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Jenny von Ts Lieblingsfilme 2016

10.12.2016 - 15:49 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Genau so mag ich meine Filme: Bittersüß. Aber eher bitter.
Paramount Pictures
Genau so mag ich meine Filme: Bittersüß. Aber eher bitter.
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Ich möchte vorwegnehmen (bzw. noch einmal bestätigen), dass 2016 in vielerlei Hinsicht kein wirklich schönes Jahr war - leider auch kinotechnisch. So kann ich die Anzahl jener Filme, die mich in den vergangenen 12 Monaten tief berührten und nachhaltig beschäftigten, problemlos an einer Hand abzählen. Andererseits hielten mich inmitten der leider üblichen Flut an Superhelden und sonstiger Stangenware vereinzelte Lichtblicke immer wieder über Wasser. Denn vor allem im Indiefilm-Bereich tun sich aktuell einige aufstrebende Regisseure hervor - mit Stilwillen, gekonnten erzählerischen Regelbrüchen und auch dem Mut, schwierige Themen anzupacken. Auf der ersten Seite liste ich meine Top 10 auf, danach folgen weitere Empfehlungen.

10. Wiener Dog (Regie: Todd Solondz)

Ein herzerwärmend böser Film, wie man es von Solondz gewohnt ist. Ich ahne, warum ausgerechnet ein Dackel dieses Mal den Mittelpunkt bildet. Besagte Rasse entspricht nämlich - quasi auf Hunde-Ebene - der Sorte Mensch, für die der Regisseur sich am meisten interessiert: Sie sind nicht wirklich schön, geschweigedenn makellos, aber dennoch liebenswert. Und Todd Solondz liebt Menschen. Sehr.

09. Mustang (Regie: Deniz Gamze Ergüven)

Ich mag es, wenn bleischwere Inhalte leichtfüßig vorgetragen werden und der Abgrund erst dahinter umso verstörender durchscheint. Deniz Gamze Ergüven verleiht der jugendlichen Unbekümmertheit ihrer Protagonistinnen zwar hinreichend Ausdruck, vergisst aber nicht, dass sie dem Publikum im Kern von Gefangenschaft berichten will. Der Spagat glückt weitestgehend mit diesem sinnlichen Film.

08. Son of Saul (Regie: Laszlo Nemes)

Die Kritik an dem Film, er würde einer berechnenden Level-Struktur folgen, teile ich nicht. Dies würde ja bedeuten, für die Hauptfigur gäbe es - eben wie bei einem Videospiel - etwas zu gewinnen, sobald sie am Ziel angelangt ist. Im KZ hingegen existiert weder ein Ziel noch ein Preis. Ja, - entgegen Sauls Versuchen und Aufbäumen - nicht einmal mehr ein Wert.

07. Caracas, eine Liebe (Regie: Lorenzo Vigas)

Eigentlich müsste hinter dem Titel ein dickes Fragezeichen prangen, denn inwieweit die Slums von Venezuela (homosexuelle) Liebe erlauben, bleibt letztlich unklar. Vielleicht ist der Begriff zu diffus - und das Netz aus Unfreiheit zu dicht gestrickt. Die letzte Szene jedenfalls ist in meinen Augen zweifellos die bitterste des Filmjahres, und »Caracas« ein ungemein vielschichtiges Werk, das seine anvisierten Konflikte nicht auflöst, sondern gegen eine Wand fährt - und zwar im besten Sinne.

06. The Lobster (Regie: Giorgos Lanthimos)

Die Vorzüge von »The Lobster« liegen deutlich auf der Hand: Mit scharfer Zunge und Humor rückt er dem allgegenwärtigen Beziehungswahn auf den Pelz, gesteht zugleich jedoch ein, dass gegen romantische (nicht zwingend rein sexuelle) Verschmelzungs-Sehnsüchte kein Kraut gewachsen ist. Schwingt hier etwa sogar eine Spur Wehmut mit? Ich bin begeistert.

05. Der Schamane und die Schlange (Regie: Ciro Guerra)

Eine Reise in das Herz des Amazonas und den Rand des Verstandes. Nicht viel wissen wir über den Ort, den wir bevölkern. Dann nämlich würden ihn besser behandeln. Noch weniger jedoch wissen wir, wo wir herkommen. Weder als Traum noch als Albtraum lässt sich »Der Schamane und die Schlange« konkret greifen - klar ist nur, dass man schlafwandelt. Und bitte nicht täuschen lassen: Dem Film sind keineswegs die Farben ausgegangen.

04. Right Now, Wrong Then (Regie: Hong Sang-soo)

Wahrheit oder Lüge? Ein feinsinniges Gedankenexperiment, das sein Potenzial nahezu voll ausschöpft und eine didaktische Note souverän umschifft. Der südkoreanische Regisseur exerziert Möglichkeiten und Frustrationen einer simplen Begegnung und doch wirkt hier alles einnehmend natürlich, weil die Charaktere an erster Stelle stehen - und somit ernst genommen werden.

03. Raum (Regie: Lenny Abrahamson)

Ein richtig starker Vertreter aus der vergangenen Oscar-Saison, der - unter anderem - mit seinen überragenden Darstellern (Brie Larson erhielt zurecht das Goldmännchen) und einer packenden Geschichte punktet. Speziell die kraftvolle erste Hälfte drängte mich beinahe an den Rand emotionaler Erschöpfung. Man kann den Autoren sicher vorwerfen, dass sie es sich zum Ende hin zu leicht machen, aber in erdrückenden Kitsch driftet der Film glücklicherweise nie ab. Vielmehr wahrt er gebührenden Respekt dabei, wie er Mutter und Sohn zunächst auseinander driften und dann erneut zusammen finden lässt.

02. Anomalisa (Regie: Charlie Kaufman)

Ganze Seiten könnte ich einfach damit füllen, wie ich mich ab Minute 1 in Anomalisas Welt, dieser zu mir seelenverwandten, verloren habe, doch würde dies einer ernsthaften Kritik natürlich nicht gerecht werden. Auf Flughäfen, in Bars und Hotels spürt Kaufman dieser seltsamen Isolation des modernen Menschen nach, die weder mit noch ohne andere Leidensgenossen überwindbar scheint. Vielleicht nicht das allerneueste Thema, aber Kollege Spike Jonze und er haben es wirklich geschnallt. Wer einen beschlagenen Spiegel abwischt, holt sich dabei kalte Hände. Mit Knetpuppen gegen die Einsamkeit? Funktioniert!

01. Nick Cave & The Bad Seeds: One More Time with Feeling (Regie: Andrew Dominik)

Dieses Meisterstück, meinen absoluten Favorit, habe ich mit über 100 Leuten in einem ziemlich großen Saal erlebt und man hätte eine Nadel zu Boden fallen gehört, so andächtig war die Stimmung gelagert. Dass es ein Musikfilm auf das goldenes Treppchen schafft, mag irgendwie ungewöhnlich sein, allerdings nicht in diesem komischen 2016. Und sowieso sollte man sich hier ganz besonders vor Kategorisierungen hüten. »One More Time With Feeling« ist ein leises Summen über Verlust, Schmerz, Inspiration, Trauerarbeit... und ein bisschen auch Nick Cave.

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