nr. 1: Im Westen nichts Neues wählt einen anderen Einstieg in die Geschichte

Die Neuverfilmung von Im Westen nichts Neues wirft uns gleich zu Beginn mitten ins Kriegstreiben. Wir folgen einem deutschen Soldaten, der in der Schlacht stirbt. Seine Leiche kommt in ein Massengrab. Seine Uniform und seine Stiefel werden zurück in die Heimat geschickt und an einen neuen Soldaten übergeben: Paul Bäumer.

Hier könnt ihr den Trailer zu Im Westen nichts Neues schauen:

Im Westen nichts Neues - Trailer (Deutsch) HD
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Berger verdeutlicht mit düsteren Bildern den Kreislauf des Krieges und nimmt ein wichtiges Motiv der Geschichte vorweg: die Bedeutungslosigkeit des Individuums. Ob Protagonist Paul Bäumer und seine Kameraden überleben oder nicht, interessiert niemanden, wie auch die Gleichgültigkeit des Titels der Romanvorlage kommentiert.

Berger wählt für Im Westen nichts Neues einen sehr filmischen Einstieg. Er arbeitet mit Bildern, Musik und der daraus entstehenden Atmosphäre. Der größte Unterschied: Er blickt von außen auf das Kriegstreiben. Bei Remarque bekommen wir sämtliche Ereignisse von Anfang an aus der Perspektive von Paul Bäumer erzählt.

Unterschied Nr. 2: Im Westen nichts Neues überspringt die Grundausbildung der Soldaten

Die ersten Worte, mit denen sich Paul Bäumer an uns Lesende richtet, kommen direkt von der Front. Dennoch wartet die Vorlage mit vielen prägenden Passagen auf, die uns ein Bild der Situation in der Heimat verschaffen. Dazu gehört u.a. die Begegnung mit verletzten Soldaten und die strenge Grundausbildung unter Unteroffizier Himmelstoß.

Der Film greift lediglich die Lehrerfigur Kantorek auf, die sich als Verlängerung der deutschen Propagandamaschine erweist und Paul Bäumer und seine Freunde für den Krieg begeistert. Von Heldentum, Stolz und Ehre ist die Rede, ehe die Realität an der Westfront ein völlig anderes Bild des Krieges zeichnet.

Unterschied Nr. 3: Im Westen nichts Neues streicht Paul Bäumers Fronturlaub

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Nicht nur auf die Grundausbildung verzichtet der Film. Auch von seinem späteren Fronturlaub muss sich Paul Bäumer in der neuen Version von Im Westen nichts Neues verabschieden. Albrecht Schuch, der Pauls Kameraden Stanislaus "Kat" Katczinsky spielt, hat Moviepilot im Interview jedoch verraten, dass er die Buchsequenz als Inspiration für seine Figur aufgegriffen hat.

In Im Westen nichts Neues geht es permanent um die Frage, wie man mit der Heimat, den Emotionen und den Verbindungen zu seinen Liebsten umgeht, wenn man an der Front ist. Kat sagt immer, man darf darüber nicht nachdenken, weil es einen weich macht. Wenn man nicht hart bleibt, wird man leichter zum Ziel.
Dem steht der Moment im Roman gegenüber, wo Paul nach Hause kommt, auf der Treppe sitzt und, ich glaube, nur seine Schwester ist da. Die ruft nach der Mutter: 'Mama, Mama, der Paul ist da!' Remarque beschreibt, wie die Stimme Paul in die Knochen fährt. Das hat mich komplett umgehauen. Das konnte ich sofort verstehen.
Wenn man selbst in so einer aufgelösten Situation ist, dann braucht es nicht einmal ein ganzes Wort. Ein warmer Ton von einer nahestehenden Person, der man sich öffnen kann, reicht dann, um einen kompletten Dammbruch auszulösen. Diese Beobachtung habe ich als emotionales Kernerlebnis für Kat im Film übernommen.

Unterschied Nr. 4: Im Westen nichts Neues erfindet den Handlungsstrang um Matthias Erzberger

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Obwohl die Geschichte auf wahren Begebenheiten basiert, nutzt Remarque nur fiktive Figuren für seine Erzählung. Der neue Film bricht diese Herangehensweise auf und geht näher auf die historischen Umstände ein. Am deutlichsten wird das durch die Einbindung des deutschen Politikers Matthias Erzberger, gespielt von Daniel Brühl.

Erzberger erhält einen eigenen Handlungsstrang, der die Friedensverhandlungen mit Frankreich thematisiert. Dadurch verändert sich auch der Zeitraum, in dem die Geschichte spielt. Während Paul Bäumer im Buch schon im Oktober 1918 stirbt, verlagert Regisseur Edward Berger das Geschehen ans Ende des Krieges im November 1918.

Das sorgt für eine neue Spannungskurve: Wo bei Remarque Aussichtslosigkeit herrscht, legt der Film nahe, dass Paul Bäumer das Kriegsende erleben könnte. Gleichzeitig wird die Sinnlosigkeit seines letztendlichen Todes betont: Er stirbt auf dem Schlachtfeld, weil der Friedensvertrag zwar unterzeichnet, aber noch nicht in Kraft getreten ist.

Im Interview erklärt Berger die Beweggründe für den zusätzlichen Handlungsstrang um Matthias Erzberger in Im Westen nichts Neues wie folgt.

Unsere Perspektive ist inzwischen eine ganz andere, denn es gab noch einen weiteren Weltkrieg, der alles vorherige überschattet hat. Das hier ist erst der Anfang von einem viel schlimmeren Grauen. Einerseits wollte ich die Essenz von Remarques Roman wahren: Junge Menschen, die von Demagogen in den Krieg geschickt werden, verlieren ihre Unschuld und sterben langsam eines inneren, wenn nicht gar eines tatsächlichen Todes.
Andererseits wollte ich ein Element hinzueinfügen, das die Zukunft andeutet. Daniel Brühl sagt im Film einen Satz: 'Seien sie gerecht zu ihrem Gegner, sonst wird er diesen Frieden hassen.' Das ist genau das, was die nationalistischen Deutschen später Erzberger zum Vorwurf gemacht haben. Hätte die Politik nicht das Militär verraten und den Krieg aufgegeben, hätte das Militär gewonnen – das war der Mythos, die Lüge [...].

Unterschied Nr. 5: Im Westen nichts Neues erfindet General Friedrich dazu

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Während Brühls Erzberger über ein konkretes Vorbild in den Geschichtsbüchern verfügt, handelt es sich bei dem von Devid Striesow verkörperten General Friedrich um eine Figur, die für den Film erfunden wurde und nicht aus der Vorlage stammt. Sie bildet einen weiteren Kontrast zu den Geschehnissen in Im Westen nichts Neues.

Während die Soldaten hungern und auf dem Schlachtfeld sterben, wird General Friedrich als verschwenderischer wie verantwortungsloser Militär inszeniert, der jeglichen Bezug zur Realität verliert und das Kriegstreiben verklärt. Er ist es, der die Soldaten bis zur letzten Sekunde kämpfen lässt, obwohl es nichts mehr zu gewinnen gibt.

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