Joker und Watchmen erlösen uns von der Marvel-Langeweile

19.12.2019 - 09:00 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Joker und Watchmen
Warner Bros./HBO
Joker und Watchmen
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Seit Jahren wütet das MCU in den Kinos und ermüdet mit dem immer gleichen Spektakel. Joker und Watchmen lieferten dazu 2019 ein überragendes Gegenprogramm.

Mit Iron Man begann 2008 eine neue Ära von Comic-Verfilmungen, deren Ende 11 Jahre später noch nicht absehbar ist. Das Film-Universum des MCU wächst - im Gegenteil - unaufhaltsam, von der großen Fülle an Superhelden aus der Vorlage wird in Sequels, Prequels, Solo-Filmen und Gruppen-Abenteuern der Avengers exzessiv Gebrauch gemacht. 2019, also im Jahr, das uns Avengers 4: Endgame bescherte, war das nicht anders.

Joker und Watchmen: Die perfekte Medizin gegen das langweilige MCU

So sehr die Marvel-Helden aber nach wie vor das Box Office dominieren, stellt sich mancherorts eine gewisse Ermüdung ein. Regie-Legende Martin Scorsese zum Beispiel verglich die Filme des MCU im vergangenen Herbst mit Freizeitparks. Andererseits gab es in der Welt der Comic-Adaptionen zuletzt nicht mehr für möglich gehaltene Lichtblicke - Joker und Damon Lindelofs Watchmen sei Dank!

  • Watchmen und Joker nehmen ihre jeweilige Vorlage zum Anlass, um daraus etwas ganz Eigenständiges zu formen.
  • Vor zeitgenössischer Gesellschaftskritik und komplexen Figuren schrecken beide nicht zurück. Dafür ersparen sie uns "tragische Charaktertode", die im MCU sowieso nur bis zum nächsten Film gültig wären.
  • Endlich geht es in Comic-Verfilmungen mal wieder um etwas.

Joker: Ein Kino-Experiment, das voll aufging

Im Lager von DC gab es in den zurückliegenden Jahren weitaus mehr Probleme und Unsicherheiten als bei Marvel, wo der Rubel rollt wie eine geölte Maschine. Erfolge wie Wonder Woman oder Aquaman stehen in einer Reihe mit dem Flop Justice League, über den sich viele Fans (und sogar auch die Stars des Films) am liebsten mit dem sagenumwobenen Snyder Cut hinwegtrösten würden.

Joker mit Joaquin Phoenix

Eine einheitliche Stimme fand das Kino-Universum bislang obendrein nicht, doch Joker macht aus der vielleicht ohnehin nur vermeintlichen Not eine Tugend: Losgelöst vom DCEU (und damit von vielen Zwängen) erzählt Regisseur Todd Phillips mit beeindruckender Drastik von den sozial Schwachen und Abgehängten im modernen Amerika. Eine grimmige Charakterstudie, die auch noch ganz dicht am Puls der Zeit ist - im MCU undenkbar.

Aufgrund seiner Radikalität nimmt Joker im Comic-Kino der jüngeren Vergangenheit eine Sonderstellung ein, was sich nicht zuletzt in den Reaktionen auf ihn spiegelt. Nach der Weltpremiere in Venedig bewerteten ihn einige Zuschauer als gefährlichen Film, der zu realer Gewalt anstiften könnte. Diesen Preis zahlte einst auch schon das Joker-Vorbild Taxi Driver dafür, sein Publikum der eigenen Verantwortung zu überlassen.

Das Bedürfnis, es den Fans der Comics recht zu machen, genießt nach Phillips' Ansatz dabei keineswegs die höchste Priorität. Für seinen Joker sammelte er kleinere Schnipsel aus den Comics zusammen, die den Film allenfalls verzieren. Der Fokus liegt dennoch zu jeder Sekunde auf Arthur Flecks aufwühlender und manchmal auch verstörender Transformation vom Opfer zum Täter.

Watchmen ist die bahnbrechendste Serie des Jahres

Eine denkbar unkonventionelle Comic-Adaption bescherte uns 2019 auch Damon Lindelof mit seiner Watchmen-Interpretation. Kaum jemand hatte nach ihr gerufen, jetzt aber ist sie da und besticht durch erzählerischen Wagemut wie keine zweite Serie aus diesem Jahr.

Gespickt mit zahlreichen geschickt platzierten Easter Eggs, die auf den legendären Comic verweisen, ist Watchmen für Nichtkenner der Vorlage undurchschaubar, aber keineswegs unanschaubar. Genau wie bei Joker schlägt die Geschichte eigenmächtig einen Bogen in unsere Gegenwart, verhandelt anhaltenden Rassismus ebenso wie Polizeigewalt.

Achtung, Spoiler zu Watchmen: Die Vergangenheit der wichtigsten Figuren nimmt den gebührenden Raum ein, denn nur so können wir ihr Handeln in der Gegenwart verstehen. Sogar im bildlichen Sinne stellvertretend für diese Annahme steht die Folge Dieses außergewöhnliche Wesen, in der die Polizistin Angela Abar (Regina King) die von Gewalt bestimmten Erinnerungen ihres Großvaters Will Reeves mittels der fiktiven Droge Nostalgia durchlebt, als wären diese ihre eigenen.

Regina King in Watchmen

Überwiegend ist es zwar Will, den wir in Rückblenden sehen, in manchen Schlüsselmomenten jedoch nimmt Angela seinen Platz ein. So beschreibt Watchmen, wie ein Trauma auch unbewusst (lange kannte Angela die Identität ihres Großvaters nicht) über Generationen hinweg "vererbt" wird. Um geniale Kniffs wie diesen zu erkennen und zu würdigen, braucht es für den Zuschauer dann auch gar kein Vorwissen aus dem Comic.

Helden im klassischen Sinne sind - natürlich - auch hier schwer zu finden. Die Grundhaltung der Serie lautet vielmehr: Wer Masken und Aliase trägt, verdient grundsätzlich Misstrauen, so sicher er sich auch auf der richtigen Seite wähnt oder was auch immer er im Leben durchgemacht hat.

Bei allem sozialen Bewusstsein, das Watchmen an den Tag legt, mag es insbesondere überraschen (Überraschungen gibt es verdammt viele!), dass die Serie sich im weiteren Verlauf auch als Liebesgeschichte entpuppt. Wer aber mit dem Werk Damon Lindelofs vertraut ist oder zumindest The Leftovers gesehen hat, weiß sofort, dass der Showrunner erst an dieser Stelle komplett in seinem Element bzw. zu Hause angekommen ist.

Insgesamt verwirrt und begeistert Watchmen gleichermaßen. Manche Einfälle des Drehbuchs und der Regie wirken erst einmal wahllos, nach und nach jedoch gibt sich ein roter Faden zu erkennen. Die Serie verlangt die Bereitschaft, ein gefeiertes Comic-Universum aus einer neuen Perspektive zu betrachten - und damit gibt sie uns in Wahrheit so viel mehr als jede dreistündige Marvel-Materialschlacht.

Wie bewertet ihr Joker und Watchmen im Vergleich zum MCU?

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