Junge Frauen & die ignorierte Macht einer neuen Zielgruppe

08.11.2015 - 15:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Life is Strange
Square Enix
Life is Strange
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Während weibliche Teenager für Film und Literatur sowohl als Hauptfiguren als auch als Zielgruppe eine bedeutsame Rolle spielen, tun sich Videospiele noch schwer mit ihnen. Aber warum eigentlich? Und warum ist das ein Problem?

Mit der letzten Episode von Life is Strange ging vor Kurzem nicht nur eine Spielereihe zu Ende, die für reichlich Diskussionsstoff sorgte, sondern auch eine, die uns mit Themen konfrontierte, die wir nur selten in Videospielen finden. Damit meine ich noch nicht einmal schwere Kost wie Selbstmord oder Mobbing, sondern etwas viel grundlegenderes: weibliche Teenager.

Bedeutung weiblicher Teenager in anderen Medien

Obwohl ihre Zahl noch immer überschaubar ist, schafften es gerade in den vergangenen fünf Jahren mehr und mehr Filme mit jungen, weiblichen Hauptcharakteren Rekorde zu brechen und die Behauptung zu widerlegen, dass Blockbuster schon durch diese Tatsache zum Scheitern verurteilt wären. Nicht zuletzt dank Die Tribute von Panem dominiert seit Kinostart des ersten Teils eine weibliche Heldin das jährliche Box Office – noch dazu in einer actionlastigen Rolle.

Jennifer Lawrence als Katniss Everdeen in The Hunger Games

Der Erfolg kommt nicht überraschend, denn schon im Literatursektor konnten sich Katniss Everdeen, Ms. Marvel Kamala Khan und ihre Kolleginnen durchsetzen und beweisen, dass sie nicht nur auf junge Frauen anziehend wirken. Ungeachtet der um 3,3% gesunkenen Verkaufszahlen von Adult Fiction, stieg der Verkauf von Young Adult-Fiction im Jahr 2014  um 22,4%. Das lag unter anderem daran, dass ein großer Teil der an junge Frauen gerichteten Bücher gar nicht ausschließlich von ihnen, sondern auch von Erwachsenen gekauft wurden. Letztendlich scheint es fast egal zu sein, für welche Zielgruppe ein Buch nun gemacht zu sein scheint, solange nur die Geschichte ansprechend ist.

Erzählungen über das Heranwachsen bilden keine Ausnahme – im Gegenteil. Mehr als viele andere Grundideen bilden sie eine Basis, die ein großes Publikum nachvollziehen kann. Konsumenten von Coming of Age-Geschichten befinden sich entweder gerade selbst im Alter der Protagonistinnen oder haben diese Phase bereits hinter sich, weshalb eine Identifizierung leichter fällt, als in vielen anderen Fällen.

Auf den ersten Blick gibt es nicht viele Parallelen zwischen dem dystopischen Kriegsspektakel der Hunger Games, dem Leben der pakistanisch-amerikanischen Superheldin Ms. Marvel und dem emotionalen Zeitreise-Drama Life is Strange und Letztere zeichnen zudem ein ganz anderes Bild des Erwachsenwerdens als Teenager es noch vor ein paar Jahren erlebt haben. Dennoch sind viele grundlegende Elemente nicht nur generations- sondern auch geschlechterübergreifend nachvollziehbar.

Kamala Khan aka Ms. Marvel

Egal, wie sehr sich die Details letztendlich unterscheiden, im Kern haben Coming of Age-Geschichten alle dieselben Themen gemeinsam: Emanzipation, erstarkendes Selbstbewusstsein, Auseinandersetzungen mit Freunden und Familie, Zukunfts- und Selbstzweifel, sexuelles Erwachen, …

Werke wie Life is Strange, Hunger Games, Die Eiskönigin - Völlig unverfroren oder Ms. Marvel werfen dieselben Fragen nach der eigenen Identität in einer komplexen Welt auf, die sich gerne gegen sie zu stellen scheint – egal, ob es sich dabei nun um eine Dystopie, ein märchenhaftes Königreich, eine von Superhelden bevölkerte Metropole oder eine Kleinstadt in den USA handelt. Die Themen bleiben die gleichen und sind immun gegen den Zahn der Zeit oder kulturellen Grenzlinien.

Videospiele und Wachstumsschmerzen

Im Gegensatz zu Literatur und Filmen bieten Videospiele kein gleichwertiges Angebot an Coming of Age-Geschichten, wie es in anderen Medien zu finden ist: Young Adult-Literatur ist zur Massenware geworden, die beliebtesten unter ihnen schaffen es sogar auf die großen Leinwände der Kinosäle. Videospiele hingegen scheinen zu sehr mit ihren eigenen Wachstumsproblemen zu kämpfen, um sich auch noch mit denen weiblicher – oder männlicher – Teenager auseinandersetzen zu wollen.

Broken Age zeigt Coming of Age auf eine etwas andere Art

Natürlich gibt es auch hier nennens- und spielenswerte Ausnahmen. Gerade unabhängige Spieleentwickler haben in den letzten Jahren mit Titeln wie Broken Age, Gone Home, Toren oder Long Live The Queen versucht, dem entgegen zu wirken. Dennoch scheint es wie ein Kampf gegen Windmühlen. Nicht nur, dass diese Spiele aufgrund ihrer Genres oder ihres Nischendaseins skeptisch betrachtet oder gar nicht erst bemerkt werden, sie stoßen zudem regelmäßig eine Diskussion an, ob Titel wie Gone Home aufgrund ihres minimalistischen Gameplays überhaupt Videopiele sind. Aus einer Kategorisierung wird gern eine Grundsatzdiskussion, die die eigentliche Botschaft des Spiels in den Hintergrund treten oder im schlimmsten Fall sogar verstummen lässt.

Der AAA-Bereich kämpft hingegen mit ganz anderen Wachstumsschmerzen. Hier stolpern wir zwar ebenfalls von Zeit zu Zeit über junge Heldinnen, leider sind sie für jüngere Spielerinnen oft zumindest im Hinblick auf die Altersfreigabe unerreichbar.

The Last of Us: Left Behind bietet eine der besten Coming of Age-Geschichten des Mediums, wenn nicht sogar darüber hinaus, allerdings handelt es sich hierbei um ein Spiel, das erst ab 18 Jahren freigegeben ist. Ähnlich verhält es sich mit Tomb Raider, in dem eine jüngere Lara Croft nicht nur um ihr Überleben kämpft, sondern auch dabei ist, sich selbst zu finden. Dieser Aspekt wird allerdings fast von der Gewalt überschattet, der die junge Heldin ausgesetzt ist und die sie selbst ausübt.

Ellie und Riley in The Last of Us: Left Behind

Beyond: Two Souls und Alice: Madness Returns hingegen haben immerhin eine Freigabe ab 16 Jahren. Letzteres ignoriert das Thema des Heranwachsens aber zugunsten seiner fantastischen Welt und deren Gefahren, während immerhin Quantic Dream cineastisches Abenteuer mit Ellen Page versucht, eine Balance zwischen Coming of Age, Action und Übernatürlichkeit zu finden.

Life is Strange von Dontnod dürfte der vielleicht größte Schritt in diesem Bereich seit Jahren sein. Nicht nur, dass persönliche Dramen und das Leben weiblicher Teenager eindeutig im Fokus des Episoden-Adventures liegen, als ein von einem großen Publisher wie Square Enix herausgebrachtes Spiel erfährt es zudem größere Aufmerksamkeit und Unterstützung als andere Genrevertreter es erwarten dürfen – und das ohne inhaltliche Einschränkungen wie mir Game Director Raoul Barbet und Producer Luc Baghadoust auf der E3 verrieten.

Diese Selbstbestimmung gab ihnen nicht nur in Hinblick auf die Charaktere freie Hand, sondern ließ sie auch inhaltlich Themen aufgreifen, die ansonsten eher selten in Videospielen zu finden sind, wie Luc Baghadoust erklärte.

“Die Szenen, über die wir in Life is Strange reden, werden ansonsten nicht oft in der Videospielbranche thematisiert. Andere Spiele, die vor unserem veröffentlicht wurden, haben uns geholfen; viele Indie-Spiele haben sich mit diesen Szenen beschäftigt, aber ich glaube, es ist wichtig, für mehr Variation in Spielen zu sorgen, so wie wir es in der Filmindustrie sehen. Ich erinnere mich daran, dass David Cage von Quantic Dream darüber gesprochen hat, dass alle Spiele sich an dieselbe Zielgruppe zu richten scheinen und für Filme wäre es furchtbar, wenn es nur große Blockbuster gäbe (auch wenn wir große Blockbuster lieben). Wir können nicht nur das haben. Wir brauchen viele unterschiedliche Spiele.”

Raoul Barbet ergänzte, dass sie einige der Themen, die sich in Indie-Spielen finden lassen, auch in Life is Strange behandeln wollten, was mit einem kleineren Team wie ihrem einfacher wäre, als bei größeren Studios. Von Seiten der Publisher könnte es durchaus zu Druck kommen, was es schwierig machen würde, Dinge zu ändern oder neue Elemente in die Branche einzuführen.

Ein böser Kreislauf

Egal wie wir es drehen und worauf wir den Fokus legen, die Auswahl an jungen Heldinnen in Videospielen ist – gerade im Vergleich zu anderen Medien – überschaubar. Aber woran liegt es eigentlich, dass die Branche so schwerfällig auf diese Zielgruppe reagiert und Publisher bestimmte Vorstellungen vorgeben, an die sich Entwickler halten sollen?

Eine Möglichkeit ist, dass Gewalt noch immer eines der liebsten Stilmittel des Mediums ist, was es nicht nur schwieriger macht, junge Frauen problemlos zu Protagonistinnen zu machen, sondern sie gleichzeitig auch anzusprechen. Nicht etwa, weil sie von entsprechenden Themen abgestoßen würden, sondern vielmehr, weil die USK einen offiziellen Strich durch eine sowieso schon riskante Rechnung macht. Viele Publisher klammern sich zudem noch an die traditionell männliche und lautstarke Zielgruppe und gehen so Kompromisse ein, die gerne zur Aufweichung der Thematik beitragen oder sie in für sie sicher wirkende Gewässer treiben. Das Resultat ist oft eine übermäßige Sexualisierung der weiblichen Hauptcharaktere, die dadurch automatisch älter gemacht werden (müssen) und auf junge Frauen – und wie Studien besagen auch häufig auf junge Männer – abschreckend wirkt.

Lara Croft in Tomb Raider

Sehen wir uns junge weibliche Heldinnen an, dann scheint es so, als wären sie nicht für junge weibliche Spielerinnen gemacht. Publisher scheinen die Zielgruppe (und mit ihr die Wichtigkeit ihrer Repräsentation), die in anderen Medien die Kasse klingeln lässt, nicht so ernst zu nehmen wie Hollywood-Studios und große Verlage - oder haben Probleme, diese Erkenntnis auch umzusetzen.

Wie der mittlerweile gelöschte Penny Arcade-Beitrag The PA Report - Games with exclusively female heroes don’t sell (because publishers don’t support them)  von Ben Kuchera aus dem Jahr 2012 erklärt, erhalten die meisten Spiele mit weiblichen Protagonisten nur rund 40% des Werbebudgets, das ihre männlichen Kollegen verbuchen dürfen. Die Vermutung, dass diese Spiele sich sowieso schlechter verkaufen, sorgt für ein geringeres Werbebudget, was wiederum für schlechtere Verkäufe sorgt und so zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird.

Wie viel sich seit der Veröffentlichung der Reportage vor drei Jahren getan hat, ist schwer einzuschätzen. Es ist kein Thema, über das gerne geredet wird. Ein Industrieinsider erklärte mir vor einiger Zeit, dass sie für ein neues Spiel mit weiblicher Protagonistin kein massives Werbebudget erhalten hätten. Anstatt also auf klassische Mainstream-Werbung zu setzen, konzentrierten sie sich stattdessen vor allem auf Facebook-Werbung.

Während das soziale Netzwerk als Werbeplattform durchaus Vorteile mit sich bringt, ist sie gerade für eine jüngere Zielgruppe, für die bestimmte Spiele interessant sein könnten, kaum noch relevant. Snapchat, Tumblr und Instagram stehen hoch im Kurs während Facebook und Twitter die Plattformen einer älteren Generation zu sein scheinen, von der sich die Heranwachsenden distanzieren wollen.

Egal, ob hinter oder auf dem Bildschirm, häufig scheint es so als würde niemand davon ausgehen, dass junge Frauen tatsächlich einen Platz im Medium Videospiel hätten. Das ist vor allem im Vergleich zu Bereichen wie Literatur oder Film kurios. Sowohl als Zielgruppe mit immenser Kaufkraft als auch als Protagonisten spielen sie dort eine entscheidende Rolle, die begonnen hat, den Markt ausschlaggebend zu verändern.

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