Liebe Spieleentwickler, ich möchte nichts mehr basteln

27.11.2015 - 18:00 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Fallout 4
Bethesda
Fallout 4
Eine eigene Rüstung, ein Schwert aus den seltensten Metallen und ein Auto, das sonst niemand hat. Immer mehr Spiele versuchen mit Crafting, dem Nutzer individuelle Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. Aber braucht wirklich jede Spielwelt eine Werkbank?

Meine aktuelle Rüstung in Fallout 4 ist ein Asbestos Lined Fiberglass Combat Armor Chest Piece. Schön leicht, trotzdem robust und feuerfest dazu. Und selbstgemacht. Denn auch in Fallout 4 ist der Trend zum Crafting angekommen: Von Mad Max über Assassin's Creed: Syndicate und Metal Gear Solid V: The Phantom Pain bis zu The Witcher 3 gab es dieses Jahr kaum ein großes Spiel ohne irgendeine Form von Bau- und Bastelsystem – sei es für Waffen und Ausrüstung, Autos oder die eigene Basis.

Eine gigantische Beschäftigungstherapie

Das hat mehrere Gründe: Der erste ist Minecraft, dessen Erfolg viele Entwickler nur zu gerne kopieren würden. Was auch kein Wunder ist, schließlich hat die Klötzchenhackerei mindestens eine Generation an Spielern fest im Griff. „Das können wir auch“, denkt man sich von Warner bis Ubisoft – und kopiert einfach einzelne Bestandteile des schwedischen Riesenerfolgs. Ob man die Generation Minecraft aber alleine mit ein wenig Ausrüstungsbastelei für Mad Max oder Metal Gear begeistert, sei mal dahingestellt.

Eine Welt voller Müll!

Der andere Grund ist, dass Crafting eine Lücke in der Gameplay-Schleife klassischer Open-World-Spiele schließt: Endlich gibt es für all den Müll, den der Spieler in Fallout so einsammelt, einen sinnvollen Verwendungszweck. Und endlich können die Entwickler von Assassin’s Creed ihre Schatzkisten und die Taschen toter Gegner mit etwas anderem als Geld füllen. Andererseits haben Spielemacher jetzt aber auch noch einen Grund mehr, ihre Spielwelten mit langweiligem Sammelkram vollzupacken. „2 von 50 Erzvorräten gefunden“ ist in meinen Augen kein Spielspaß, sondern Beschäftigungstherapie.

Die Idee hinter der Bastelei ist natürlich eine schöne: Kreative und gewissenhafte Spieler können sich damit mächtige Ausrüstung zusammenbauen, ganz nach eigenen Bedürfnissen. Wer in Metal Gear zu oft vom Gegner entdeckt wird, näht eben bessere Tarnanzüge. Wer mit der Schrotflinte in Rise of the Tomb Raider nichts trifft, macht den Lauf länger. Und wer in Mad Max mit seinem Auto ständig überall vorknallt, baut sich einen besseren Rammbock an den Kühlergrill und macht die Not so zur Tugend. Im Idealfall steigt so nicht nur der Spielspaß, sondern auch die persönliche Verbindung zu Spielfigur und Spielwelt.

Eine Frage der Einschränkung

In der Praxis klappt das aber nur selten. Echte Kreativität lassen die Crafting-Systeme nämlich kaum zu. Stattdessen werden Waffen und Rüstungen mit selteneren Materialien oft einfach nur besser, aber nicht anders. Wahlmöglichkeiten gibt es in Rise of the Tomb Raider genau so wenig wie in Metal Gear Solid 5, stattdessen nur +3 statt +5 und längere Balken hinter „Schaden“ und „Magazingröße“. Und das eigene Auto wird in Mad Max nicht zum individuellen Spezialgefährt – Schwerpunkte darf der Spieler nur in der Entwicklung setzen. Am Ende steht aber immer der rasende, waffenstarrende Superpanzer.

Auch Mad Max darf an seinem Auto herumschrauben.

Das wäre zu verschmerzen, könnte der Spieler beim Crafting wenigstens das Aussehen seiner Ausrüstung beeinflussen. Kann er aber nicht. Gebastelt und gebaut wird in der Regel schließlich nach einem vorgefertigten Rezept. Wer die ersten Kostüme von Evie in Assassin’s Creed Syndicate schöner fand als den Highend-Kram, hat eben Pech gehabt. Das Ergebnis: In Rise of the Tomb Raider ähnelt Laras Pistole mit all ihren Erweiterungen am Ende eher einem Schlagbohrer. Und Geralt verbessert seine Rüstungen in The Witcher 3 vor allem dadurch, dass er immer neue Schleifchen und Fellstücke anklebt – auch wenn er damit wie der letzte Vollidiot durch den Wald schleicht.

Fallout 4 macht da vieles besser: Einfluss auf den Look der fertigen Ausrüstung hat man hier zwar auch nicht, dafür aber wenigstens viele Wahlmöglichkeiten in Bezug auf ihre Eigenschaften. Soll das Gewehr vollautomatisch sein oder lieber mit jedem Schuss viel Schaden machen? Braucht die Beinrüstung Polsterung gegen Stürze oder eher Extrataschen für den Müll der ganzen Spielwelt? (Die Antwort ist übrigens Extrataschen. Die Antwort ist immer Extrataschen.)

Kein Durchblick beim Basteln

Dafür begeht Fallout aber eine andere typische Crafting-Sünde, nämlich eine grausig schlechte Umsetzung der ganzen Bastelei. Jeder Arbeitsschritt braucht gefühlt ein oder zwei Klicks zu viel. Wer sein aktuelles Projekt mit der existierenden Ausrüstung vergleichen will, braucht ein gutes Gedächtnis. Einen Überblick über die verfügbaren Rohmaterialien gibt es nur auf Umwegen. Und am Ende entstehen Ungetüme wie das erwähnte Asbestos Lined Fiberglass Combat Armor Chest Piece, dessen Name nicht einmal in die Nutzeroberfläche des Spiels passt.

Auch in der Welt von Dragon Age: Inquisition werden wir nicht vor wirrem Crafting verschont.

Und damit ist Fallout nicht allein: In The Witcher 3 ist es zum Beispiel viel zu leicht, aus Versehen Rüstungen und Waffen zu bauen, die Geralt noch gar nicht benutzen kann – wenn man sie in der langen Liste voller sinnolser Crafting-Rezepte überhaupt findet. Assassin’s Creed Syndicate ist hinsichtlich des Craftings minimal übersichtlicher als Unity, die Menüs dazu sind aber noch immer so hässlich und langsam wie im Vorgänger. Und das 2014 erschienene Dragon Age: Inquisition lässt den Spieler zwar individuelle Ausrüstung für seine ganze Rasselbande an Helden bauen — das geschieht allerdings in einem Labyrinth verschachtelter Menüs, das die ohnehin schon happige Spielzeit locker um 10 Stunden verlängert.

Positivbeispiele für gelungenes Crafting müssen Spieler dagegen lange suchen. Ein paar gibt es aber: The Last of Us oder Alien: Isolation stellen den Spieler per Crafting zum Beispiel vor fiese, aber dadurch interessante Entscheidungen: Willst du lieber neue Molotov-Cocktails oder doch ein Erste-Hilfe-Set? Und Diablo III hat nach nur 37 Patches sogar ein sehr gelungenes Crafting-System, mit dem sich echte Monsterwaffen mit beliebigem Design erschaffen lassen.

Liebe Spiele-Entwickler: Das bitte nachmachen. Wenn ihr schon ein Crafting-System baut, dann wenigstens ein gutes. Gestaltet ein Menü, das keine Informationen verschleiert und sich per Controller gut bedienen lässt. Gebt mir eine Belohnung für Entdeckergeist und Cleverness, nicht für hirnloses Sammeln. Und gebt mir Belohnungen, die nicht einfach nur besser sind als der übliche Kram – sondern anders, interessanter, schöner. Und bei der Gelegenheit: Lasst mich bitte selbst entscheiden, was ich schön finde.

Crafting, wie es Spaß macht: Diablo 3 als Vorzeigebeispiel.

Und wenn euch das alles zu viel ist: Baut das tolle Zwergengeschmiedete Schwert der eisigen Verbannung +5 ruhig selbst. Versteckt es in einer verzauberten Kiste hinter einem Wasserfall in der Höhle der Verdammnis am Ende der Welt, schützt es mit den untoten Legionen von Al’za’bun und lasst mich danach suchen. Das macht nicht nur mir, sondern auch der Generation Minecraft mehr Spaß als ein Ausflug in den virtuellen Baumarkt.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News