Lara: Regisseur Jan-Ole Gerster über massiven Druck nach seinem Hype

10.11.2019 - 08:35 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Lara mit Corinna HarfouchStudiocanal
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Oh Boy mit Tom Schilling war 2012 ein riesiger Erfolg. Nun legt Regisseur Jan-Ole Gerster mit dem Drama Lara nach. Wir haben ihn zum Interview in Berlin getroffen.

Seit seinem sehr erfolgreichen und preisgekrönten Debütfilm Oh Boy sind sieben Jahre vergangen. Nun bringt Jan-Ole Gerster mit Lara sein zweites Werk ins Kino. Darin geht es um einen Tag im Leben der 60-jährigen Lara (Corinna Harfouch), die das Klavierkonzert ihres Sohnes Viktor (Tom Schilling) besucht und dabei ihre eigene verpasste Karriere als Pianistin durchlebt.

Wir haben Jan-Ole Gerster zum Interview in Berlin getroffen und uns über seinen neuen Film, den Druck, nach Oh Boy nachzulegen und zukünftige Projekte unterhalten.

Moviepilot: Du hast in verschiedenen Interviews gesagt, dass du den Film ohne Corinna Harfouch nicht gemacht hättest. An welcher Stelle des Drehbuchs wusstest du, dass sie Lara ist?

Jan-Ole Gerster: Das habe ich natürlich gesagt. Und vielleicht wäre es auch dazu gekommen. Aber wir werden das nie rausfinden, weil sie zum Glück zugesagt hat [lacht]. Es hat damit zu tun, dass ich sie vor ein paar Jahren im Theater nicht nur entdeckt habe, sondern regelrecht verzaubert von ihr war.

Jan-Ole Gerster war verzaubert von Corinna Harfouch (Lara)

Ich dachte, ich würde so wahnsinnig gerne mit dieser Frau einen Kinofilm drehen, hatte aber erstmal keine Idee. Und als ich das Drehbuch zu Lara bekam, schob sie sich vor mein geistiges Auge, als ich es las. Und ich wusste: Das ist es, das ist perfekt. Deswegen wäre eine Absage natürlich desaströs gewesen. Zum Glück hat sie zugesagt.

Du hast zuvor mit dem Drehbuchautor Blaz Kutin aber über eine andere Idee gesprochen.

Blaz und ich haben uns über einen gemeinsamen Freund kennengelernt, der wusste, dass ich auf der Suche nach einem Co-Autor bin. Wir haben uns sofort sehr gut verstanden und begonnen zusammenzuarbeiten.

Im Laufe unserer Zusammenarbeit erwähnte er das Drehbuch Lara eins, zwei, drei Mal, bis ich irgendwann so neugierig war und es lesen wollte. Ich habe es ganz unbefangen und neutral mit nach Hause genommen und war sofort begeistert. Ich wollte untersuchen, warum mich so betrifft und fertigmacht, was diese arme Frau an diesem Tag alles an Erkenntnissen zu verarbeiten hat.

Lara (Corinna Harfouch) kauf sich ein neues Kleid.

Und dann habe ich gemerkt, wie sich eine gewisse Anspannung, die ich seit Oh Boy hatte, in mir löst, weil ich dachte, dass das ein Buch ist, in dem ich mich Zuhause fühle. Mir ist die Tonalität vertraut, die Sicht auf die Figuren, die Erzählform und der Humor. Außerdem mag ich die Art und Weise, wie sich die Geschichte entblättert. Ich dachte, das wird jetzt mein nächster Film, wir lassen alles sofort links und rechts liegen und gehen volle Fahrt auf Lara.

Lara: Wie es ist, ein fremdes Drehbuch zu verfilmen

Mit Lara hast du das erste Mal ein fremdes Drehbuch inszeniert. Dein vorheriges Werk Oh Boy war autobiografisch. Wie war das für dich?

Es ist schon ein anderer Prozess als die Verfilmung von Oh Boy, die autobiografisch aufgeladen war. Wo man eher von innen nach außen inszeniert und guckt, dass man den Leuten das, was man in sich trägt, mitteilt, dringt man bei Lara von außen nach innen zu dem Kern vor.

Genau wie schon in Oh Boy spielt Tom Schilling auch in Lara eine Rolle.

Ich habe das wie eine Abenteuerreise aufgefasst, auf der ich dieser tollen, merkwürdigen, widersprüchlichen, etwas niederträchtigen, aber durchaus bemitleidenswerten Frau [lacht] annähere. Und das hat Spaß gemacht. Es war wie Neuland zu entdecken.

Vielleicht auch, weil die Figur eine Frau ist?

Auch. Aber im Kino geht es ja auch darum, zu einem Kern vorzudringen, in dem wir alle gleich sind. Sonst würde man ja irgendwie immer nur Filme über sich selbst gucken können oder ich könnte nur männliche Figuren nachvollziehen und du nur weibliche.

Am Ende geht es doch aber darum, den Finger draufzulegen und zu sagen, wir sind uns doch eigentlich gar nicht so unähnlich. Und trotzdem weiß ich natürlich nie, was es bedeutet, eine Frau zu sein.

Jan-Ole Gerster über die Anspannung nach Oh Boy

Du hast vorhin von einer Anspannung nach Oh Boy gesprochen. Ist es sehr schwer, nach so einem Erfolg einen Nachfolger zu inszenieren? Hattest du dadurch Blockaden im Kopf?

[Überlegt lange] Ich hatte nicht den Maßstab, noch einen draufzusetzen. Ich wollte einfach nur aus vollster Überzeugung und so gut ich kann einen zweiten Film machen. Ich schreibe zwar gerne an Drehbüchern, aber ich bin alles andere als ein schneller Autor. Deswegen glaube ich auch, dass die Sehnsucht da war, mich mit einem Co-Autor auszutauschen, weil es die Dinge in der Regel etwas beschleunigt.

Lara (Corinna Harfouch) mit Sohn Viktor (Tom Schilling)

Eigentlich wollte ich nicht so lange warten. Aber bevor man sich versah, ist recht viel Zeit ins Land gegangen [lacht]. Ich war natürlich auch lange mit Oh Boy beschäftigt. Und es gab natürlich viele Angebote und Optionen, mit denen ich mich beschäftigt habe. Immer mal hier noch ein Drehbuch und da Leute treffen - das hat die ganze Entwicklung unkonzentriert gemacht.

Wenn man schlau gewesen wäre, hätte man einfach gesagt: "Schluss, aus, ich konzentriere mich jetzt nur noch auf meine Sachen." Naja, deswegen war diese Anspannung auch eher eine zeitliche. Ich hatte ja Lust zu arbeiten und Lust zu drehen.

Es gibt zum Beispiel ein Projekt, an dem ich noch immer arbeite, weil es einfach so komplex ist. Nicht nur in der Entwicklung des Stoffes, sondern auch in der Umsetzung. Es ist sehr recherche-, finanzierungs- und planungsintensiv, dass ich dachte, selbst wenn ich mich auf das Projekt konzentriere, dauert es immer noch drei Jahre bis wir die erste Klappe schlagen. Und mit Lara dachte ich, wenn wir das jetzt schlau anstellen, können wir schon nächstes Jahr am Set stehen und das hat mir als Aussicht natürlich gut gefallen.

Meinst du mit dem anderen Projekt Imperium?

Ja, genau, das ist ein Projekt, das ich immer noch verfolge. Von dem ich immer noch nicht sagen kann, was es für eine Zukunft hat, weil es ein sehr komplizierter Stoff ist, der aber auch wahnsinnig reif, originell, einzigartig und vielschichtig ist.

Lara (Corinna Harfouch) lauscht dem Konzert ihres Sohnes Viktor.

Und genau das ist schon manchmal das Problem, weil man ihn natürlich in eine Form bringen muss, die auch die Chance hat, finanziert und verfilmt zu werden. Selbst wenn wir irgendwann mit dem Drehbuch soweit sind, dann ist es immer noch aufwendiger Stoff.

Er ist nicht nur historisch und spielt am anderen Ende der Welt, er spielt über fast zwei Jahrzehnte. Wir müssen zum Beispiel verschiedene Darsteller in verschiedenen Altersgruppen finden. Auch muss der Dreh eigentlich unterbrochen und der Darsteller Gewicht verlieren. Das alles zu planen ist eine große Aufgabe.

Soll immer noch Tom Schilling die Hauptrolle übernehmen?

Ja, Tom sagt mir zwar immer, ich soll mich beeilen, weil er ja auch nicht jünger wird. Aber na klar, das ist immer noch das erklärte Ziel, dass Tom nackt auf der Kokosnussinsel steht. [lacht]

Werden Oh Boy und Lara Teil einer Trilogie?

Hast du während des Prozesses gemerkt, dass es Parallelen zwischen Oh Boy und Lara gibt? Es ist ein Mensch, es ist ein Tag, es ist Berlin.

Es war zumindest nicht von Anfang an Berlin. Es war Ljubljiana und selbst als ich es gelesen habe, habe ich gedacht, ich kann nie wieder einen Film in Berlin drehen. Jede Straßenecke, die ich zeigen wollte, habe ich in Oh Boy reingepresst.

Lara (Corinna Harfouch) während des Auftritts ihres Sohnes.

Als es darum ging, den Film zu verorten, habe ich mir deswegen überlegt, welche kleinen Städte es gibt. Wie das aber beim Film so ist, spielt eine Finanzierung eine gewisse Rolle, die für den Film bedeutet hat, dass er hier in Berlin oder Brandenburg spielen wird.

Deswegen habe ich mir überlegt, wie ich das Kleinstädtische im Großstädtischen erzählen kann und bin auf diese bildungsbürgerliche Nachbarschaft Charlottenburg-Wilmersdorf gekommen, weil ich dachte, dort gibt es noch einen bundesrepublikanischen Flair und Kneipen und Restaurants, die seit 40 Jahren gleich sind.

Oh Boy spielt eher im Prenzlauer Berg, in Kreuzberg und Mitte und diesem ganzen Graffiti-Berlin. In Lara sieht man eine andere Seite von Berlin. Dadurch habe ich für mich selber nochmal einen Teil der Stadt neu entdeckt.

Mit deinem Namen verbinde ich Geschichten wie "ein Tag, ein Mensch, Berlin" ....

Ich habe eben schon deinem Kollegen gesagt, eigentlich muss ich jetzt noch so einen Film machen und dann ist es eine Trilogie.

Ja, das habe ich auch überlegt!

Aber muss ich das hintereinander wegmachen oder darf ich einen dazwischen drehen, der anders ist?

Lara (Corinna Harfouch) zu Besuch bei ihrer Mutter

Ich glaube tatsächlich, du musst es hintereinander wegmachen, damit es eine Reihe wird.

Fatih Akins Filme der Liebe, Tod und Teufel-Trilogie sind aber auch nicht direkt nacheinander erschienen. Es fing mit Gegen die Wand an, dann kam Auf der anderen Seite, dann zwei, drei ganz andere Filme und schließlich The Cut. Und trotzdem ist es eine Trilogie.

Aber wahrscheinlich ist es noch cooler, wenn man es hintereinander wegmacht. Jetzt habe ich aber für nächstes Jahr schon ein Projekt. Was mache ich denn da?

Jan-Ole Gersters nächster Film: ein "albtraumhafter Thriller"

Was hast du für nächstes Jahr geplant?

Wir versuchen eine Finanzierung für einen Film für nächstes Jahr auf die Beine zu stellen, der eine Art albtraumhafter Thriller ist. Wenn man hört 'deutsches Kino und Thriller', dann gehen zumindest bei mir immer Alarmlampen an. Wahrscheinlich gibt es auch gute Beispiele.

Corinna Harfouch als Lara

Ich wüsste jetzt aber nicht, wie ich es anders formulieren sollte. Natürlich hat er auch eine humoreske Ebene. Es ist ist auf jeden Fall kein klassischer Thriller, aber er hat Thriller-Elemente.

Also nicht so still wie deine Vorgänger?

Doch, auch. Das meine ich eben damit, dass es nicht der klassische Thriller ist. Es ist kein Agenten-Thriller, sondern erinnert wohl eher ans 70er-Jahre Paranoia-Kino. Wo man nicht weiß, ob die Leute verrückt sind oder alles eine Verschwörung ist. Manchmal denke ich, es hat ein Polanski-Feeling. So wie der frühe [Roman] Polanski, als alles ein bisschen sonderbar war. Das gefällt mir.

Hast du in Blaz denn nun eine Art Drehbuchautor-Seelenpartner gefunden?

Wir arbeiten jetzt zumindest an zwei Projekten miteinander und eins schreibe ich noch alleine. Also du merkst schon - Projekt-Overdose. Wir haben viele Ideen, die es zu sortieren gibt und zwei davon sind wirklich sehr konkret, so dass man hoffentlich bald davon ausgehen kann, dass sie in die Tat umgesetzt werden, ... wenn ich jetzt nicht doch noch einen Berlin-Film an einem Tag drehe.

Dieses Interview wurde gekürzt und verdichtet.

Wir bedanken uns bei Jan-Ole Gerster herzlich für das tolle Gespräch. Lara läuft ab dem 7. November 2019 im Kino.

Was wollt ihr von Jan-Ole Gerster als Nächstes sehen?

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