Kommt es The Witcher 3: Wild Hunt nur auf die Größe an?

10.04.2015 - 19:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
The Witcher 3: Wild Hunt
CD Projekt RED
The Witcher 3: Wild Hunt
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News oder Previews zu The Witcher 3: Wild Hunt heben in der Regel dessen enormen Ausmaße hervor. Aber welche Rolle spielt es, ob das RPG nun 50 oder 200 Stunden Umfang bietet? Was steckt dahinter?

Ich schreibe es frei heraus: Lange Zeit hatte ich Angst vor und um The Witcher 3: Wild Hunt . Vor allem, weil es für mich bislang nur in den Zahlen existierte, die die Berichterstattung beherrschen. Anfangs war von rund 50 Spielstunden sowie einer Welt die Rede, die jene von Skyrim  um gut ein Fünftel an Landmasse überbieten sollte. Wobei CD Projekts Abenteuer-Amazonas die Spielwiese von Bethesda laut aktueller Informationen  längst überschattet.

Neben Geralts ehemaliger Ziehtochter Ciri, die die Entwickler Ende letzten Jahres als zweite, spielbare Figur enthüllten, bilden 16 Gratis-DLCs und zwei Erweiterungen mit zusätzlichen 30 Stunden das Kakaopuder auf der Milchschaumschicht, die The Witcher 3 krönen soll. Bei all den beeindruckenden bis einschüchternden Ausmaßen fürchtete ich, der Kellner könnte letztlich Zucker mit Salz verwechseln, sodass mir ein bitterer Nachgeschmack nicht erspart bleiben würde. Für den Fall, die Entwickler blieben an ihrer selbstgesteckten Messlatte nicht hängen, plante ich in meinem Kopf schon die Wochen nach dem Release durch, um meinen Tagesablauf an die schiere Größe von Wild Hunt anzupassen.

Ciri soll sich im Kampf um einiges flinker bewegen als Geralt.

Doch vor Kurzem bot sich mir die Gelegenheit, The Witcher 3: Wild Hunt für einige Stunden ungestört zu spielen, mich mit Mitarbeitern von CD Projekt RED zu unterhalten und dadurch herauszufinden, ob meine Bedenken begründet waren. Wie bringt Wild Hunt seine Open World mit einer emotional mitreißenden Erzählung in Einklang? Und wie wichtig ist der Umfang des Rollenspiels wirklich?

Gegensätze ziehen sich an

The Witcher  und The Witcher 2: Assassins of Kings  rücken den Hexer Geralt von Riva sowie die Vorgänge um ihn herum in den Mittelpunkt. Außerdem treibt gerade der zweite Teil seine Story mit temporeich inszenierten Zwischensequenzen voran. Damit widersprechen sie der Funktionsweise vieler Open World-Spiele, die auf unterschwellige erzählerische Mittel zurückgreifen. Schließlich halten sie mich dazu an, den Hauptweg zu verlassen, um den Trampelpfaden zu folgen, bis ich mich irgendwann in einem Wald aus Möglichkeiten verliere. Daher stützt ihre jeweilige Welt selbst in Form von Tagebüchern, Itembeschreibungen oder architektonische Eigenheiten einer Region ihren Handlungsbogen.

Dass beispielsweise Kronkorken im Fallout -Universum Bargeld ersetzen, mag auf den ersten Blick nur ein kleines Detail darstellen, allerdings vermittelt es mir greifbares Gefühl davon, was für ein Ort dieses Ödland eigentlich ist.

Das Spurenlesen ist ein essentieller Bestandteil der Monsterjagd.

The Witcher 3: Wild Hunt bewegt sich in diesem narrativen Spannungsfeld, wie auch Jonas Mattsson (Senior Environment Artist) und Mikolaj Szwed (Senior Localization Producer) wissen. Deshalb verfolgt CD Projekt RED das Ziel, die Handlung durch und durch in die Welt einzupflegen, indem sie die Grenzen zwischen Haupt- und Nebenaufträgen so weit aufweichen wollen, bis sie ineinander fließen. Das möchten sie unter anderem dadurch erreichen, dass selbst die kleinste Quest eine Geschichte erzählen soll, so Szwed:

Auch wenn eine Person während eines Auftrags nur für drei Gespräche auftaucht, wirst du noch merken, dass es eine voll ausgearbeitete Figur mit ihrer eigenen Geschichte, Gefühlen und eigenem Charakter ist.

Einen Hinweis darauf, wie ernst die Autoren diesen Vorsatz nehmen, liefert mir The Witcher 3 bereits nach kurzer Zeit. Im Prolog treffe ich einen Jäger, der ein zurückgezogenes Dasein fristet. Während ich mit ihm auf Streifzug gehe, erfahre ich nicht nur für das Weiterkommen relevante Informationen, sondern auch den Grund für seine soziale Isolation. Diese kleine Enthüllung macht deutlich, wie düster der Fantasy-Entwurf von The Witcher 3: Wild Hunt ausfällt. Außerdem verleiht sie dieser Figur eine tragische Note, wodurch sie mehr ist als ein Teil im Getriebe des Handlungsmotors.

Wie schaffen es die Entwickler, diese kleinen Anekdoten am Wegesrand stimmig ins Spiel einzuarbeiten? Szwed erklärt die Vorgehensweise:

Als wir den Handlungsbogen der Geschichte schufen, gestalteten wir das Szenario der Welt, wo es angesiedelt sein und was passieren soll. Sobald du diesen Blick auf die Welt hast, kannst etwas drumherum bauen.

Konkret bedeutet das:

Dieses Gebiet wurde vom Krieg verwüstet, darum sind die Menschen dort arm und hungern. Wenn sie hungern, handeln sie deswegen auf diese und jene Weise. Du gehst von einer übergeordneten Ebene Schritt für Schritt nach unten, bis du bei einer kleinen Geschichte ankommst, die bestimmte Personen in dieser Welt betreffen.

Und wieder untermauert The Witcher 3: Wild Hunt die Aussage, da es diesen Ansatz selbst bei Kleinigkeiten wie Unterhaltungen der Dorfbewohner berücksichtigt. Auf meinem Weg beobachte ich zwei Frauen, die am Fluss stehen und darüber diskutieren, ob das Wasser aufgrund der vielen Kriegsleichen noch zu gebrauchen sei. Irgendwann wirft eine der beiden ein: "Mit irgendwas müssen wir unsere Suppe kochen." An einem Ort, an dem den Menschen die Zutaten für eine Gemüsebrühe fehlen, sind sie wohl nicht mehr weit davon entfernt, mit Kronkorken zu zahlen.

Die Dorfbewohner reagieren argwöhnisch auf einen Hexer.

Wer übrigens bei Namen wie Ciri mit der Stirn runzelte, muss sich keine Sorgen machen, inhaltlich nicht mitzukommen. Wie die Entwickler versichern, sei Wild Hunt mit Rücksicht auf das beachtlich gewachsene Publikum entstanden. So skizziert die Eröffnungssequenz das Verhältnis zwischen Geralt und seinen Liebsten, die schnörkellose, trotzdem nicht stumpfe Sprache zeichnet für Neulinge gekonnt die Charakterzüge der Figuren. Leser der Vorlage von Andrzej Sapkowski  sehen darüber hinaus lediglich etwas mehr Kontext, der alles umrahmt.

Über Stock und Stein

Umfangreiche Aufträge tragen dieselbe sorgfältige Handschrift. Unweit eines wichtigen Stützpunktes stoße ich auf einen Händler, der behauptet, sein Pferd sei ihm durchgegangen, als Monster ihn überfallen hätten. Er bittet mich darum, den Wagen aufzuspüren und eine Schatulle für ihn zu bergen. Also folge ich einer Fährte in den Sumpf, dank der ich den Karren sowie das tote Reittier finde. Nur die Pfeile, die in Fleisch wie Holz stecken, wollen nicht ganz ins Bild passen. Schnell entdecke ich nicht nur das gesuchte Kästchen, sondern auch den leblosen Kutscher.

Zurück bei meinem Auftraggeber konfrontiere ich ihn mit den Ungereimtheiten, was in einer Verfolgungsjagd mündet. Einen sprichwörtlich wilden Ritt später stelle ich ihn und einige Banditen. Sobald ich die Wegelagerer bezwungen habe, offenbart sich der Mann als ... aber halt, diese Wendung möchte ich euch nicht vorwegnehmen, nur so viel: Die Auflösung ergibt sich glaubwürdig aus der politischen Situation, die in The Witcher 3: Wild Hunt herrscht. Gleichzeitig gewinnt der Twist ihr eine weitere Facette ab. Natürlich wartet dieser Moment auch mit einer der zahlreichen Entscheidungen auf, aus denen die Vorgänger ebenfalls einen Großteil ihrer Faszination ziehen. Zumal sich die Auswirkungen wie gewohnt erst im späteren Handlungsverlauf zeigen dürften, weshalb es mir umso schwerer fällt, zwischen all den moralischen Grauabstufungen eine Schattierung zu wählen.

In den Sümpfen lauern allerlei Gefahren.

Mattson versprach in einem früheren Interview , es werde im Spiel keine, wie er sie scherzhaft nennt, “Fedex-Quests” geben, was nach meinen bisherigen (zugegebenermaßen kleinen) Einblicken stimmt. Nebenbeschäftigungen der Marke "Sammle 100 Federn" erinnern mich immer wieder an diverse Fast Food-Buden, die mir zusammen mit dem Sparmenü eine Portion XXL-Pommes und den extragroßen Softdrink verkaufen wollen. The Witcher 3 gleicht in dieser Beziehung eher dem Buffet eines Szene-Restaurants, das an der Schwelle vom Geheimtipp zum Kassenmagnet steht.

Größen-Wahn?

Doch welche Rolle spielt denn nun der Umfang? Interessanterweise wollen weder Szwed noch Mattsson, auf ihre Ziele angesprochen, an aktuelle Open World-Konkurrenten wie Dragon Age: Inquisition  oder eben The Elder Scrolls V: Skyrim anknüpfen. Vielmehr hofft Szwed, den Spielern mit Wild Hunt eine Erfahrung zu geben, an die sie selbst nach fünf oder fünfzehn Jahren zurückdenken – für ihn seien das etwa Silent Hill 2  oder Final Fantasy 10 .

Mattsson wiederum hebt die Entscheidungsfreiheit hervor. Er wünscht sich Spieler, die nach dem Finale ihre Erlebnisse miteinander vergleichen, ihre kleinen Geschichten austauschen, um entweder einen Anreiz zu haben, The Witcher 3 wieder zu spielen oder ihr Ende mit einem guten Gefühl auf sich beruhen lassen. Für ihn sei Heavy Rain  etwas besonderes gewesen, weswegen er wolle, dass die Leute ähnliches fühlen:

Ich habe es einmal durchgespielt und das genügt mir, weil ich daraus meine Geschichte gemacht habe. Und ich weiß, wie viele Enden es hat, aber das war mein Ende.

Beide klangen für mich sehr glaubhaft, weshalb sich bei mir der Eindruck festigte, dass sich die Ausmaße von The Witcher 3: Wild Hunt mehr als Nebenprodukt aus den Ambitionen von CD Projekt ergaben, kein primäres Entwicklungsziel darstellten. Die Größe wie Questdichte der Spielwelt drängte sich mir zu keinem Zeitpunkt auf, sie waren einfach da.

The Witcher 3: Wild Hunt erscheint am 19. Mai für PC, PS4 und Xbox One. Das Preview-Event fand in München statt, die Reisekosten (Hin- sowie Rückflug) übernahm der Publisher Bandai Namco.

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