Inferno - Der zu Unrecht übergangene Suspiria-Zwilling

30.10.2018 - 11:00 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Inferno20th Century Fox
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Oft wird Suspiria als ultimativer Dario Argento-Film angepriesen. Gerne übersehen wird der Nachfolger Inferno, der als Zwilling noch radikaler und abstrakter ist und ein Muss für alle Argento-Fans darstellt.

Am 15.11.2018 startet mit Suspiria das neue Werk von Call Me by Your Name-Regisseur Luca Guadagnino in den Kinos, das wiederum auf dem gleichnamigen Horror-Streifen von Dario Argento aus dem Jahr 1977 basiert. Dieser ist längst ein wahrer Klassiker des Genres. Auch wenn Suspiria ein reiner Horrorfilm ist, der nicht in die übliche Giallo-Schablone von Argentos stilbildenden Meilensteinen wie Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe passt, stellt er in den Augen der meisten Argento-Fans nichtsdestotrotz den ultimativen Schlüssel zu dem ebenso faszinierenden wie eigensinnigen Stil des Regisseurs dar. Im Schatten des großen Vorgängers muss derweil ein anderer Film sein oftmals übergangenes Dasein fristen, der dieses Prädikat mindestens genauso verdient hat: Inferno (deutscher Titel: Horror Infernal), der zweite Teil von Argentos sogenannter Muttertrilogie, ist ein derart radikaler, auf seine pure Form reduzierter Streifen, dass ich diesem hier mein Herz für Klassiker schenken möchte.

Inferno

Inferno zieht euch in eine einzigartige Alptraumwelt

Bereits die ersten Bilder aus Inferno gleichen einem Blick in eine Zwischenwelt, die dem Betrachter signalisiert, dass er bei diesem Film einen Traum jenseits jeglicher fassbarer Logik betritt. Der Lektüre einer Gutenachtgeschichte ähnelnd führt Dario Argento den Zuschauer mithilfe der anfänglichen Hauptfigur Rose in die Mythologie der drei Mütter ein. Die junge, in New York lebende Poetin liest in einem alten Buch von drei Hexen, die sich jeweils in Gebäuden in Rom, Freiburg und New York eingenistet haben. Während Argento-Fans bereits drei Jahre zuvor in Suspiria mit der Hexe aus Freiburg Bekanntschaft machen durften, ist es jetzt Mutter Tenebrarum aus New York, die in Inferno ihre dunklen Mächte walten lässt. Hierbei inszeniert Argento seinen Horrorfilm als schummrig-brüchigen Alptraum, der speziell in der ersten Hälfte ständig von vorne zu beginnen scheint.

Schon im Prolog beginnt Inferno als surreal-betörendes Erlebnis, wenn sich das erste, größere Horror-Set-Piece als frei schwebender Tauchgang entfaltet. Im Kellergewölbe unterhalb des Gebäudes, das sie in New York bewohnt, entdeckt Rose ein mit Wasser gefülltes Loch im Boden, in das sie sogleich versehentlich ihre Schlüssel fallen lässt. Der Traumlogik folgend, findet sich die junge Frau unter Wasser in einem völlig neuen Raum wieder, der als gefluteter, antik wirkender Festsaal mit verschiedenen Kostbarkeiten geschmückt ist. Gemeinsam mit Rose verliert der Betrachter die Orientierung und beginnt durch das sphärisch anmutende Sound-Design in der hypnotisierenden Ruhe dieser Unterwasserwelt förmlich selbst zu schweben. Unterbrochen wird das Wechselspiel aus Räumen, die in kräftigen Blau- und Rottönen oder grell überbelichtetem Weiß erstrahlen, durch ein plötzlich auftretendes Grauen, das in der abstrakten Unterwasserwelt in Gestalt von aufgequollenen Wasserleichen sichtbar wird und Rose nach dem Leben trachtet.

Inferno

Inferno lässt euch nicht aus seinem schlafwandlerischen Labyrinth entkommen

Nach dem Prolog entspinnt sich die Handlung von Inferno als sprunghaftes, irrationales Labyrinth der Szenenübergänge, Perspektivwechsel und unheilvoll-surrealen Räumlichkeiten. Nach dem Tauchgang unter Wasser lässt der Regisseur die Kamera in der darauffolgenden Szene zu den Klängen von Verdi durch den Hörsaal einer Musikhochschule in Rom gleiten, wo Roses Bruder Mark einen besorgniserregenden Brief seiner Schwester liest, der ihn dazu bewegt, nach New York zu reisen. Auch in dieser Szene hält Argento die einzigartige Stimmung des Schlafwandlerischen aufrecht, wenn sich der Blick von Mark mit dem einer bildhübschen, blonden Frau vor ihm trifft, die eine Katze auf dem Arm hält und als täuschende Erscheinung einer der Hexen fungiert.

Inferno

Momente wie diese finden sich in Inferno zuhauf. Angelegt ist der Film als Labyrinth, in dem der Regisseur immer wieder den erzählerischen Blickwinkel verschiebt und dem Zuschauer somit eine klare Hauptfigur verweigert. Stattdessen bewegt sich Argento von einem inszenatorisch perfekt durchgeplanten Moment zum nächsten und zeigt den zentralen Appartementkomplex als verschlungenen Irrgarten der unterbewussten Sackgassen, die für die meisten Figuren zu einem brutalen Ableben führen. Hin und wieder schieben sich trügerisch schwarze Handschuhe ins Bild und doch weichen die klar strukturierten Regeln des Giallos in Inferno einem noch weniger greifbaren Horror. Der besteht aus monströsen, krallenbesetzten Händen, Aufnahmen einer Mondfinsternis, einem fast schon wortwörtlichen Gang in Teufels Küche, als Guillotine zweckentfremdeten Fenstern oder über Hände krabbelnden Ameisen.

Wer Dario Argento verstehen will, muss Inferno gesehen haben

Auch wenn Suspiria, der große Bruder von Inferno innerhalb der Muttertrilogie, schlicht und ergreifend zuerst da war und dem von Progressive Rock-Musiker Keith Emerson musikalisch unterlegten Nachfolger der unnachahmliche Suspiria-Score von Goblin fehlt, erweist sich Inferno strukturell sowie atmosphärisch als noch radikaler auf seine pure Form reduzierter Horror. Wer das Kino von Dario Argento erfahren, fühlen und ansatzweise verstehen will, muss Inferno gesehen haben.

Was haltet ihr von Dario Argentos Inferno?

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