Jan Böhmermanns satirischer Kamikaze-Flug

07.04.2016 - 17:10 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Jan Böhmermann: Off Duty
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Jan Böhmermann: Off Duty
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Sollen wir das jetzt amüsiert verfolgen, Popcorn essen und dieser überraschend stillen Debatte folgen? Oder schon mal unterstützende Spendengelder sammeln, falls es zu einem Prozess gegen Jan Böhmermann kommt? Dieser Satirestreit ist doch ein Witz.

Twittert Böhmermann? Am Mittwochnachmittag ist es auf seinem sonst so lebhaften Account zunächst bemerkenswert still. Der letzte Tweet  kam um 11:44 Uhr. "Jeeeej! Morgen zu Gast bei #witzefrei: @AnneWillTalk." Darunter schreibt ein Twitter-User: "aber nur, falls bis dahin die Polizei noch nicht an die Tür geklopft hat" – das angehängte Grins-Emoji streckt spitzbübisch die Zunge raus, denn das war natürlich nur als Scherz gemeint, das mit der Polizei, die in Köln-Ehrenfeld vorstellig werden könnte, wenn Recep Erdoğans Pisslaune so richtig kollabiert. Und ja, dass der Jan Böhmermann-Account  knapp acht Stunden ruht, ist schon irgendwie beunruhigend. Oder besser, es könnte beunruhigend sein, würde das Neo Magazin Royale zur Mittagspause nicht einen zweieinhalbminütigen Clip posten, der Böhmermann beim kulleräugigen Popcorn-Mümmeln zeigt . Auch der Hashtag der Woche, #Witzefrei, ist als moralische Wasserstandsmeldung schon ein Kunststück der Neo Magazin-Redaktion. Gestern um ca. 18 Uhr kündigt deren offizieller Twitter-Account auch die Agenda für die aktuelle Sendung an. Alles gut also. Braust draußen auch ein juristischer Shitstorm, die Neo Magazin-Flotte schippert unbehelligt ihre gewohnten Social Media-Routen, kommentiert die Aufregung gar recht süffisant.


Später am Abend hört man dann wieder was von Jan Böhmermann - ein Verweis auf Niels Rufs Entgleisung beim Roger Cicero-Social Media-Kondolenz-Marathon. "Habe 2 Karten für das @neomagazin heute Abend abzugeben! Halber Preis!", twittert Böhmermann zu Späßen aufgelegt. Und dann denkt man für sich, nichts könnte die Geschehnisse der letzten Tage jetzt wohl besser reflektieren und ordnen als die neue Neo Magazin Royale-Ausgabe, die heute Abend gesendet wird (Defintiv!). Vergangene Woche fasste sich das Neo Magazin Royale ein Herz und vereinfachte mit seinem Schmähgedicht  diesen unfassbaren Satirestreit, der zwischen der deutschen Diplomatie, der türkischen Regierung und der Satiresendung Extra 3 schwelte. Das in der letzten Neo Magazin-Sendung von Böhmermann vorgetragene Schmähgedicht war vollgestopft mit unhaltbaren Beschimpfungen gegen den türkischen Ministerpräsidenten und demonstrierte dabei mit fett gesetzten Anführungsstrichen den Unterschied zwischen einer Beleidigung und Satire.

Aus der Demonstration einer Beleidigung wird eine Beleidigung, wenn man ihr die Anführungszeichen nimmt. So wie ein Lehrfilm im Sexualkundeunterricht schnell zum Soft-Porno werden kann, wenn man ihm die trockenen Kommentare wegstreicht. Bei Böhmermanns Schmähgedicht haben die Anführungszeichen um die Beleidigung die Beleidigung selber offenbar nicht mehr entwertet. Erst so wurde das Gedicht zum "Benzinkanister" (Der Freitag). Wen interessiert schon der Kontext, wenn einzelne Satzteile einschlagen wie eine Bombe? Es ist ironisch, dass Böhmermann die Pointe seines bisher größten Coups, der Varoufake, eine freche Nase dreht. Oder er ihr. Denn Im Gegensatz zu Extra 3 war sich Jan Böhmermann der politischen Schwere seines Beitrages durchaus bewusst. Der diplomatische Schlamassel, den das Schmähgedicht anrichtete, war pures satirisches Kalkül.

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Die Kanzlerin und das ZDF taten, was sie tun mussten und was das Neo Magazin wollte: Den Beitrag löschen bzw. rügen. Denn die Rechtsabteilung des ZDF hat bestimmt schon genug zu tun und die Türkei ist schließlich ein wichtiger Partner in der europäischen Flüchtlingspolitik. Aber Satire kennt nun mal keine Diplomatie.

Das wirft trotzdem die Frage auf: Wollen die, die Böhmermann jetzt rügen und anzeigen, ihn nicht verstehen? Und wenn diese Menschen die Satire als solche erkannt und erfasst hätten, hätten sie den, mit Verlaub, Scherz gebilligt?

"Bewusst verletzend" nannte Kanzlerin Merkel  das Schmähgedicht. Und damit wären wir doch tatsächlich bei der guten alten Gedichtinterpretation angelangt. Was wollte uns der Autor mit seinem Gedicht sagen? Was hat er mit seinem Text beabsichtigt? Dass Böhmermann mit seinem Gedicht verletzen wollte, das stimmt einfach nicht. Um dies zu glauben, musste Angela Merkel die ersten Zeilen des Gedichtes überlesen haben. Dort wird deutlich: Es ging Böhmermann lediglich um Erdoğans Verständnis von freier Satire. Von dessen sexuellen Vorlieben weiß er nichts. Wenn ihm etwas anzulasten ist, dann, dass er sich mit Erdoğan in einer Sprache verständigte, derer dieser offensichtlich nicht mächtig ist: Die der Satire nämlich, und das ist ja der eigentliche Schlammassel.

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"Diese als Unterhaltung inszenierte Zumutung kommt genau richtig [...] Satiriker reflektieren Nachrichten, sie reagieren darauf. Ihre Arbeit besteht nicht in Information, auch nicht eigentlich in ihrer Deutung, sondern in deren Überhöhung und Pointierung im Rahmen einer Inszenierung"
, schreibt Der Freitag  im Rahmen einer treffenden Zusammenfassung der Meta-Mechanik des Schmähgedichts.

Die Grundsatzdebatte um Satire und was sie alles darf haben wir nun schon vor mehr als einem Jahr im Januar geführt, nach den Anschlägen auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo. Seither wurde bei dem Satz, der früher eine selbstbewusste Feststellung war (oder eine Behauptung?), die Wortstellung getauscht und ein Fragezeichen hintendran gehängt: Darf Satire alles? Bei dieser damals geführten Grundsatzdebatte über die Grenzen der Satire (sic!) ging es, und das sind immer die kompliziertesten und interessantesten Auseinandersetzungen, ums nackte Prinzip. Von einigen Diskursteilnehmern wurden die Prinzipien der Satire in den letzten Tagen verraten, was der Textgattung selber natürlich mehr nutzt als schadet.

Und Jan Böhmermann? Normalerweise wirft er Bomben und sieht ihnen beim Explodieren zu. Wie ein Märtyrer schmeißt er sich jetzt selbst für die gute Sache in die Schlacht, im Huckepack das Flaggschiff, die Show, die Redaktion: Ein Märtyrer der Satire, der Kunst- und der Pressefreiheit. Bigger than Jesus.

Aber echte Anzeigen  trudeln seit gestern in die Geschäftsstelle des ZDF in Mainz, die dortige Staatsanwaltschaft ermittelt. Hat Jan Böhmermann auch damit gerechnet? Denn das Risiko, das er in diesem Fall eingegangen wäre, kündet entweder von großer Selbstüberschätzung oder großer Hingabe an die Satire. Da Böhmermann im Grunde bescheiden ist und nicht unsicher, aber mit gesunden Selbstzweifeln belastet seinem findigen Unterhaltungswerk nachgeht, ist von Letzterem auszugehen. Beachtlich ist Böhmermanns Hochmut, seine provokante Süffisanz bei der Kontemplation des wilden, empörten  Schauspiels, das er entfacht hat. Verständlicher wäre Verzagtheit, Erstaunen, Ekel, kopfschüttelnder Überdruss. Leute, haltet doch mal die Füße still, war doch alles nur ein großer Spaß. Warum aber fühlt sich dieser Witz immer mehr wie Galgenhumor an?

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