Jetzt im Kino: Die grandiose Verfilmung eines Verbrechens, an der sich selbst Steven Spielberg die Zähne ausbiss

17.11.2023 - 17:30 Uhr
Die Bologna Entführung läuft ab dieser Woche im KinoPandora Film
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Ein packendes Historiendrama mit einer Geschichte, die wütend macht: Das ist Die Bologna Entführung, der jetzt im Kino läuft. Warum Marco Bellocchio gelingt, woran Steven Spielberg scheiterte, lest ihr hier.

Eine laue Juninacht im Bologna des Jahres 1858: Die jüdische Familie Mortara erlebt einen Tag wie jeden anderen, als die päpstliche Polizei an die Tür klopft. Die religiösen Gesetzeshüter verlangen nach Zugriff auf den jüngsten Sohn der Familie. Sie entreißen Edgardo den Armen seiner Mutter und verschwinden in die Nacht. Zurück bleibt Verzweiflung und ein Verlust, der mit jedem Tag schwerer wiegt.

Marco Bellocchio erzählt in seinem neuen Film die Geschichte des Jungen aus jüdischem Hause, der von der katholischen Kirche entführt und umerzogen wird. Dem italienischen Meister gelang mit der Verwirklichung von Die Bologna Entführung - Geraubt im Namen des Papstes ein Projekt, das vor ihm bereits Steven Spielberg verfilmen wollte. Der Amerikaner scheiterte. Vermisst wird seine Präsenz in dem neuen Film ganz und gar nicht.

Warum Bellocchio gelang, woran Spielberg scheiterte

Vor rund sieben Jahren wollte Spielberg The Kidnapping of Edgardo Mortara verfilmen. Oscar-Preisträger Mark Rylance war für die Rolle von Papst Pius IX vorgesehen und Oscar Isaac für den älteren Edgardo. Spielberg ließ über 2000 Jung-Schauspieler für die Hauptrolle antreten, meldete Deadline  damals. Aber die Suche blieb ohne Ergebnis. Der Regisseur, der Kinderdarsteller in E.T. - Der Außerirdische oder Jurassic Park zu Berühmtheit verhalf, fand nicht den richtigen Jungen. Er ließ das Projekt fallen und wandte sich West Side Story zu.

Die Bologna Entführung - Geraubt im Namen des Papstes

Auftritt Marco Bellocchio. Der italienische Regisseur liebäugelte schon länger mit dem Projekt, doch erst Spielbergs Absage räumte ihm den Weg frei. Zunächst stand Bellocchio (Il Traditore - Als Kronzeuge gegen die Cosa Nostra) vor demselben Problem. Wie findet man einen jungen Schauspieler, der dem traumatischen Schicksal von Edgardo Mortara gerecht werden kann? Gegenüber der Variety  erklärte er dieses Jahr in Cannes:

Bevor ich mit dem Drehen begann, machte ich mir große Sorgen um diesen Aspekt. Kinder neigen heutzutage dazu, aufgrund der sozialen Medien, denen sie ausgesetzt sind, sehr unecht zu sein. Ich wusste, dass wir ein Kind finden mussten, das eine Seele hatte.

Dieses Kind ist Enea Sala. Der Junge aus Bologna gibt in dem Historiendrama ein beeindruckendes Filmdebüt.

Der Papst als derangierter Bösewicht

Enea Sala spielt den kleinen Edgardo. Unter dem Vorwand, dass der Junge heimlich getauft wurde und damit nicht mehr in der jüdischen Familie erzogen werden darf, wird er von der Kirche sozusagen zwangsadoptiert. Von nun an verfolgt der Film drei Erzählstränge: die religiöse Umerziehung des Jungen, den Kampf der Eltern und die perfide Strategie des Papstes.

Die Bologna Entführung - Geraubt im Namen des Papstes

Paolo Pierobon spielt mit Pius IX. einen der großen Filmbösewichte des Jahres, kein sadistisches Biest, sondern einen Machtmenschen, dessen Humanität von Paranoia und der eigenen Hybris aufgefressen wurde. Da seine Autorität in anderen Bereichen bröckelt, wird an dem Jungen ein Exempel statuiert: Wenn der Papst befiehlt, dass Edgardo Christ zu sein hat, dann wird er das, egal was Recht und Gewissen sagen.

Ihm gegenüber steht die zarte Seele von Edgardo, der sich in einer fremden Welt der Kruzifixe und lateinischen Texte wiederfindet. In Die Bologna Entführung wird eine Geschichte erzählt, die wütend macht, aber das geschieht mit beeindruckender Sensibilität. Behutsam wird das Innenleben des Jungen beobachtet, der sich nach seiner Familie sehnt und in dem Bild des leidenden Jesu am Kreuz womöglich Zuflucht findet. Dabei spielt Bellocchio mit den Perspektiven, wechselt von surrealen Traumvisionen in die kalte, marmorne Realität.

Der Trumpf des Thrillers ist die Ambiguität. Statt sich auf der Wut über das Vorgehen des Vatikans auszuruhen, erforscht Bellocchio, wie der Verlust der Eltern und die rigide katholische Erziehung psychologisch Hand in Hand gehen und die Weltsicht des Jungen verändern. Einen derart vielschichtigen Einblick in eine vom Glauben gequälte und getröstete Seele gibt es im Kino nur selten zu sehen.

Die Bologna Entführung - Geraubt im Namen des Papstes läuft seit dem 16. November in den deutschen Kinos.

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